Gemeinderats-Briefing #36: Werbebildschirmen den Stecker ziehen
Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: die Credit Suisse, Abbau von digitalen Werbebildschirmen und das Kunsthaus, das sich der Diversität verpflichtet.
Wieder ein Schweizer Grosskonzern ist gegroundet, die Credit Suisse ist Geschichte und wer hat Schuld? «Die Ausländer!», ruft die SVP. Wie man rechts in den Wald hineinruft, so lachte es von links zurück. Die gestrige Gemeinderatssitzung eröffnete mit diversen Fraktionserklärungen zur Causa CS.
Die Grünen empörten sich nach dem Motto «Gewinne privat, Verluste dem Staat!». Würde der Bund und die Nationalbank andere Krisen ebenfalls in diesem Tempo und mit ähnlichen Beträgen im Notfall stützen, würden viele die Hände verwerfen, las Monika Bätschmann aus der Erklärung vor. Und Florine Angele (GLP) sprach von einer «historischen Blamage für den Finanzplatz Schweiz». Die Grünliberalen nehmen zwar zur Kenntnis, dass der Bundesrat unter Zeitdruck entscheiden musste, aber sie hätten wenig Verständnis dafür, dass mittels Notrecht eine Grossbank geschaffen wurde. Eine Bank, deren Risiken schlussendlich die Steuerzahler:innen tragen würden.
«Wir brauchen mehr Schweizer Banker, die unsere Werte vertreten.»
Bernhard im Oberdorf, SVP
Der linke Vorwurf, dass der Untergang der CS ein Versagen des Marktes und des Kapitalismus sei, schmetterte die FDP zurück: «Weder der Markt noch der Staat sind gescheitert», sagte FDP-Parteipräsidenten Përparim Avdili, «sondern die letzten Managergenerationen.»
Seitens der SVP gab es keine Fraktionserklärung zum Thema, jedoch eine persönliche Erklärung von Bernhard im Oberdorf. Auch er empöre sich, aber den Fehler sieht er nicht etwa bei der Wirtschaft oder dem Staat verortet: Nein, Schuld hätten die anderen, die «Ausländer». Das Kader, das grösstenteils aus dem Ausland kam, habe total versagt. «Lachen Sie nur», sagte im Oberdorf und ging damit auf das Raunen, das von linker Ratsseite durch die Kirche drang. Danach griff der SVP-Gemeinderat ehemalige CS-CEO wie Tidjane Cheick Thiam rassistisch an und sprach von «zuwanderungsgeilen Mangern», die nur Boni im Kopf hätten. «Wir brauchen mehr Schweizer Banker, die unsere Werte vertreten.»
Weg mit der Leuchtreklame
Bilder von Skylines waren früher das Ding. Alle meine Freund:innen hatten wohl dasselbe Ikea-Plakat von irgendeiner amerikanischen Grossstadt – hell erleuchtet und voller Werbung. Heute will dieses Bild niemand mehr in meinem Umfeld über dem Bett hängen haben und so geht es auch den Grünen, der SP und der AL. Zürich soll keine von Werbung schillernde Stadt sein.
Dominik Waser (Grüne) stellte das links-grüne Postulat vor. Von den 2000 Werbeflächen auf öffentlichem Raum seien etwa 360 elektronische – also Displays und Lichtdrehsäulen. Waser sprach von einer sinnlosen Ressourcenverschwendung, von Lichtverschmutzung, von der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und hantierte mit diversen Zahlen von der IG Plakat Raum Gesellschaft. Diese will Werbung im öffentlichen Raum einschränken.
«Ziehen wir den Stecker, dann stecken ihn Private wieder ein.»
André Odermatt, SP-Stadtrat
«Ein Plakat aus Papier verbraucht 139, ein hinterleuchtetes Plakat 750 und Werbescreens bis zu 3300 Kilowattstunden», argumentierte der grüne Gemeinderat. Fast ein Drittel vom produzierten Solarstrom gehe für digitale Werbung drauf. Zudem würden vor allem Grosskonzerne sich die Werbung leisten können. Darum fordern die Postulant:innen, dass die jetzigen digitalen Werbeflächen im öffentlichen Raum zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausser Betrieb genommen und weitergegeben oder umweltschonend entsorgt werden sollen.
Der Stadtrat lehnt das Postulat ab. Der verantwortliche Hochbauvorsteher André Odermatt (SP) meinte: «Streng reglementierte Werbung gehört zu Zürich und sie ist auch ein durchaus wichtiger Wirtschaftszweig.» Denn nicht nur diejenigen, die Werbung buchen, auch jene, die sie machen und gestalten, sind auf solche Flächen angewiesen. «Werbung bringt uns substanzielle Einnahmen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir Werbung verbieten können. Ziehen wir den Stecker, dann stecken ihn Private wieder ein», so Odermatt.
Danach war die Debatte entflammt. Jean-Marc Jung (SVP) fand, Werbung werde ja gemacht, um den Konsum anzukurbeln, ob man drauf reinfällt, sei einem selbst überlassen. Sein Parteikollege Bernhard im Oberdorf fügte einen DDR Vergleich an: «Wollen wir ein tristes Zürich, eine Welt wie damals der Ostblock oder wollen wir farbige Reklamen und Lebensfreude?» Auch die Mitte zeigte sich wenig begeistert und sprach von einer «klassischen Verbotskultur im Deckmantel der Klimaziele». FDP-Gemeinderat Patrik Brunner, Inhaber einer Werbeagentur und Vorstandsmitglied vom Zürcher Werbeclub, hielt gar einen Lobgesang auf die Werbung: Sie sei schön, sie sei Kunst.
Auch wenn die Bürgerlichen den Konsum und die Werbung rühmten, gelang es FDP, SVP, GLP und Mitte/EVP nicht, sich gegen Links-Grün durchzusetzen. 61 zu 55 ist das Postulat überwiesen worden. Bereits vergangenen September hat der Gemeinderat entschieden, dass der Ausbau von digitalen Werbescreens gestoppt werden soll (wir berichteten im Gemeinderats-Briefing #13). Zusätzlich zum Ausbaustopp wird es also auch einen Abbau geben. Nun ist es beim Stadtrat, den Stecker zu ziehen.
Woke, woker – noch nicht das Kunsthaus
Das Kunsthaus Zürich kündigte vor gut einer Woche einen neuen Umgang mit Raubkunst an – wir berichteten im Briefing. Mitten im Fokus steht die umstrittene Bührle-Sammlung. Und da die Stadt Zürich das Kunsthaus finanziell unterstützt, darf sie mitreden. Zwischen der Stadt und der Zürcher Kunstgesellschaft (ZKG) als Betreiberin des Kunstmuseums gibt es einen neuen Subventionsvertrag, über den gestern diskutiert wurde. Der Gemeinderat konnte dem Vertrag zustimmen oder ihn ablehnen.
Während sich die Grünen ihrer Stimme enthielten, plädierten die SVP und die AL beide für die Ablehnung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die SVP forderte mehr Mitspracherecht für die Bührle-Sammlung, der Vertrag sei eine Demütigung. Und die AL vertritt die gegenüberstehende Position: Solange die Stiftung irgendwie in den Aufarbeitungsprozess involviert sei, sei man befangen.
Statt aber wirklich über Raubkunst zu sprechen, verloren sich die Politiker:innen schlussendlich in einer Grundsatzdiskussion über Diversität. Denn die ZKG wird laut dem neuen Vertrag verpflichtet, gesellschaftliche Vielfalt punkto Geschlecht, Alter und kulturellem Hintergrund abzubilden – sowohl im Programm als auch beim Personal, der Geschäftsleitung und im Vorstand.
Während die AL sich auf den Standpunkt stellte, dass das Kunsthaus viel zu wenig für Diversität mache und machen werde, meinte die SVP, sie wolle kein wokes Kunsthaus. Yasmine Bourgeois (FDP) doppelte nach: «Solche Vorgaben sind unnötig. So wird das Kunstmuseum zu einer gut tönenden, woken Hülle, aber ohne Inhalte.»
Ja, was denn jetzt? Denn einen ist der Vertrag zu woke, den anderen zu wenig. Er wurde aber schliesslich mit 79 Ja-, zu 21 Nein-Stimmen bei 17 Enthaltungen angenommen.
Weitere Themen der Woche
- Weniger Technik in Gebäuden, das fordern die beiden grünen Gemeinderäte Yves Henz und Jürg Rauser in einem Postulat. Beim Bauen sollen architektonische Lösungen technischen vorgezogen werden – sofern es Sinn mache. Denn Technik sei anfällig, brauche Energie und müsse eher ersetzt werden. Als konkretes Beispiel führte Henz «Fenster öffnen statt Lüftungen» auf. FDP, SVP, GLP und die Mitte fanden den Vorstoss zu schwammig. «Die Umwelt ist wichtig, aber wir alle wollen bezahlbare Wohnungen. Solche Regulierungen machen das Bauen teuer», fügte Claudia Rabelbauer (Die Mitte/EVP) an. Mit 60 zu 55 Stimmen wurde das Postulat dem Stadtart überwiesen. Er muss nun prüfen, wie beim Einbau von Haustechnik das Prinzip «so wenig wie möglich, so viel wie nötig» verfolgt werden kann.
- SVP will Wohnungskündigungen aufgrund Unterbringung von Asylbewerber:innen verbieten. Dass Mieter:innen einer Wohnung eine Kündigung erhalten können, weil Geflüchtete einziehen sollen, erhitzt seit geraumer Zeit die Gemüter. (Wir berichteten bereits im Briefing mehrfach über den Fall Seegräben.) Die SVP will dies mit einem Postulat ändern. Kündigungen für Menschen auf der Flucht sollen verboten werden. Gegen den Vorstoss hat Michael Schmid (AL) gestern einen Ablehnungsantrag gestellt. Der Vorstoss wird somit nicht diskussionslos an den Stadtrat überwiesen, sondern an einer späteren Sitzung diskutiert. Warum die Zuwanderung übrigens nicht an der Wohnungsnot schuld ist, liest du hier.
- Wie reagieren, wenn man häusliche Gewalt mitbekommt? Für Nachbar:innen, die Zeug:innen von häuslicher Gewalt werden, ist es häufig unklar, wie sie reagieren können. Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) und Anna Graff (SP) fordern den Stadtrat in einem Postulat auf, zu prüfen, wie ein departementsübergreifendes Projekt präventiv die Nachbarschaft sensibilisieren könne und welche soziale Unterstützungsstrukturen – sei es in Schulen, Restaurants, Vereinen – umgesetzt werden können. Roger Bartholdi (SVP) stellte einen Textänderungsantrag, somit wird auch dieser Vorstoss zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert.
- Pascal Lamprecht folgt auf Alan David Sangines (beide SP, Wahlkreis 9): Seit Oktober 2010 ist Sangines Mitglied des Gemeinderats. Er hat per 12. April 2023 seinen Rücktritt erklärt. Laut einer Mitteilung rückt Pascal Lamprecht nach, er ist somit für den Rest der Amtsdauer 2022–2026 gewählt.