Bildungssoziologe Christoph Zangger: «Die Schweiz selektioniert früh»

Am 28. Februar findet im Rahmen des Fokus Bildung unser Fuckup-Abend statt. Geschichten rund ums Scheitern werden auf der Helsinki Bühne ihren Platz bekommen. Bildungssoziologe Christoph Zangger wird ebenfalls einige Worte zum Scheitern sagen. Im Gespräch erklärt er, warum ein Mensch scheitert und warum dieser Mensch oft nicht Schuld daran sei.

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Ein Plan, an dem du schon lange arbeitest, nimmt allmählich Gestalt an - oder auch nicht. Und du scheiterst. (Bilder: Elena Koycheva on Unsplash)

Lara Blatter: Warum fällt es Menschen schwer zu scheitern?

Christoph Zangger: Scheitern betrifft immer zwei Ebenen, die individuelle und die gesellschaftliche. Scheitern ist ein Eingeständnis an sich selber, an seine eigenen Erwartungen. Zudem hat die Gesellschaft hohe Erwartungen: Man muss erfolgreich sein. In dieser Vorstellung von Erfolg hat Scheitern wenig Platz. Der Druck ist gross und macht das Scheitern zu einem negativen Erlebnis, denn man wird sanktioniert und muss sich selber immer optimieren und verkaufen.

Oft verwenden wir den Ausdruck der Leistungsgesellschaft – gibt es diese Gesellschaft schon immer?

Ich bin kein Historiker. Aber meiner Meinung nach hängt das stark mit unserem ökonomischen System zusammen. Das System ist auf Wachstum und Leistung ausgelegt. Und das wiederum schreibt sich in der individuellen Verantwortung nieder. Nicht nur die Wirtschaft und das ganze System muss immer wachsen, auch die einzelne Person selber. Man muss immer noch mehr wollen und machen.

Früher kannten die Menschen das Gefühl immer mehr zu wollen viel weniger. Kam man über die Runden, so gab es für viele Menschen keinen Grund noch mehr zu wollen.

<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Christoph Zangger </div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> Christoph Zangger ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am soziologischen Institut der Universität Zürich. Er studierte Soziologie und Politikwissenschaft an der Uni Zürich. Zu seinen Forschungsinteressen zählen soziale Ungleichheit und intergenerationale Mobilität im Lebensverlauf, die empirische Modellierung von Interaktionsprozessen sowie Kontext- und Kompositionseffekte in Arbeitsmarkt, Bildung und Politik. </div>

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Inwiefern hat Scheitern Platz in unserem Bildungsweg?

Aus dem pädagogischem Blickwinkel hat Scheitern extrem viel Platz. Das Scheitern gehört dazu und nur wenn man solche Erfahrungen macht, kann man tatsächlich daraus lernen und wachsen. Gleichzeitig sind gesellschaftliche Erwartungen hier, dass man nicht scheitert, dass man möglichst schnell eine Ausbildung macht. Schlägt man den Weg einer Berufslehre ein, so ist dieser Druck schon viel früher präsent. Mit 15 Jahren soll man schon wissen, was man später mal machen will. Bricht ein Jugendlicher diese Lehre ab, so kann das verheerende Folgen haben.

Scheitern hängt fest mit der Frage zusammen, wer man ist und woher man kommt.

Christoph Zangger

Man sagt ja oft, man lerne aus Fehlern - aber sie selber machen und scheitern, tut ja niemand gerne, oder?

Was heisst denn Scheitern genau? Heisst Scheitern, dass man einen Abschluss nicht hat? Und damit meine ich nicht: «Ich habe zuerst Ausbildung X angefangen, aber dann gemerkt das Y mir viel besser passt. Ich stehe nun mit Y trotzdem positiv im Leben.» Das ist etwas anderes, als wenn man tatsächlich ganz ohne Abschluss dasteht. Darum ist teils auch wirklich schwierig zu sagen: «Ich lerne aus meinen Fehlern.»

Wer ist Schuld am Scheitern vieler Menschnen, wenn nicht der Mensch selbst?

Scheitern hängt leider fest mit der Frage zusammen, wer man ist und woher man kommt. Die Chancen im Bildungssystem zu Scheitern hängen sehr stark von der eigenen Herkunft ab. Findet ein Jugendlicher keine Lehrstelle, liegt das nicht nur daran, dass falsche Entscheidung getroffen wurden. Natürlich gibt es Leute, die behaupten, sie hätten einfach zu wenig gelernt. Aber zu einem grossen Teil hängt dies damit zusammen, was die Jugendliche von zu Hause aus mitbekommen haben, in welchem Umfeld sie aufgewachsen sind und welchen Wert Bildung in ihrem Umfeld hatte. Das sind alles Faktoren, welche eine grosse Rolle spielen, ob man eine Lehrstelle findet oder einen Abschluss machen kann. Die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär ist halt wirklich meistens ein Märchen.

Aufmunternde Sprüche wie, wenn man will, schafft man doch alles, helfen dem Tellerwäscher*in auch nicht.

Das ist schön und gut, aber Chancengleichheit funktioniert nur, wenn alle schon dasselbe mitbringen. Das ist nicht gegeben. Wir haben eine Ungleichverteilung, wenn es darum geht, was für einen «Rucksack» man vom Elternhaus mitbekommt. Mit dem grösseren Rucksack ist es einfacher gewisse Dinge im Leben zu meistern, als mit dem kleinen.

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«Die Schweiz selektiert enorm früh.» - Christoph Zangger

Wie kann man allen denselben Rucksack mit auf den Weg geben?

Die Forschung ist hier ziemlich eindeutig, je früher selektiert wird, desto mehr verstärken sich die Unterschiede. Die Schweiz selektiert enorm früh. Es geht darum möglichst früh diesen Chancenausgleich zu schaffen. Die Unterschiede vollkommen auszugleichen wird aber nie gelingen. Aber je früher desto besser. Auch Ökonomen teilen diese Ansicht, es ist günstiger früher zu investieren. Eine frühe kindliche Betreuung kostet den Staat auf lange Sicht weniger. Spätere Jobprogramme oder andere Massnahmen sind teurer.

Welche Ansätze verfolgt die Schweiz in dieser Hinsicht?

Die Volksschulreform machte den Kindergarten obligatorisch. Der Kindergarten wurde so Teil der Schulpflicht. Das sind Ansätze, welche in diese Richtung zielen. Soziolog*innen und Pädagog*innen würden viele hier sagen, das sei immer noch zu spät. Aber es ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.

Gleichzeitig wird auch das Angebot für frühkindliche Betreuung ausgebaut, vor allem in Städten ist dies momentan der Fall. Man versucht mehr oder weniger eine flächendeckende und subventionierte Betreuung zu ermöglichen. Das hat einen starken Einfluss auf Kinder, sie werden so früher ausserhalb des Elternhauses sozialisiert. Das schlägt sich positiv auf die sprachlichen und sozialen Entwicklungen der Kinder aus.

Das System ist so gestaltet, dass nicht alle dieselben Eingangsvoraussetzungen haben.

Christoph Zangger

Leute, die keine Mühe zu scheitern haben, kann man als Stehaufmännchen*weibchen bezeichnen – wie wird man zu so einem?

In der Soziologie gibt es diesen Spruch: «Leute, die denken, sie seien selber schuld, diese studieren Psychologie. Und Leute, die denken, die anderen und die Gesellschaft seien schuld, diese studieren Soziologie.» Zum Stehaufmenschen wird man, wenn man die Schuld auch mal wegschiebt. Den äussere Umstände spielen nun mal eine grosse Rolle, dem sollte man sich bewusst sein. Das System ist so gestaltet, dass nicht alle dieselben Eingangsvoraussetzungen haben. Scheitert man, heisst das nicht immer, dass man selber nicht gut genug ist.

Noch nicht genug vom Scheitern? Dann komm an unseren Fuckup-Abend!

Fr., 28.02.20 20.00 Uhr Helsinki Klub

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