Youth-Topia-Produzentin Marisa Meier über unsere Freundschaft und das Erwachsenwerden
Marisa Meier ist Filmproduzentin und Drehbuchautorin. Für Redaktionspraktikantin Alice Britschgi ist sie aber vor allem eines: eine gute Freundin. Ein persönliches Gespräch über Freundschaft, das Erwachsenwerden und Meiers neuen Film «Youth Topia».
Was sind wir? Die Zürcherin Marisa Meier (29) ist Filmproduzentin und Drehbuchautorin. Für mich ist sie aber vor allem eines: eine gute Freundin. Schon im Alter von 14 Jahren haben wir nächtelang darüber sinniert, was wohl aus uns werden würde. Dabei waren wir das Wichtigste doch schon längst: gute Freundinnen.
Statt zu schlafen, spielten wir selbst erfundene Spiele oder tranken im damals angesagtesten Rock-Club der Stadt, dem Abart, zu Indie-Songs Tequila-Shots. Anstatt Bio zu lernen, chatteten wir bis in alle Nacht auf MSN. Anstatt unsere Zimmer aufzuräumen, rauchten wir Shisha auf der Chinawiese, malten uns unsere Traumtypen aus und stritten darüber, ob es Gott gibt oder nicht. Anstatt in Französisch aufzupassen, kritzelten wir uns gegenseitig Songtexte und Zeichnungen in die Agenden.
Kurz gesagt: Wir taten alles mögliche, was – zumindest vordergründig – zu nichts führte. Jetzt hat Marisa etwas getan, was zu etwas führte. Gemeinsam mit Regisseur Dennis Stormer hat sie den Coming-of-Age-Film «Youth Topia» geschrieben und produziert, der den Fast Track Award der Zürcher Filmstiftung gewonnen hat. Am 5. Mai ist Schweizer Kinostart.
«Youth Topia» spielt in einer kunstvoll inszenierten Parallelwelt, in der ein Algorithmus darüber entscheidet, wann man erwachsen wird und welcher Beruf zu einem passt. Als Protagonistin Wanja ein Job zugeteilt wird, merkt sie schnell, dass ihre Karriere sie von ihren Jugendfreund:innen entfernt. Sie muss sich entscheiden zwischen Selbstverwirklichung und Gemeinschaft, zwischen Effizienz und Ziellosigkeit, zwischen Erwachsensein und Jugendlichkeit.
Zur Feier des Filmes und der Tatsache, dass unsere Freundschaft den Sprung ins Erwachsenenleben überstanden hat, haben Marisa und ich in einem Zürcher Café ein persönliches Gespräch geführt – über «Youth Topia», das Erwachsenwerden und unsere Freundschaft.
Alice Britschgi: Bist du erwachsen?
Marisa Meier: Ich würde sagen, zum grössten Teil ja.
In eurem Film «Youth Topia» entscheidet ein Algorithmus, ob die Protagonist:innen bereit sind, erwachsen zu werden. An welchen Eigenschaften misst der Algorithmus das?
Wir haben den Fokus im Film auf die Eigenschaften Zielstrebigkeit und Verantwortungsbewusstsein gesetzt. Der Algorithmus beurteilt die Protagonist:innen anhand ihrer Social-Media-Profile. Sind die Charaktere vertrauenswürdig? Haben sie Hobbies? Sind sie ausgeglichen? Die Eigenschaft, die wir im Film der Jugend zugeschrieben haben, ist Ziellosigkeit: in den Tag hineinleben und Nonsens produzieren.
Machen für dich im echten Leben dieselben Dinge das Erwachsensein aus?
Ja schon. Im echten Leben ist es einfach viel komplexer als im Film, wo die Welt überspitzt dargestellt wird. Aber Dennis Stormer und ich sind von unseren Erfahrungen im echten Leben ausgegangen.
Heisst das, du hast Hobbies?
Ja (lacht). Neulich habe ich mich mit der Begründung, dass ich jetzt in den Gesangsunterricht gehen müsse, von jemandem verabschiedet. Meine Bekannte rief dann ganz begeistert: «Oh my god, you have a hobby! That’s great!»
Zielstrebig, verantwortungsbewusst, ausgeglichen, vertrauenswürdig – das alles bist du also zu einem grossen Teil?
Ja. Ich denke schon. Das sind erstrebenswerte Eigenschaften, vor allem um in meinem Beruf erfolgreich zu sein.
Und zu einem kleinen Teil bist du ziellos und produzierst Nonsens?
Ich habe auf jeden Fall Sehnsucht danach, auszuschlafen, um dann nichts zu tun, sinnlos abzuchillen und dumme Sachen zu konsumieren. Manchmal mache ich das auch, aber meistens mit einem schlechten Gewissen.
Im Film ist Erwachsenwerden gleich einen Job haben. Wo ist da der Zusammenhang?
Wir fanden die Verbindung von Beruf und Erwachsenwerden filmisch spannend. Die Bubble, in der wir leben, definiert sich extrem über den Beruf. Für Jugendliche ist es eine grosse Frage, was sie in ihrem Leben machen wollen. Wir dachten: Wäre es nicht cool, wenn einem ein Algorithmus die Antwort dazu liefern würde? Es fühlt sich ja so an, als würde man in der heute gängigen Selbstfindungsphase mit Auslandsaufenthalten, Praktika und abgebrochenen Studiengängen krass viel Zeit verlieren.
Eigentlich ein sehr erwachsener Gedanke.
Ja.
«Je individualistischer man wird, desto erwachsener und erfolgreicher wird man.»
Marisa Meier, Produzentin, Drehbuchautorin und eine gute Freundin
Standen Freundschaften bei Regisseur Dennis und dir von Anfang an im Mittelpunkt des Drehbuches oder wie hat sich das in Bezug auf den Coming-of-Age-Plot entwickelt?
Neben dem Thema Erwachsenwerden haben wir uns stark mit den Themen Individualismus und Gemeinschaft beschäftigt. Wir haben diesen krassen Individualismus für uns kritisiert, in was für einer individualisierten Gesellschaft wir leben und was für Individualist:innen auch wir sind. Mich stresst es zum Beispiel oft, in Gruppen unterwegs zu sein, weil man dann viel langsamer ist. Was ja ein mega erwachsener Gedanke ist – der Gedanke, dass man Sachen lieber alleine macht, weil man dann effizienter ist. Dennis und ich wollten uns mit diesem Stoff herausfordern und mehr öffnen für die Gemeinschaft. Stofflich aber auch produktionell. Ein Film ist ja ein Gruppenwerk.
Individualismus verortet ihr also in der Erwachsenenwelt?
Ja, und die Gemeinschaft in der Jugendwelt. Weil krass enge Freundschaften ja etwas sehr jugendliches sind, das man manchmal mit dem individualistischen Erwachsenenleben verliert.
Wieso? Was passiert mit Freundschaften, wenn wir erwachsen werden?
Die These in unserem Film ist, dass je individualistischer man wird, desto erwachsener und erfolgreicher wird man. Aber man zahlt einen Preis dafür. Nämlich, dass man keine Zeit, vielleicht keine Geduld und kein Interesse mehr für die Gemeinschaft hat – für die jugendliche Gemeinschaft.
Wie haben sich deine Freundschaften seit der Kindheit verändert?
Ich habe noch immer sehr viele enge Freundschaften aus der Kindheit, darum kann ich das gut beobachten. Ich verbringe heute weniger Zeit mit meinen Freund:innen, auch weniger spontan. Aber wenn ich Zeit mit ihnen verbringe, dann sind es eher die jugendlichen Sachen die uns verbinden – uns zusammen betrinken, dumm herumtanzen, uns gegenseitig Musik zeigen und bis in alle Nacht reden, obwohl wir schlafen sollten.
Was ist anders bei Freundschaften, die man als Erwachsene:r schliesst?
Beim Arbeiten ist es, glaube ich, oft so, dass man sich nicht traut, seine kindliche oder jugendliche Seite zu zeigen. Aber genau diese ist es am Ende, die verbindet.
Man kann aber schon als Erwachsene:r Freund:innen finden, oder?
Ja klar. Dinge, die man teilt, sind dann aber eher jugendliche Features. Also die, die verbinden. Wenn du dich mit Arbeitskolleg:innen anfreundest, dann ja nicht, weil ihr euch gut über eure Arbeit unterhalten könnt. Sondern eher, weil ihr private Dinge teilt, die nicht erwachsen sind.
Also betrachtest du das Private eigentlich als das Jugendliche?
Natürlich ist es komplexer. Als erwachsene Person ist man ernsthafter und erwartet das auch in Freundschaften. Zuverlässigkeit zum Beispiel. Es ist ja nie geil, wenn jemand mega verpeilt ist. Freundschaft verlangt schon auch erwachsene Features. Aber zusammen unvernünftig sein verbindet einfach viel mehr.
Lange Freundschaften brauchen also irgendwie beides.
Ja.
Wie hat sich unsere Freundschaft verändert seit wir erwachsen sind?
Wir verbringen weniger Zeit miteinander – logischerweise, wir wohnen ja meistens nicht mehr in derselben Stadt. Sind beide viel unterwegs. Früher haben wir uns jeden Tag gesehen. Das ist schon absurd. Und wir haben ein weniger starkes Mitteilungsbedürfnis.
Also denkst du, dass wir früher mehr unseres Seelenlebens miteinander geteilt haben?
Ja, wahrscheinlich schon.
Letztens haben wir aber darüber gesprochen, dass wir jetzt auch Dinge miteinander teilen, die wir früher eher für uns behalten haben.
Stimmt. Wir sind mutiger geworden. Wir sind weitergekommen im Leben und zum Glück selbstsicherer geworden. Und dadurch vielleicht auch nicht mehr so verletzlich in der Freundschaft.
Was meinst du damit?
Als Jugendliche waren wir auf eine Art sehr fragil. Ich weiss nicht, wieviel Kritik wir voneinander vertragen hätten. Vielleicht hatten wir deshalb mehr Hemmungen, gewisse persönliche Gedanken zu teilen. Jetzt sind wir gefestigter und trauen uns das.
Das könnte allerdings auch ein Grund sein, weshalb Freundschaften im Erwachsenenleben schwieriger oder anders werden. Vielleicht sind wir doch nicht so selbstsicher und unfragil, wie wir denken.
Stimmt. Aber früher waren wir auch einfach symbiotischer. Jetzt haben wir die Sicherheit, dass wir auch ohne einander überleben könnten und trauen uns deshalb öfter, uns gegenseitig anzugreifen. Wir sind weniger abhängig voneinander.
Vermisst du etwas an unserer jugendlichen Freundschaft?
Ja, zum Beispiel die Möglichkeit, spontan beieinander zu übernachten. Die Mitternachtsgespräche, die wir dann immer geführt haben.
Eigentlich haben wir die ja noch immer ziemlich oft, wenn wir uns besuchen und bei einander übernachten.
Ja, aber trotzdem viel seltener als früher. Und vielleicht ist auch alles ein bisschen weniger aufregend geworden in unserer Freundschaft. Früher waren alle Sachen so krass, viel dramatischer.
Die Dinge die wir besprochen haben, meinst du?
Ja. Das Leben ist schon etwas weniger lustig heute. Das gute an unserer Freundschaft ist ja, dass wir immer noch sehr viel Blödsinn reden und uns Dinge ausmalen. Wie wir miteinander reden, hat sich nicht wirklich verändert. Aber auf täglicher Basis Lachanfälle zu haben, macht halt schon ein bisschen mehr Spass, als nur alle ein, zwei Monate.
Ich finde, an unserer Freundschaft hat sich vor allem verändert, dass wir uns ständig updaten müssen.
Ja, wir bekommen unsere Leben gegenseitig nicht mehr beiläufig mit. Was ich auch vermisse, ist, dass wir uns keine neuen Games mehr ausdenken. Es sind immer die alten, die wir spielen. Und das Wissen, dass wir die nächste Person der anderen sind, das vermisse ich auch. Heute gibt es noch viele andere. Das ist eigentlich gar nicht schlimm – aber nur aus einer erwachsenen Perspektive (lacht).
«Würden wir heute noch gleich viel füreinander machen wie früher?»
Marisa Meier, Produzentin, Drehbuchautorin und eine gute Freundin
Und was findest du gut oder besser an unserer Freundschaft heute?
Dass wir immer noch über die gleichen Sachen lachen. Wir fänden die Serie The Inbetweeners immer noch lustig.
Ja sicher. Ich habe die gerade letztes Wochenende jemandem empfohlen.
Was ich an unserer Freundschaft jetzt besser finde, ist, dass wir schon sehr viel erlebt haben in den letzten Jahren. Also nicht nur zusammen, auch alleine. Leute im Freundeskreis zu haben, die selbst viel erleben und machen, ist bereichernd.
Bist du heute insgesamt öfter oder weniger oft mit Freund:innen zusammen als früher?
Weniger oft. Dafür öfter mit Leuten, die ich nicht als Freund:innen bezeichnen würde.
Und das obwohl du mehr Freund:innen hast als früher. Oder ist das überhaupt so?
Ja, wahrscheinlich schon. Mein Freundeskreis der richtig guten Freund:innen hat sich erweitert.
Wie viele hast du?
Ich glaube etwa 15.
Und wie viele davon hattest du schon vor deinem Erwachsenenleben?
Sieben.
Was ist mit der erwachsenen Hälfte anders als mit denen aus der Kindheit und Jugend?
Die wissen natürlich weniger, woher ich komme. Und ich weniger, woher sie kommen.
Und wozu führt das?
Das macht, dass es länger geht, bis man sich hemmungslos fallenlassen kann. Vertrauen muss man ja zuerst aufbauen.
Aber nachher wird es genau gleich wie mit den Freund:innen aus der Kindheit?
Nein. Freundschaften bauen sich ja über die Zeit auf. Je länger man befreundet ist, desto mehr vertraut man sich. Das holen die Freund:innen aus dem Erwachsenenleben nicht auf.
Habe ich mich in der Zeit unserer Freundschaft verändert?
Du warst früher viel idealistischer und sturer. Aber ich finde es für unsere Freundschaft eigentlich gut, dass das etwas zurückgegangen ist. Und du warst Vegi und ich nicht, jetzt ist es umgekehrt.
Wieso ist das gut, dass mein Idealismus zurückgegangen ist?
Weil wir so vielleicht in einer angenehmeren Stimmung Sachen diskutieren können. Man stösst nicht mehr auf einen Felsen (lacht).
Ich finde, es ist jetzt eher umgekehrt. Du bist jetzt der Fels.
Ja, das ist das Vegi-Prinzip. Und noch was: Ich habe das Gefühl, dass du vielleicht auch sensibler geworden bist. Also, dass du jetzt mehr Dinge auf der Gefühlsebene teilst. Aber das liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir mehr Scheiss erlebt haben (lacht).
Ich habe also keine Ideale mehr und bin gebrochen (lacht). Wenigstens tut es der Freundschaft gut.
Und wie habe ich mich verändert? Ich bin weniger gläubig geworden (lacht).
Ja, das auch. Ich finde, du bist vor allem «szeniger» geworden. Ein Wort aus unserer Jugend! Früher war ich szeniger als du, jetzt sind wir eigentlich gleich szenig. Wir haben uns angeglichen in der Entfernung.
Was lustig ist: Du wolltest immer ins Ausland und ich in Zürich alt werden. Jetzt habe ich in Ludwigsburg studiert und du die meiste Zeit hier.
Ja. Ich habe versucht, wegzukommen. Hat nicht geklappt.
Würden wir heute noch gleich viel füreinander machen wie früher?
Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich jetzt mehr machen würde für dich als früher. Weil ich gemerkt habe, wie wichtig lange Freundschaften sind, dass sie Lieben überdauern und nicht selbstverständlich sind.
Haben wir das nicht schon früher gewusst?
Doch. Ich konnte mir nie vorstellen, dass meine Freundschaften vergehen. Aber jetzt habe ich gecheckt, dass manche nicht halten. Vielleicht würde ich deshalb mehr geben für die, die halten.
Dass du damals in der Nacht, in der mein Exfreund mit mir Schluss gemacht hat, noch zu mir gekommen bist, ist eigentlich etwas sehr jugendliches.
Wieso findest du das jugendlich?
Weil es die Prioritätensetzung durcheinander bringt. Du hättest ja schlafen müssen, weil du funktionieren musst. Und du warst ja selbst bei deinem Freund. Du hast dich also selbst zurückgestellt, deine Pläne – den Individualismusgedanken.
Ich finde übrigens auch, dass sich unsere Freundinnengruppe verändert hat, seit wir erwachsen sind. Wir reden viel über die Arbeit. Oft finde ich das auch langweilig.
Würdest du lieber wieder mehr über Gott und die Welt reden? Und über Good Charlotte und Philipp Poisel (lacht)?
Ja (lacht). Zum Schluss die Million-Dollar-Frage: Im Film muss sich Wanja zwischen Karriere und Freundschaften entscheiden. Was würdest du wählen?
Ich habe mich in vielen Situationen für die Karriere entschieden. Zum Beispiel, als ich nicht mit euch in die Ferien kam, weil ich Praktika suchen musste oder wollte. Ich dachte, die Freundschaften kommen schon mit im Leben. Aber jetzt merke ich, dass ich schon investieren muss und möchte das auch. Letztendlich machen mich Freundschaften schon glücklicher, als es die Karriere je könnte.