27'000 Unterschriften gegen Kündigung der Sugus-Häuser

Stadtpräsidentin Corine Mauch nahm die Petition für die Sugus-Häuser entgegen und erklärte die Sicht der Stadt. Danach tagte der Gemeinderat: Er diskutierte über den lokalen Mindestlohn und ein Strassenbauprojekt in Unterstrass, das die Gemüter erhitzte.

Stadtpräsidentin Corine Mauch mit der kreativen Unterschriften-Box. Mit der Besitzerin der Sugus-Häuser konnte sie noch nicht sprechen, sagte sie. (Bild: Kai Vogt)

Noch immer führt kein Weg an den Sugus-Häusern vorbei, nicht einmal, wenn es für die Gemeinderatssitzung in die Bullingerkirche geht. Diesen Mittwoch war ihr Vorplatz unüblich belebt, etliche Medien vor Ort: Kurz vor der Sitzung übergaben die Bewohner:innen der Sugus-Häuser ihre Petition an Stadtpräsidentin Corine Mauch. Anzahl Unterschriften: 27'393.

Mauch nahm die Box – verkleidet als Sugus-Bonbon – dankend entgegen und erklärte, dass sie noch nicht mit Regina Bachmann, der Eigentümerin der Häuser, reden konnte. Sie betonte jedoch, dass die Stadt alles in ihrer Macht Stehende tue, um der Wohnungsnot entgegenzuwirken. Gleichzeitig forderte sie von den übergeordneten Instanzen, Bund und Kanton, mehr Handlungsspielraum für die Wohnpolitik der Stadt. Ihr sei sehr bewusst, dass Wohnen ein Menschenrecht sei. Konkrete Angaben zum weiteren Vorgehen der Stadt machte Mauch nicht. 

Der Eintritt in die Kirche gelang dann doch noch, und Ratspräsident Guy Krayenbühl (GLP) startete mit der Sitzung. Traktandiert: 100 neue städtische Wohnungen in Altstetten, ein Strassenbauprojekt im Kreis 6, bei dem 62 Parkplätze verschwinden sollen, und der Gerichtsentscheid zum Mindestlohn in Zürich. Wir zäumen das Pferd von hinten auf.

Mindestlohn kommt vors Bundesgericht 

Erstaunlich knapp handelte der Gemeinderat die Frage ab, wie es in der Causa Mindestlohn weitergeht. 

Vor drei Wochen hatte das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Einführung eines Mindestlohns in der Stadt Zürich, wie sie das Abstimmungsergebnis von 2023 vorsieht, nicht rechtens sei. Das Gericht argumentierte, dass auf Kantonsebene ein entsprechender Gesetzesauftrag fehle – und damit auch der Handlungsspielraum auf Gemeindeebene eingeschränkt sei.

«69 Prozent der Stimmbevölkerung ist der Meinung, dass ein Lohn zum Leben reichen muss.»

Lisa Diggelmann (SP)

Dieses Urteil will die Stadtzürcher SP nicht akzeptieren. Sie brachte das Anliegen am Mittwoch erneut im Rat ein, um den Mindestlohn in der Höhe von 23 Franken 90 doch noch durchzusetzen, indem das Urteil ans Bundesgericht weitergezogen wird.

«69 Prozent der Stimmbevölkerung ist der Meinung, dass ein Lohn zum Leben reichen muss», sagte Lisa Diggelmann, Co-Fraktionspräsidentin der SP. Dieser Entscheid der Stimmbevölkerung müsse berücksichtigt werden. 

Diggelmann wies zudem darauf hin, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht einstimmig getroffen wurde. Eine Minderheit der Kammer vertrete den Standpunkt, dass die Einführung eines kommunalen Mindestlohns, besonders auf einem so tiefen Lohnniveau, durchaus gesetzeskonform sei. Eine Neubeurteilung durch das Bundesgericht sei deshalb sinnvoll, so Diggelmann.  

«Sozialhilfe ist die Aufgabe vom Staat und soll nicht ausgelagert werden.»

Roger Meier (FDP)

Damit konnte sogar die FDP leben. «Die Minderheit im Gemeinderat anerkennt den Anspruch, dass man solch einen Entscheid nun höchstgerichtlich prüfen lässt», sagte Roger Meier (FDP). Dennoch sei das Verwaltungsgericht in solchen Angelegenheiten kompetenter als das Bundesgericht. Das Urteil überzeuge ihn und stelle klar fest, dass die Einführung des Mindestlohns gegen kantonales Recht verstosse. «Sozialhilfe ist die Aufgabe vom Staat und soll nicht ausgelagert werden», so Meier. Beim Mindestlohn handle es sich um einen Eingriff in das Verhältnis zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen. 

Doch mit dieser Haltung blieb die FDP in der Minderheit: Mit 69 zu 50 Stimmen beschloss die links-grüne Mehrheit, dass nun das Bundesgericht über die Mindestlohn-Frage befinden soll.

Mehr Bäume und Platz fürs Velo, dafür 62 Parkplätze weniger

Die Diskussion wurde deutlich hitziger, als es um ein grosses Strassenbauprojekt im Kreis 6 ging: Teile der Milchbuck- und Scheuchzerstrasse sollen umgebaut und der Strassenraum aufgewertet werden. Triggerwort des Abends: Parkplätze.

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Auf der Scheuchzerstrasse werden Parkplätze abgebaut und mehr Platz für eine Velovorzugsroute geschaffen. (Bild: Screenshot Google Street View)

Laut der Stadt ist der Umbau aufgrund von maroder Infrastruktur, altersschwacher Wasserleitungen und veralteter Beleuchtung notwendig. Geplant sind rund um die Kreuzung Scheuchzer-/Milchbuckstrasse breitere Trottoirs mit neuen Grünflächen und Bänken, Verkehrsberuhigungselemente, frisch gepflanzte Bäume sowie weitere Massnahmen zur Hitzereduktion. Zusätzlich sollen 26 neue Fahrradabstellplätze und eine Velopumpstation entstehen. 

«Bei diesem Projekt bekommen wir vor Freude glänzende Augen.»

Severin Meier (SP)

Der umstrittenste Teil der Vorlage: Im Zuge der Bauarbeiten sollen 62 Autoparkplätze und 13 Töffparkplätze wegfallen. Dafür soll dort nun eine Velovorzugsroute realisiert werden. 

Für die SP handelt es sich um ein Vorzeigeprojekt. «Bei diesem Projekt bekommen wir vor Freude glänzende Augen», so Severin Meier (SP). Er selbst habe als Kind elf Jahre an der Scheuchzerstrasse gelebt, damals sei das Potenzial noch nicht ausgeschöpft gewesen. Jetzt freue er sich für die Kinder, die künftig in einer verkehrsberuhigten und sicheren Umgebung aufwachsen könnten, sagte der SP-Politiker.

Andreas Egli (FDP) hat extra seinen Weihnachtspulli angezogen, «um dem Vorstoss milder begegnen zu können». Doch das half nicht. «Das ist Verkehrsdogmatismus pur», sagte Egli. Für ihn sei der Abbau der Parkplätze unverständlich. Es gebe zwar 49 neue Bäume, doch das seien vielmehr «Bäumchen». Es habe aber jetzt schon Bäume dort. Martin Busekros (Grüne) konterte: Natürlich seien es Bäumchen. «Bäume werden klein gepflanzt. Danach wachsen sie.» 

Die SVP meldete sich bei diesem Vorstoss mit knapp der halben Fraktion. Alle wetterten sie gegen den Parkplatzabbau. Stephan Iten (SVP): «Nun kommen die Veloraser:innen und fahren die Schulkinder über den Haufen.» Die SP würde glänzende Augen vor Freude bekommen, die SVP Tränen für den «Rückschritt ins Kutschenzeitalter». 

Für eine Mehrheit des Rats überwogen aber die Vorteile des Projekts – die bessere Aufenthaltsqualität, die Förderung von ökologischen Verkehrsmitteln und hitzemindernden Massnahmen. Während die SVP, FDP und Mitte/EVP den Kredit in der Höhe von 10 Millionen Franken ablehnten, stimmten GLP, SP, AL und Grüne zu. Der Baubeginn ist auf August 2025 geplant.

Weitere Themen der Woche:

  • Sanija Ameti ist zurück: Die GLP-Politikerin nahm gestern zum ersten Mal seit drei Monaten wieder an der Gemeinderatssitzung teil, nachdem sie aufgrund einer umstrittenen Instagram-Story in einen Shitstorm geraten war. Entsprechend gross war das Medieninteresse. Sie sagte in einer persönlichen Erklärung zu Beginn der Ratssitzung, dass sie in den letzten drei Monaten oft geweint habe. Aber nicht wegen des Hasses, «sondern wegen der ganzen Liebe, die ich aus dem Rat erhalten habe. Sie hat mir Stärke gegeben.» Sie bedankte sich bei den Mitgliedern und ergänzte: «Auch wenn die NZZ mich als schiesswütige Muslimin bezeichnete, hockt ihr noch alle da, ganz ohne Schussweste.»
  • 100 neue städtische Wohnungen in Altstetten: Die Salzweg-Siedlung in Altstetten ist renovierungsbedürftig. Die Stadt plant, die 50 Jahre alte Siedlung abzureissen und durch einen Neubau zu ersetzen, der deutlich mehr Wohnraum bieten soll. Die Anzahl der Wohnungen soll von 130 auf 230 steigen, sodass künftig mindestens 462 Menschen in der Siedlung leben können. Die links-grüne Mehrheit begrüsste das Vorhaben grundsätzlich, kritisierte jedoch, dass nicht im Bestand gebaut werde, sondern ein kompletter Abriss und Neubau erfolgen soll. Stadtrat Daniel Leupi ging auf diese Bedenken ein und betonte, dass eine Güterabwägung vorgenommen werden müsse. In diesem Fall sei es eindeutig, dass die Vorteile des zusätzlichen Wohnraums überwiegen würden. Letztlich stimmten alle Parteien für das Projekt sowie die einmaligen Ausgaben von 118 Millionen Franken. Nur die SVP lehnte das Vorhaben ab.
  • Verdichtung in Unteraffoltern: Die Stadt Zürich plant im Rahmen der Nachverdichtung und Instandsetzung der Wohnsiedlung Unteraffoltern III die Schaffung von mindestens 30 neuen Wohnungen, zusätzlich zu den bestehenden 62​. Dafür bewilligte der Gemeinderat gestern sieben Millionen Franken. Der Baubeginn ist für 2029 geplant, mit Bezug im Jahr 2032​.
  • Drei Millionen für Sporthalle Seefeld: Die Sporthalle der Schulanlage Seefeld soll durch einen Neubau ersetzt werden, um mehr Raum für den Schulsport, die Tagesschule sowie Vereine zu schaffen. Für den Wettbewerb und die Ausarbeitung eines Bauprojekts werden einmalige Ausgaben von drei Millionen Franken benötigt. Diese Ausgaben lösten im Gemeinderat eine grössere Diskussion über die Kosten von Schulinfrastruktur aus. Die FDP sagte, die Stadt baue generell zu teuer, sprach von «goldenen Schlössern» und beantragte beim Seefeld-Projekt Einsparungen von 15 Prozent. Die AL monierte, dass die Sporthallen auch von Privatschulen genutzt werden könnten und es nicht die Aufgabe der Stadt sei, diese zu subventionieren. Die Grünen wiederum sahen im Vorhaben zu wenig Kapazität für Verpflegung und Betreuung. Schlussendlich stellten sich aber nur die Grünen und die SVP dagegen, sodass das Budget bewilligt wurde.
  • Mehr Frauenfussball im Letzigrund: Der Gemeinderat hat gestern ein Postulat an den Stadtrat überwiesen, das fordert, den beiden Zürcher Frauenmannschaften der Nationalliga A mehr Zugang zum grössten Stadion der Stadt zu ermöglichen. Neben internationalen Partien sollen auch mindestens vier Ligaspiele pro Verein im Letzigrund ausgetragen werden können – als Zeichen der Wertschätzung und mit Blick auf die Frauenfussball-EM 2025 in Zürich.
  • Begegnungsort für Alt und Jung in Oerlikon: Im Rahmen der Sanierung des Gesundheitszentrums für das Alter Dorflinde in Zürich-Oerlikon sollen die Aussenräume und die unmittelbare Umgebung so gestaltet werden, dass Begegnungen zwischen den Generationen ermöglicht werden. Dies forderte ein Postulat von Pascal Lamprecht (SP) und zwei seiner Parteikolleg:innen. Der Gemeinderat überwies den Vorstoss am Mittwoch an den Stadtrat.
  • Heidi Egger (SP) tritt zurück: Die SP-Politikerin erlebte vergangenen Mittwoch ihre letzte Sitzung im Gemeinderat, da sie per 31. Dezember zurücktritt. Über 10 Jahre war sie Mitglied des Gemeinderats, Ratspräsident Guy Krayenbühl lobte in seiner Laudatio ihre «gesellige Art». Auf Egger folgt im neuen Jahr Jonas Keller.
  • Attila Kipfer (SVP) erneut dabei: Am Mittwoch trat Attila Kipfer erneut in den Gemeinderat ein. Er folgte auf den Rücktritt von Martin Götzl. Kipfer sass bereits zwischen Juni 2021 und Mai 2022 für die SVP im Gemeinderat, wurde dann aber abgewählt.
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