Workshop zum Fokus Fluchtmigration: Was bedeuten die Status genau?

Vergangenen Montagabend organisierte Tsüri.ch zusammen mit der Asylorganisation Zürich einen Workshop zum Thema Fluchtmigration. Dabei konnte unsere Community einige Wissenslücken zum Asylwesen der Schweiz schliessen.

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Rebekka Salm erklärt das Schweizer Asylwesen im Schnelldurchlauf. (Quelle: Emilia Geisel)

Fluchtmigration ist oft Gegenstand politischer Debatten. Doch wie ist das Schweizer Asylsystem überhaupt aufgebaut? Welche Status gibt es und welchen Einfluss haben diese auf die Bleibeperspektive und die finanziellen Mittel? Rebekka Salm, Leiterin Koordinationsstelle Wissensvermittlung der Asylorganisation Zürich (AOZ), beantwortete im Workshop vom Montagabend diese Fragen.

Kommt eine Person in die Schweiz, muss sie an einer Grenzstelle, am Schweizer Flughafen oder in einem Bundesasylzentrum zu erkennen geben, dass sie in der Schweiz Schutz sucht, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Im Anschluss wird die Person in eine der sechs Bundesasylregionen (Ostschweiz, Nordwestschweiz, Westschweiz, Zentralschweiz und Tessin, Zürich und Bern) zugeteilt und kommt in einem Bundesasylzentrum unter. Dort bleibt sie für maximal 140 Tage. Während dieser Zeit finden viele Abklärungen durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) statt. Die Behörde soll ermitteln, ob die Schweiz der Person Schutz und Aufenthalt gewähren soll oder nicht. 

Dauert ein Asylentscheid länger als 140 Tage, wird die geflüchtete Person einem Kanton zugeteilt und erhält den Ausweis N. Dies ist keine Aufenthaltsbewilligung, der Ausweis bestätigt nur, dass ein Asylgesuch eingereicht wurde. Drei Szenarien können nach dem Verfahren eintreten: Ein Nichteintretens-Entscheid, eine Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder eine Ablehnung des Asylgesuches.

Ein Nichteintretens-Entscheid liegt vor, wenn die Schweiz aufgrund des Dublin-Abkommens nicht für die geflüchtete Person zuständig ist. In der Folge wird sie an das Land, in dem sie als Erstes ein Asylgesuch gestellt hat, ausgewiesen. Zumindest, sofern keine humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überweisung an den zuständigen Dublin-Staat sprechen. Der Dublin-Raum besteht aktuell aus den 27 EU-Staaten sowie vier assoziierten Staaten: Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen. Ausserdem kann die Schweiz eine geflüchtete Person auch an weitere sichere Drittstaaten ausserhalb des Dublin-Raums zurückweisen, wenn sie dort bereits einen Schutzstatus erhalten haben.

Damit eine Person einen positiven Asylentscheid – und damit einen Status B-Flüchtling – erhält, muss sie folgende Kriterien erfüllen. Auszug aus dem Asylgesetz 142.31 Art. 3: «Eine geflüchtete Person muss in ihrem Herkunftsstaat wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauung ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind. Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.»

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Die Workshop-Teilnehmer:innen verschaffen sich einen Überblick über die Gesetzeslage des Asylwesens. (Quelle: Emilia Geisel)

Wenn man den Gesetzesartikel liest, sei bemerkenswert, dass zum Beispiel Krieg als Fluchtgrund die Kriterien nicht erfülle, erklärt Rebekka Salm: «Man argumentiert, dass die geflüchtete Person keinem grösseren Nachteil ausgesetzt sei als der Rest der Bevölkerung dieses Landes.» Auch die Verweigerung des Militärdienstes gilt per Gesetz nicht als Fluchtgrund. Trotzdem ist es unzulässig, Militärdienstverweigerer in sein Heimatland auszuweisen. Deshalb wird die Person vorläufig aufgenommen und erhält einen temporären Aufenthaltsstatus.

Dabei unterscheiden sich zwei Ausweise: Ausweis F-Flüchtling oder Ausweis F-Ausländer:in. Für Geflüchtete des Ukrainekriegs wurde zudem der Status S (schutzbedürftig) eingeführt. Der Status F-Flüchtling erhalten ebenfalls Personen, die zum Beispiel aus einem Kriegsgebiet flüchten mussten oder wenn sie erst im Anschluss an ihre Flucht die Kriterien erfüllen. Zum Beispiel, wenn eine geflüchtete Person in der Schweiz politisch aktiv wurde und nun ernsthaften Nachteilen im Heimatland ausgesetzt ist. Oder den Militärdienst verweigerte und eine Haftstrafe oder Todesstrafe droht. Der Status F-Ausländer:in erhalten Personen ohne sogenannte «Fluchteigenschaften». Sie sind zum Beispiel sehr krank und können in ihrem Heimatland medizinisch nicht versorgt werden. Wenn keine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde, da die Person die rechtlichen Kriterien nicht erfüllt und eine Ausweisung vom SEM als zulässig erachtet wird, muss die Person die Schweiz verlassen.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass Personen mit Ausweis S, F-Flüchtling oder F-Ausländer:in die Kriterien für einen positiven Asylentscheid nicht erfüllen, aber vorläufig von der Schweiz aufgenommen werden, da eine Ausweisung unzulässig wäre. Diese Status müssen jedes Jahr erneuert werden. Falls zum Beispiel der Grund für die vorläufige Aufnahme aufgehoben wird, beispielsweise ein beendeter Krieg, kann dies für die Geflüchteten bedeuten, dass sie die Schweiz verlassen müssen. Nach fünf Jahren ist es Personen mit einem dieser Status möglich, eine B-Flüchtling-Bewilligung im Rahmen einer Härtefallprüfung zu beantragen. Voraussetzungen dafür sind, dass die Person beruflich und sozial integriert ist und die Verweigerung der Bewilligung schwere Nachteile zur Folge hat.

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Mit den Sozialhilfegeldern können knapp die absolut notwendigen kosten gedeckt werden. (Quelle: Emilia Geisel)

Was bedeuten die verschiedenen Status für die finanziellen Mittel einer geflüchteten Person? 

Im Workshop zeigte Yves Luderer, Teamleiter Sozialberatung Stadt Zürich, auf, welche Aufenthaltsbewilligungen von welchen Leistungen Gebrauch machen können.

Personen mit dem Aufenthaltsstatus B-Flüchtling oder F-Flüchtling können auf die reguläre Sozialhilfe zurückgreifen. Geflüchtete mit dem Aufenthaltsstatus N, S oder F-Ausländer:in können von der Asylsozialhilfe Gebrauch machen. Diese ist je nach Kanton 20 bis 60 Prozent tiefer als die reguläre Sozialhilfe – und somit auch 20 bis 60 Prozent unter dem gesetzlich festgelegten Existenzminimum. Um diese Lücke zu schliessen, gibt es in Zürich seit 2022 eine Sonderregelung: die Pauschale für soziale Teilhabe. Zuvor wurden ergänzende Leistungen, zum Beispiel für Mobilität oder Kommunikation, nur bei nachgewiesenem Bedarf ausgerichtet.

Wie hoch eine Sozialhilfe- bzw. Asylsozialhilfeleistung genau ausfällt, ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Klar wurde während dem Workshop, dass mit den Sozialhilfegeldern knapp die absolut notwendigen Kosten gedeckt werden können. In einer Stadt wie Zürich, in der gesellschaftliche Teilhabe oft an Kosten gebunden ist, können diese knappen finanziellen Mittel isolieren.  

Seit 2004 werden Personen, bei denen ein Nichteintretens-Entscheid gefällt wurde, aus der Sozialhilfe ausgeschlossen. Seit 2008 auch Personen, bei denen das Asylgesuch abgelehnt wurde. Sie können nur von der Nothilfe Gebrauch machen. Dies beinhaltet je nach Kanton 8 bis 12 Franken pro Tag.

Disclaimer: Diese Informationen zeigen nur einen groben Überblick auf die verschiedenen Aufenthaltsbewilligungen und entsprechenden Sozialhilfeleistungen auf. Es gibt viele Sonderregelungen, die hier nicht aufgezählt wurden. Wie sich die Status auf andere Lebensbereiche auswirken, wie zum Beispiel die Wahl eines Wohnortes, wurden im Workshop nicht besprochen.

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