Anabel Minas (Die Mitte): «Es ist wichtig, dass queere Menschen in bürgerlicheren Parteien aktiv sind»
Im Februar 2023 wählt der Kanton Zürich sein Parlament neu. Im Zuge dessen stellen wir aus jeder Partei eine spannende Person vor, die kandidiert sowie in der Stadt Zürich lebt. Anabel Minas kam durch ihre Partnerin zur Mitte-Partei und empfand das Umfeld als stark motivierend. Auch, oder gerade weil, einige Parteikolleg:innen in gewissen Themen eine andere Meinung haben als die 25-Jährige.
Isabel Brun: Weshalb haben Sie sich dafür entschieden, für die Mitte zu politisieren?
Anabel Minas: Durch meine Partnerin hatte ich schon lange viel Kontakt mit Politik und mit der BDP, und später mit der Mitte. Nach dem Zusammenschluss von BDP und CVP habe ich mich mit der politischen Position der Mitte auseinandergesetzt und konnte mich damit identifizieren. Der Fokus auf realistische Lösungen, und die Fähigkeit, je nach Thema mit Parteien auf beiden Seiten des politischen Spektrums zusammenzuarbeiten, interessierte mich.
Als ich dann das erste Mal an einen Anlass der Jungen Mitte ging und die anderen Mitglieder kennenlernte, war ich sofort begeistert. Das Gemeinschaftsgefühl und die Motivation, etwas zu verändern, ist unglaublich ansteckend. Seither engagiere ich mich stark in der Jungpartei – und seit einiger Zeit auch in der Kreispartei.
Was war Ihr grösster politischer Misserfolg?
Da ich mich noch nicht so lange aktiv am politischen Geschehen beteilige, hatte ich auch noch nicht so viel Zeit für grosse Misserfolge. Was ich jedoch als einen erachte, war die Abstimmung über das Stimmrechtsalter 16. Mir ist natürlich bewusst, dass dies ein schwieriges Thema ist, welches in der Bevölkerung starke Emotionen auslöst. Trotzdem war ich enttäuscht, als die Vorlage abgelehnt wurde.
Aber schon das Stimmrechtsalter 18 und das Frauenstimmrecht wurden zuerst mehrmals abgelehnt, bevor sie nach mehreren Jahren in der gesamten Schweiz eingeführt wurden. So wird auch beim Stimmrechtsalter 16 weiterhin dafür gekämpft. Und ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen.
Wohnen ist in der Stadt Zürich ein allgegenwärtiges Thema. Wie wohnen Sie und wie viel zahlen Sie für Ihre Bleibe – oder sind Sie gar Eigentümerin?
Ich wohne seit über zwei Jahren in einer WG, die ich zusammen mit drei anderen Student:innen gegründet habe. Wir wohnen in einer modernen 5,5 Zimmer Wohnung im Leutschenbachquartier, welche wir nur durch sehr viel Glück bekommen haben. Als Studentin kann ich mir eine zu hohe Miete nicht leisten, mein Teil beträgt knapp 800 Franken.
In klassischer Studierendenart sind die meisten gemeinsamen Möbel secondhand. Dekoriert ist sie mit vielen Pflanzen, Lego und geeky Gegenständen. Speziell das Bücherregal im Wohnzimmer mag ich sehr – dort stehen viele meiner Lieblingsbücher, zum Beispiel die gesamte Jack Reacher Reihe von Lee Child.
Die Strassen Zürichs sind ein hart umworbenes Pflaster. Wie sind Sie in der Regel in der Stadt unterwegs?
Ich bin in der Stadt ausschliesslich mit ÖV oder zu Fuss unterwegs. Gerade als Studentin ist der ÖV natürlich finanziell gesehen am sinnvollsten und die Verbindungen sind in Zürich auch gut genug, dass es die schnellste Option ist. In der Stadt sind so viele Menschen unterwegs, dass der öffentliche Verkehr dort definitiv das effizienteste Fortbewegungsmittel ist. Gerade den Autoverkehr erachte ich hier nur dann als sinnvoll, wenn es keine brauchbare Alternative gibt. Das ist zum Beispiel bei Handwerker:innen, Anlieferungen oder Anwohner:innen der Fall.
«Die Politik in der Stadt Zürich ist sehr stark polarisiert. In so einem Umfeld hat es eine Mitte Partei tendenziell schwer.»
Anabel Minas (Die Mitte)
Der Veloverkehr wäre ebenfalls eine gute Art der Mobilität, aber die Infrastruktur ist in der Stadt Zürich aktuell derart mangelnd, dass es leider einfach nicht sicher ist. Dies hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt, als es leider schwere Unfälle zwischen Velofahrer:innen und Autofahrer:innen gab.
Die Mitte hat in der Stadt Zürich keinen einfachen Stand und gilt eher als Randpartei. Sehen Sie das eher als Vor- oder Nachteil?
Die Politik in der Stadt Zürich ist sehr stark polarisiert. In so einem Umfeld hat es eine Mitte Partei tendenziell schwierig und ohne «Grün» im Namen sowieso. Bei den Gemeinderatswahlen im Februar 2022 haben wir aber ein sehr gutes Resultat erzielt und ich schaue daher sehr optimistisch in die Zukunft.
Welche Themen wollen Sie in den kommenden vier Jahren aufs politische Parkett bringen?
Momentan ist für mich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen eines der wichtigsten Themen. Mit der kantonalen Initiative unserer Jungpartei wird dies auch ein relevantes Thema im Kantonsrat werden, für welches ich mich stark einsetzen will.
Ein weiteres Thema, welches ich als überfällig betrachte, ist die kantonsweite Einführung von genderneutralen Toiletten und Garderoben. Niemand sollte die psychischen Strapazen ertragen müssen, die durch die Wahl zwischen Frauen- und Männer-Toiletten bei Gender non-konformen Menschen ausgelöst werden kann. Gleiches kann bei der Garderobenwahl sogar noch belastender sein.
Wichtig ist mir auch, grundsätzlich ein Sprachrohr für die unterrepräsentierte LGBTQ-Community zu sein, um ihren Anliegen mehr Gehör zu verschaffen.
Vor wenigen Wochen haben wir die Züri Awards verliehen. Wen würden Sie zur:zum Zürcher:in des Jahres 2022 küren und weshalb?
Ich würde Anna Rosenwasser zur Zürcherin des Jahres küren. Dies für ihr starkes Engagement sowohl als Feministin, als auch als LGBTQ-Aktivistin. Sie ist für mich eine Inspiration, da sie für eine wahre Gleichstellung aller kämpft, egal welche Sexualität, Genderidentität oder auch Religion eine Person hat.
Eine junge LGBTQ-Aktivistin in einer bürgerlichen Partei, das erstaunt erstmal. Stossen Sie manchmal bei Ihren Parteikolleg:innen auf Widerstand, was Ihre Anliegen betrifft?
Ich erfahre in der Mitte grundsätzlich keinen Widerstand für meine Positionen in queeren Themen. Die Mitte generell, aber im Speziellen Kanton Zürich ist sehr offen und sozialliberal. Themen, die für die LGBTQ-Community aktuell sind, gehören häufig einfach nicht zu den Kernthemen der Mitte, weshalb sie auch nicht wirklich dafür bekannt ist.
Ich kenne aber viele queere Menschen, die sich bei uns engagieren und so auch diese Themen in der Mitte vertreten. Einzelne Parteiexponent:innen sind gegenüber queeren Themen intolerant, aber das motiviert mich umso mehr, um meine Position in der Partei zu vertreten. Ich denke, es ist gerade wichtig, dass queere Menschen auch in bürgerlicheren Parteien aktiv sind, damit wir auch von dort die nötige Unterstützung für politische Forderungen erhalten können.
Die Mitte hat in der Stadt Zürich keinen einfachen Stand und gilt eher als Randpartei. Sehen Sie das eher als Vor- oder Nachteil?
Die Politik in der Stadt Zürich ist sehr stark polarisiert. In so einem Umfeld hat es eine Mitte Partei tendenziell schwer und ohne «Grün» im Namen sowieso. Bei den Gemeinderatswahlen im Februar 2022 haben wir aber ein sehr gutes Resultat erzielt und ich schaue daher sehr optimistisch in die Zukunft.
Ich denke, die kleine Grösse kann definitiv auch ein Vorteil sein. Wir können so immer wieder aktuelle und wichtige Themen in den Fokus rücken, die sonst nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen. Zur Zeit ist dies zum Beispiel unsere Initiative «Gesunde Jugend Jetzt!», welche eine bessere Versorgung psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher fordert. Die Versorgung in diesem Bereich ist schon lange in einem schlechten Zustand, aber leider hat die Politik hier bislang viel zu wenig gemacht. Wir erhalten für dieses Projekt sehr viel Zuspruch – es ist brandaktuell und beschäftigt die Bevölkerung sehr.
Auf der Webseite von der Mitte geben Sie an, dass Sie sich für Gleichstellung einsetzen möchten – was fordern Sie konkret?
Die Gleichstellung hat für mich sehr viele Facetten, sei es Gleichstellung aller Geschlechter, Menschen jeder Herkunft und sexueller Orientierung et cetera. Eines der aktuellsten und wichtigsten Themen in der Gleichstellung der Geschlechter ist die Elternzeit. Darüber haben wir im Kanton Zürich erst vor kurzem abgestimmt – mit wenig Erfolg, aber auch auf nationaler Ebene ist ein Vorstoss hängig. Aus meiner Sicht braucht es eine Elternzeit von 14 Wochen für beide Elternteile, noch besser wären 18 Wochen. Die Mutter hat einen gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschaftsschutz von acht Wochen, der andere Elternteil sollte meiner Meinung nach mindestens dieselbe Zeit beziehen müssen. Damit die Zeit zwischen flexibel aufgeteilt werden kann. Ausserdem sollte der Fall gleichgeschlechtlicher Paare auch abgedeckt werden.
Ein zweiter Punkt ist die Abschaffung der Ehestrafe. Die momentane Regelung der Steuern benachteiligt verheiratete Paare im Vergleich zu unverheirateten Paaren stark, was die Ehe zu einer finanziellen Belastung machen kann. Auch in der AHV werden verheiratete Paare diskriminiert und erhalten deutlich weniger AHV-Rente als unverheiratete Paare.
Ein weiteres wichtiges Thema für mich ist die Legalisierung der Eizellenspende. Dort hat das Parlament eben erst in der Herbstsession einen wichtigen Schritt gemacht, der Ball liegt jetzt beim Bundesrat. Aus meiner Sicht ist es aber nur wenig verständlich, weshalb die Eizellenspende anders geregelt werden soll als die Samenspende.