8 Gründe, weshalb Zürich eine gute Stadt für Kinder ist
Unsere Redaktorin hat den «Hüsli»-Traum frischgebackener Eltern nie verstanden. Sie wohnt mit ihren Kindern lieber in der Stadt.
Grosse Städte wurden früher auch «A-Städte» genannt: Für Arme, Arbeitslose, Alte und Alkoholiker. Wer konnte, suchte sich sein Glück auf dem Land. Während der 90er-Jahre zog es etwa Familien in Zürich – mitunter auch aufgrund der offenen Drogenszene am Platzspitz – scharenweise hinaus ins idyllische Eigenheim in der Agglo. Meine ehemalige Nachbarin Frau Bonnet ist eine der wenigen, die der Stadt damals trotz aller Widrigkeiten beziehungsweise blutigen Spritzen am Boden die Treue hielt.
Seit gut 40 Jahren lebt sie in einer kleinen Stadtwohnung am Limmatplatz, fünf Gehminuten vom ehemaligen Drogen-Hotspot entfernt, an dem sich im Sommer heute Sonnenhungrige schwitzend auf Holzbrettern aneinanderreihen. «Das waren andere Zeiten damals», pflegte Frau Bonnet stets zu sagen, als wir vor wenigen Jahren regelmässig gemeinsam unter den Bäumen unseres Innenhofs sassen, während meine Kinder und ihre Enkelkinder im Sandkasten Burgen bauten und sie mir Geschichten von Junkies, die mit Brechstangen in ihr Küchenfenster eindringen wollten, erzählte.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Statistiken zeigen: Stadtflucht war gestern. Dass die Kernstädte jüngst nicht mehr als unattraktiver Wohnort gelten, zeigen etwa die Auswertungen des sozialwissenschaftliches Planungs- und Entwicklungsbüros Zimraum zum Thema Familien und Kinder: So sei der Kleinkindanteil in den Grossstädten Basel, Zürich und Bern etwa gleich gross wie im übrigen Kanton. Zum Vergleich: Bis in die 1990er-Jahre lebten noch deutlich weniger Kleinkinder in den Grossstädten als im übrigen Kantonsgebiet.
Eine weitere Studie, diesmal von der Credit Suisse, besagt: Immer mehr junge Paare, die für Job und Ausbildung in die Städte gezogen sind, bleiben auch nach der Familiengründung in den Städten und wohnen lieber zur Miete. Die jungen Familien hätten die Vorzüge des Stadtlebens schätzen gelernt. «Sie profitieren davon, dass die Städte in vielerlei Hinsicht an Qualität gewonnen haben», sagt etwa CS-Immobilienanalyst Fabian Waltert in einem Artikel der NZZ am Sonntag. Das Stadtleben biete heute weniger Unannehmlichkeiten wie Verkehr, Luftbelastung oder Kriminalität und eine bessere Infrastruktur und mehr Angebote für Freizeit, Kultur und öV.
Die gestiegene Lebensqualität sei aber nicht der einzige Grund für die neue Popularität des urbanen Lebensstils. So würden junge Eltern nicht zuletzt dank den guten Betreuungsmöglichkeiten vom traditionellen Rollenmodell abrücken. Junge Mütter gehen schneller wieder zur Arbeit. Und junge Väter wählen vermehrt Teilzeit-Jobs, von denen es in den Städten schlicht mehr gibt als auf dem Land.
Auch ich habe mich mit meinem Partner dazu entschieden, unsere Kinder in der Stadt grosszuziehen. Hier sind 8 zugegebenermassen nicht sehr objektive Gründe, wieso Zürich mit Kindern grossartig ist. Tsüri-Love halt.
1. «Bullerbü» existiert auch in der Stadt
Ja, wir haben Glück. Sehr grosses Glück sogar. Wir wohnen in einer wunderschönen städtischen Siedlung, von der aus man innert fünf Gehminuten im Wald und mit dem Velo innerhalb der gleichen Zeit unten am Limmatplatz ist. An warmen, langen Sommerabenden streifen hier Kinder in grossen Gruppen zwischen den Häusern und auf den Wiesen umher, übernachten in Tipis und bauen sich Geheimverstecke. Sie können ohne Begleitung in den Kindergarten, den Supermarkt um die Ecke, den ein paar wenige Busstationen entfernten Hip-Hop-Kurs oder in die Schule laufen.
Doch nicht nur bei uns im Kreis 6 geht es ziemlich gemütlich zu und her – wer will, findet in so manchem Quartier ein kleines Paradies für sich und seine Kleinen. Und wer lieber ein bisschen mehr «Downtown» wohnt: Es muss ja nicht gleich ein ganzer Park sein. Auch von aussen unscheinbare Innenhöfe können für ihre Anwohner*innen einen ganz eigenen, kleinen Kosmos bedeuten. Und im Notfall ist man an den Wochenenden innerhalb einer kurzen Zugfahrt mitten in einer wunderschönen Berglandschaft.
2. Gemeinsam statt einsam: Bildet Banden
Okinawa, das im ostchinesischen Meer liegt, wird auch als «blaue Zone» bezeichnet, als ein Gebiet, in dem einige der ältesten Menschen der Welt leben. Mehr als 1000 Einwohner*innen sollen dort, auf den «Inseln der Unsterblichen», während der vergangenen 40 Jahre mehr als 100 Jahre alt geworden sein. Ihr Schlüssel zu einem langen Leben: Aktiv bleiben durch Bewegung und – soziale Kontakte. Als weiteres Lebenselixier bezeichnen die Einheimischen «moai», eine lokale Tradition der Gruppenunterstützung und der Kameradschaft zwischen den Bewohner*innen, die jahrzehntelang andauern kann.
Vielleicht sind meine Nachbar*innen und ich keine «Okinawaianer*innen», dem Klischee der anonym nebeneinander her lebenden Stadtbewohner*innen werden wir aber nicht gerecht. Wir organisieren uns in Mittagstischen für unsere Kinder und auch sonstigen spontanen Betreuungseinsätzen, treffen uns zum gemeinsamen Grillieren über der grossen Feuerschale inmitten unserer Siedlung oder halten vor dem steinernen Brunnen einen Schwatz, während die Kleinen mit den Bobbycars um unsere Beine düsen. Das ist ein Zusammenleben, das ich während meiner Kindheit in unserem Einfamilienhaus auf dem Land nicht kannte. Wir hatten zwar eine Terrasse mit Blick auf den Zürichsee, dafür (fast) keinen Besuch unserer Nachbarn. Soviel zum «Hüsli»-Traum frischgebackener Eltern, den ich nie ganz verstanden habe.
3. Die Sache mit den Jobs – und den Kitas
Zürich ermöglicht meinem Partner und mir, spannenden Jobs – und das sogar Teilzeit – nachzugehen und unsere Kinder dank einem kurzem Arbeitsweg jeweils pünktlich von der Kita oder dem Hort abzuholen. Und wenn wir schon bei Letzteren sind: Zürich möchte mit dem Pilotprojekt «Tagesschule 2025» als schweizweit erste Stadt flächendeckend alle Volksschule zu Tagesschulen umwandeln, um Eltern die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie zu erleichtern. Zudem gibt es hier subventionierte Kita- und Hortplätze. Das ist nicht überall so. Meine Freundin Mona wohnt auf dem Land. Dort gibt es zwar ein paar Kitas, die ausserschulische Betreuung wird jedoch gänzlich auf die Familien abgewälzt. Das führt dazu, dass ein Elternteil, in vielen Fällen die Mutter, beruflich zurückstecken muss.
4. Wir sind alle anders – und das ist auch gut so
Seit jeher sind Städte die Orte, an denen sich Menschen mit unterschiedlichen Identitäten, Lebensstilen und Gewohnheiten begegnen. So verschieden die Herkunftsorte und die Motivationen sind, so vielfältig zeigen sich die kulturellen Prägungen der Menschen – auch in Zürich, das zwar klein, dafür aber divers ist. Meine Kinder sollen ein Zusammenleben in Vielfalt und Offenheit sowie Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Sprache erleben. Dem Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen zum Trotz.
5. Man kann hier echt günstig wohnen – wenn man denn Glück hat
Zürich beheimatet nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch prozentual am meisten gemeinnützige Wohnungen im Vergeich zu anderen Schweizer Städten. Ihr Anteil liegt gemäss Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) bei 18 Prozent. Die Stadt Zürich besitzt zudem zahlreiche eigene Wohnungen, die sie direkt oder über öffentlich-rechtliche Stiftungen vermietet. Zählt man diese zu den gemeinnützigen Wohnungen hinzu, kommt man sogar auf über 23 Prozent.
Und wie alle wissen, hat man mit Kindern gute Chancen, eine Stadtwohnung oder eine Genossenschaftswohnung zu ergattern. Versucht euer Glück! Hier sind nützliche Links dazu:
6. 1001 Badi
Alle See-, Fluss- und Freibäder dieser Stadt besuchen und das in nur einem Sommer? Das habe ich mit meiner Familie noch nie geschafft. Zugegeben, der (Schatten)-Platz ist in Zürcher Badis oftmals limitiert, trotzdem scheint die Auswahl unendlich, Limmat und Zürichsee sei Dank!
7. Regen? Kein Problem
Bei schönem Wetter lockt die Stadt mit grünen Wäldern, Parks und zahlreichen Spielplätzen. Doch auch bei garstigem Wetter fehlt es nicht an Unterhaltung: Wieso nicht einmal der Stadtgärtnerei, dem Zoologischen Museum oder einem der vielen Gemeinschaftszentren einen Besuch abstatten?
8. Und wenn die Kleinen dann mal schlafen...
Das Wort «Spontan» ist im Wortschatz vieler Eltern eher selten anzutreffen. Wenn es abends dann doch einmal auf ein Bier mit Freund*innen gehen soll, ist dies einfacher zu bewerkstelligen, wenn man sich lediglich kurz auf den Velosattel schwingen und in die nächste Bar runterfahren kann ohne den Zug oder das Auto beanspruchen zu müssen. Tanzen geht in Zürich übrigens auch mit Kindern gut. Hier gilt wie bei den Badis: Alle Platzfeste und Stadt-Open-Airs (natürlich in Prä-Coronazeiten) in nur einem Sommer zu besuchen ist schier unmöglich, dafür gibt es einfach zu viele.
Das mache ich bei Tsüri:
Schreiben, recherchieren, hinterfragen, spannende Menschen porträtieren und euch von Dingen erzählen, von denen ihr noch nie gehört habt.
Das mache ich ausserhalb von Tsüri:
Zeit mit meiner Familie verbringen, Freunde am langen Holztisch in meiner Küche zum z‘Nacht versammeln.
Über diese Themen schreibe ich am liebsten:
Das Schöne an meinem Job ist es, dass ich mich nicht auf ein Thema festlegen muss.
Darum bin ich Journalistin:
Ich liebe es, Geschichten zu erzählen, Hintergründe transparent zu machen und Puzzleteile des Welt- bzw. Stadtgeschehens zusammenzufügen und in Worte zu fassen.
Das mag ich an Züri am meisten:
Die Sommerkonzerte an der Bäckeranlage, die über hundertjährige Siedlung, in der ich wohne und dass wir See und gleich zwei Flüsse haben, yeah!