Gemeinderats-Briefing #13: Eine Harmonika für das Kongresshaus - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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8. September 2022 um 07:00

Gemeinderats-Briefing #13: Eine Harmonika für das Kongresshaus

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Ausbaustopp für Werbeflächen, abermalige Rettung des Kongresshauses, keine Belegungsvorgaben für Alterswohnungen.

Illustration: Zana Selimi (Foto: Zana Selimi)

Immer, wenn ich durch die Unterführung unter dem Zürcher HB laufe, bleiben meine Augen an den Werbebildschirmen kleben. Egal, ob ich das will oder nicht. Mag sein, dass sie meine Aufmerksamkeit noch mehr anziehen als gewöhnliche Reklameflächen, ich bin mir dessen ehrlich gesagt nicht sicher. Ich registriere auch so jeden Plakatspruch und kann bis heute alle Songs aus der deutschen TV-Werbung der späten 90er-Jahre auswendig.

Doch ich kenne auch Menschen, für die die ständige Bombardierung mit Werbung eine Belastung ist, dauerhafte Arbeit fürs Gehirn, beim Bewegtbild noch mehr als bei gedruckten Plakaten. An deren Seite standen gestern die Fraktionen von SP, Grünen und AL, die in einem Postulat den Verzicht auf den geplanten Ausbau von Reklameflächen, insbesondere von digitalen Werbescreens, forderten. Zum einen, weil sie «aufmerksamkeitspsychologisch invasiv» seien, also die Aufmerksamkeit von Passant:innen forderten und damit die Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume reduzierten, so Postulantin Anna Graff (SP). Zum anderen, so erklärte sie weiter, verbrauche ein LCD-Screen pro Jahr so viel Strom wie ein Schweizer Zwei-Personen-Haushalt. Angesichts der Klimakrise und möglicher Energiemangellagen sei ein Ausbaustopp deshalb geboten.

Die Stadträte André Odermatt (SP) und Michael Baumer (FDP), zuständig für die jeweiligen Flächen in städtischer Hand beziehungsweise bei den VBZ, lehnten das Postulat ab. Odermatt erklärte, der Ausbau digitaler Flächen gehe mit einem Abbau klassischer Plakatflächen einher, zudem würden die Screens mit Ökostrom betrieben und ein Ausbaustopp verlagere den Ausbau nur auf privaten Grund, wo die Stadt weniger Einfluss habe. Baumer erläuterte, die Haltestellen, die mit den Screens ausgestattet werden sollen, würden in smarte Haltestellen umgewandelt, die mehr Strom einsparten als die digitalen Werbeanzeigen brauchten. Zudem finanziere die Werbung den Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie günstige Ticketpreise, was letztlich ja auch dem Netto-Null-Ziel diene.

Für Irritationen von Links bis in die Mitte sorgte eine E-Mail, in der der CEO des Aussenwerbungsunternehmens Clear Channel, Christoph Marty, die Gemeinderatsmitglieder anscheinend dazu aufgerufen hatte, das Postulat abzulehnen. Die eigentliche Auseinandersetzung artete wiederum schnell zu einer Grundsatzdiskussion über den Sinn und Unsinn von Aussenwerbung aus. Michael Schmid (AL) sprach von den negativen Auswirkungen, die Werbung auf die Menschen habe, indem sie Konsumkultur und Narzissmus fördere und zu einer Verunsicherung junger Menschen beitrage.

Sein Namensvetter aus der FDP meinte, er habe anhand der linken Ausführungen den Eindruck, man rede hier über den Times Square oder den Picadilly Circus, «doch davon sind wir meilenweit entfernt.» Stattdessen zeige sich eine anti-marktwirtschaftliche und anti-urbane Haltung von links: «Was macht eine Stadt aus?», fragte er rhetorisch, um sogleich zu antworten: «Dass Handel stattfindet und Angebot und Nachfrage sich finden. Und dazu gehört auch Werbung.» Im damaligen Ostblock, erklärte Bernhard im Oberdorf (SVP) mit Bezug auf eine frühere Reise seinerseits nach Ost-Berlin und unter dem Gelächter der linken Ratsseite, habe es ohne Werbung grau und völlig asketisch ausgesehen.

«Wir wünschen uns eine Stadt, die nicht mit Plakaten und blinkenden Bildschirmen vollgestellt ist. Wir wünschen uns Freiräume, unkommerzielle Räume, Grünräume, Platz für Menschen und Begegnung.»

Anna-Béatrice Schmaltz, Grüne, über das Postulat zum Ausbaustopp von Werbeflächen

Postulant:innen wie Anna Graff und Dominik Waser (Grüne) stellten mehrmals klar, dass sie mit dem Postulat kein generelles Verbot von Werbeflächen, sondern lediglich nicht mehr digitale Screens haben wollten. Einen Textänderungsantrag von Selina Frey (GLP), die statt eines Ausbaustopps eine Sicherstellung der Klimaneutralität der Werbebildschirme forderte, lehnten sie ab. Am Ende reichte die links-grüne Mehrheit von 62 zu 57 Stimmen zur Überweisung des Postulats.

Wie weiter mit dem Kongresshaus?

Breit diskutiert wurde gestern auch die Zukunft des Zürcher Kongresshauses. Nachdem das Haus am Zürichsee über mehrere Jahre aufwendig saniert worden war, geriet die Kongresshaus Zürich AG (KHZ AG) mit der Corona-Pandemie ins Straucheln und musste mit einem Darlehen der Stadt über Wasser gehalten werden. Nun präsentierte der Stadtrat dem Gemeinderat eine Vorlage, in der er einen Kapitalschnitt mit anschliessender Kapitalerhöhung – eine sogenannte «Harmonika» – vorschlug. Und damit die Stadt mit einer Beteiligung von 4,5 Millionen Franken zur Hauptaktionärin der AG machen würde.

Ursprünglich habe die Weisung auch Forderungen nach einer Entflechtung der komplexen Betriebsstruktur aus KHZ AG, der Kongresshaus Stiftung und der Tonhalle Gesellschaft beinhaltet, so Christina Horisberger (SP) aus der entsprechenden Kommission. Diese seien aber gestrichen worden. Dafür forderte nun aber sie selbst zusammen mit ihrem Parteikollegen Florian Blättler in einem begleitenden Postulat die Ausarbeitung von Varianten zur Auflösung der Kongresshaus Zürich AG und die Übernahme ihrer Aufgaben durch die Kongresshaus Stiftung nach Ablauf des aktuellen Vertrags 2028.

Moritz Bögli (AL), Nachfolger der zurückgetretenen Regula Fischer, durfte an seinem ersten Tag im Rat direkt die Minderheitsmeinung in der Kommission vertreten: Es sei verständlich, dass die Pandemie zu Ausfällen geführt habe, erläuterte er. Doch statt das undurchsichtige und komplexe Betriebsgeflecht anzugehen, wolle man es nun noch einmal bis 2028 retten: «Wir sind skeptisch und haben Angst, dass es ein Fass ohne Boden wird.» Lieber sei ihm ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. «Ist das Kongresshaus wirklich too big to fail?», fragte Stefan Urech (SVP) in die Runde. Es handle sich hierbei bereits jetzt um ein Fass ohne Boden, und dieses Fass wolle man nun auch noch verstaatlichen und noch mehr Geld hineinpumpen.

Stadtpräsidentin Corine Mauch stellte noch einmal die negativen Auswirkungen auf die Stiftung, die Tonhalle Gesellschaft, aber auch Kultur und Tourismus der Stadt in den Vordergund, die ein möglicher Konkurs der KHZ AG mit sich bringen würde. Auch Severin Pflüger (FDP) fand, man habe schon so viel Geld investiert, dass man besser beraten sei, das Haus noch heute zu retten. Seinen Textänderungsantrag zum Postulat, die Strukturfragen so bald wie möglich und nicht erst 2028 anzugehen, lehnten die Postulant:innen ab, genauso wie einen ähnlichen Antrag von Moritz Bögli. Letztlich stimmten alle Fraktionen ausser AL und SVP der «Harmonika» und der damit einhergehenden Budgeterhöhung zu. Dem Begleitpostulat stimmten SP, Grüne, GLP und AL zu, während sich die FDP und die Mitte enthielten und die SVP ablehnte.

Keine Belegungsvorgaben für Alterswohnungen

Knapp 20 Prozent betrage der Anteil der über 60-Jährigen an der Stadtzürcher Bevölkerung, so Reto Brüesch (SVP) und Ernst Danner (EVP) im Text zu ihrer gemeinsamen Motion. In dieser forderten sie den Stadtrat auf, einen Anteil von ebensolchen 20 Prozent Alterswohnungen in städtischen Siedlungen bis 2040 bereitzustellen. Man habe mit der Altersstrategie 2035 ein Versprechen gegenüber älteren Menschen gemacht, so Brüesch. Dieses gelte es einzuhalten. Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) entgegnete, man nehme die Durchmischung der Siedlungen sehr ernst, das hätten nicht zuletzt die letzten Ausschreibungen für neu gebaute städtische Siedlungen gezeigt. Er halte das Anliegen für nicht motionabel, sei aber bereit, es als Postulat entgegenzunehmen.

Auch Cathrine Pauli (FDP) hielt es für nicht motionabel. Doch es sei durchaus ein Problem, dass die Wartelisten für Alterswohnungen sehr lang seien und ältere Menschen oft noch in günstigen grösseren Wohnungen lebten, weil sie keine bezahlbaren kleineren fänden. Mit einer Streichung der festen Zielvorgabe von 20 Prozent, der starren Altersgrenze von 60 Jahren und der Verpflichtung zur Berichterstattung könne die FDP bei einem Postulat mitstimmen. Isabel Garcia (GLP) und Claudia Rabelbauer (EVP) erklärten ebenfalls ihre Zustimmung.

Ablehnung kam dagegen von der linken Ratsseite. Belegungsvorschriften seien der falsche Hebel, fand Walter Angst (AL). Die Nutzung steuere man über den Bau, der Stadtrat könne diesen Auftrag gar nicht umsetzen. Auch Marion Schmid (SP) fand, der Vorstoss trage nicht zur Lösung des Problems von zu wenigen Alterswohnungen bei, das Problem der anteilsmässigen Vergabe liege nicht in den städtischen Wohnungen. Luca Maggi (Grüne) erklärte, die Bürgerlichen handelten nach dem Prinzip, «Gewinn möglichst in die Säcke der Privaten und dort wo es nicht so viel abzukassieren gibt, darf der Staat einspringen.» Die drei links-grünen Parteien versenkten schlussendlich das Postulat.

(Foto: Steffen Kolberg)

Gemeinderat der Woche: Roger Föhn (EVP)

Er sei lange ein «Listenfüller» im Kreis 12 gewesen, erzählt Roger Föhn. Als er 2018, nach rund 30 Jahren auf der dortigen EVP-Wahlliste, als Spitzenkandidat antritt, wird er von seinem Wahlerfolg überrascht: «Ich war auf einem Skiwochenende und hatte in den Nachrichten nur gehört, dass die Mitte bei der Wahl abgestraft worden sei. Zuhause habe ich dann Glückwunschnachrichten bekommen und mich zunächst gefragt: Für was?»

Geholfen hat dem heute 59-Jährigen bei der damaligen Wahl neben dem schlechten Abschneiden der früheren CVP auch seine Bekanntheit in der reformierten Gemeinde von Schwamendingen. In der Kirche sei er seit seinem 16. Lebensjahr sehr aktiv, erzählt er. Als Sigrist der Kirche Hirzenbach hilft der gelernte Koch bei Anlässen wie Gottesdiensten und Beerdigungen aus, kümmert sich ausserdem um die Gartenanlagen oder kocht für die Gemeindemitglieder. «Es macht mir sehr viel Spass», erklärt er: «Ich bin mein eigener Chef, so kann ich das auch gut mit der politischen Arbeit vereinbaren.» Menschen mit einer einfachen Berufsausbildung wie er seien im Gemeinderat untervertreten, findet Föhn: «Die Zürcher Bevölkerung ist nicht eins zu eins abgebildet im Rat. Leute aus der Pflege, der Gastronomie oder von Reinigungsfirmen sind nicht wirklich vertreten. Und trotzdem müssen wir versuchen, die besten Lösungen für alle zu erreichen, nicht nur für bestimmte Gruppen.»

Seit das erste seiner drei Kinder – inzwischen alle im Teenageralter – in den Kindergarten kam, war Föhn im Elternrat engagiert. Dort habe er zu schätzen gelernt, was Lehrpersonen für einen guten Job machten und wie vielen Herausforderungen sie begegneten, sagt er. Das Wohl von Lehrer:innen und Kindern gehöre zu seinen Hauptanliegen im Gemeinderat. Deshalb setze er sich bei der kommenden Abstimmung auch für die Gemeinderats-Variante der Tagesschule ein: «Wir müssen die bestmögliche Variante nehmen, auch wenn sie leider teurer ist.» Seit den 80er Jahren engagiert sich Föhn in christlichen Hilfsprojekten für Strassenkinder in Brasilien, hat dort auch seine Frau kennengelernt und mit ihr in Belo Horizonte einen Kindergarten gegründet. Im Gemeinderat tritt er regelmässig mit Trikots brasilianischer Sportmannschaften auf. «Die Kinder sind unsere Zukunft», sagt er: «Und um die müssen wir uns sorgen, egal wo in der Welt.»

Warum sind Sie Gemeinderat geworden?

Schon seit Anfang 20 war ich immer wieder auf der Wahlliste der EVP im Kreis 12. Seit fast 35 Jahren bin ich Sigrist in der reformierten Kirche Hirzenbach in Schwamendingen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ein Ur-Schwamendinger. Rund zehn Jahre war ich im Elternrat bzw. -forum hiesiger Schulen und acht Jahre in der Kreisschulpflege. Als ich 2018 überraschend in den Gemeinderat gewählt wurde, habe ich das Amt mit Freude übernommen und bin jetzt gerade wieder gewählt worden. Es ist sehr spannend und herausfordernd, allen Anliegen gerecht zu werden.

Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?

Gerne würde ich einmal ein Bier mit Urs Riklin (Grüne) oder mit Stefan Urech (SVP) trinken. Ich darf mit beiden in der Schul- und Sportkommission zusammenarbeiten. Beide sind sehr engagierte Politiker und tolle Personen.

Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?

Gerade erst habe ich mich sehr geärgert, dass man am Züri Fäscht die Flugshows und das Feuerwerk abschaffen will. Beides sind die grossen Publikumsattraktionen.

Weitere Themen der Woche

  1. Nachdem es im letzten Jahr bei der Zwischennutzung des Manegg-Areals Unmut über die behördlichen Abläufe gegeben hatte, hatten alle Fraktionen des Gemeinderats eine Interpellation eingereicht, die nach Möglichkeiten der Vereinfachung der Zwischennutzung fragte. Die Antwort des Stadtrats liess auch gestern niemanden so richtig zufrieden zurück: Reto Brüesch (SVP) fand, es seien zu viele Stellen involviert, Flurin Capaul (FDP) hielt die Antwort für «unbefriedigend», Jürg Rauser (Grüne) für «ernüchternd». «Der Stadtrat muss aufhören, Kontrolle über alles haben zu wollen», konstatierte Walter Angst (AL).
  2. Ein Postulat von Reto Brüesch und Martin Götzl (beide SVP) wurde gestern diskussionslos dem Stadtrat überwiesen. Darin fordern die beiden, auf geplante Rodungen im Naturschutzgebiet am Katzensee nach Möglichkeit zu verzichten.

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