Was wir Zürcher*innen nach der Trump-Wahl tun können
Auch hier in Zürich war primär Fassungslosigkeit über die Wahl Donald Trumps zu spüren. Wie konnte es dazu kommen? Wer, um Himmels willen, will einen solchen Mann als Leader der Nation? Und was hat das Ganze mit uns Zürchern zu tun?
Ein Essay über die Filterblase Zürich und den Aufruf, endlich zuzuhören. Wir sind jung, urban, meist sehr gut gebildet und können uns gar zur «Elite» zählen. Uns stehen alle Türen, alle Wege offen. Oft sind wir orientierungslos ob der vielzähligen Auswahlmöglichkeiten. Wir sind uns kulturelle Vielfalt gewohnt. Wir schätzen asiatisches Essen, russischen Vodka, skandinavische Designer – wir fühlen uns wohl in der multikulturellen Gesellschaft Zürichs. Wir spenden unsere Kleider an Flüchtlingsheime, haben eine Soli-Karte und gehen fleissig abstimmen. Wir stehen ein für Freiheit, eine offene Gesellschaft und schätzen den Austausch zwischen allen Kulturen. Weil wir es so gelernt haben. Weil wir denken, das sei die «richtige» Denkweise. Weil wir alle anderen – jeder, der zweifelt, der Angst vor dem Fremden äussert, der Grenzen und Mauern will – verteufeln. Wir haben alle aufgeschrien, als die Masseneinwanderungs-Initiative und die Abstimmung gegen den Bau von Minaretten tatsächlich angenommen wurden. Haben uns die Augen gerieben ob des Brexits. Waren schockiert über den grossen Erfolg der AFD, die über 20% der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern erreichen konnte. Und jetzt das Trump-Desaster. Langsam sind wir ratlos. Und stellen uns die Frage, wer sie denn sind, diejenigen, die Zäune, Mauern und möglichst keine Einwanderer wollen? Die Angst vor dem Islam und Minaretten haben?
Guten Morgen Amerika! Donald Trump ist der neu gewählte Präsident. (Quelle: Facebook/Paul Kirby)
Zürich – das andere Kuala Lumpur? Ich habe zwanzig Jahre lang auf dem Land gelebt, bin in einem 2000-Seelen-Dorf aufgewachsen. Meine Familie ist geprägt vom Vereinsleben, von der starken Vernetzung und dem Zusammenhalt innerhalb des Dorfes. Jeder kennt jeden. Zürich ist dort, in Stadel, eine echte Grossstadt. Zürich liegt in weiter Ferne, ist etwas Fremdes. Ab und zu besuche ich die eine oder andere Vereinsveranstaltung. Dann werde ich gefragt: «Wie ist es denn so in diesem Zürich?». Und ich frage mich: «Na, wie soll es denn sein?». Kann Zürich so exotisch wirken, dass es für sie dasselbe ist, wie wenn ich jedes Mal aus Kuala Lumpur zurückkehrte? Ja, kann es. Der Kanton Zürich ist geteilt in 168 Gemeinden. Der grösste Teil dieser Gemeinden hat weniger als 20'000 Einwohner. 95.3% der Bevölkerung des Kantons wohnt nicht in der Stadt, sondern in der Agglomeration oder in ländlichen Gebieten. In der Stadt Zürich bewegt man sich in seinem eigenen, vergleichsweise kleinen Mikrokosmos. Man hat alles, was man braucht, umgibt sich mit Gleichgesinnten und sieht keinen Grund, die Stadtgrenzen Richtung Land je zu verlassen.
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Ich kann es vielleicht als mein Glück bezeichnen, dass ich beide «Welten» kenne. Dass ich mich in der Stadt und auf dem Land zurecht finde. Doch auch ich orientiere mich je länger je mehr nur noch am Mikrokosmos Zürich. Und vergesse die Menschen jenseits der Stadtgrenzen. Denn dort gibt es viele, die sich vor der ansteigenden Zahl Flüchtlinge fürchten. Die ihre eigene wirtschaftliche Existenz, ihre Werte, ihre Kultur und Traditionen von der steigenden Einwanderung in Gefahr sehen. Die sich vernachlässigt und überhört fühlen von «denen in Bern». Ein Stammtischgespräch Ich kann mich gut an ein «Stammtischgespräch» mit einem Bauern erinnern, der mir von eben jenen Ängsten und Sorgen berichtete. Er hat mir weisgemacht, alle Ausländer seien kriminell, die sollen nur ausgeschafft werden. In Schweizer Gefängnissen hätten sie ja noch ein gutes Leben. Auch hier im Dorf sehe man immer mehr von diesem «Pack». Die sollen doch alle wieder verschwinden. Die Flüchtlinge seien weder auf der Flucht noch an Leib und Leben bedroht. Sie kämen lediglich, um Geld zu verdienen, oder noch schlimmer, um auf Kosten unseres Sozialstaates ein schönes Leben zu geniessen. Und er «krampfe» dann täglich dafür. Danach musste ich erst einmal leer schlucken. Ich habe ihm versucht zu erklären, dass vieles, was in Zeitungen steht, sehr einseitig geschrieben ist. Dass es nur die «Ausländer» in die Zeitung schaffen, die kriminell geworden sind. Weil alles andere keinen Newswert hat und im Dunkeln bleibt. Nur Titten, Tote und Tiere erringen eine genug grosse Reichweite. Doch es hatte keinen Zweck. Ich wurde wütend, er wurde wütend. Und wir liessen das Ganze dann ziemlich schnell bleiben. Seither reagiere ich auf solche Aussagen nur noch mit verständnislosem Kopfschütteln und denke mir «ach, diese rassistisch geprägten Hinterwäldler in dieser SVP-Hochburg, zum Glück bin ich hier weggezogen». Das klingt jetzt vielleicht harsch. Aber das denke ich tatsächlich. Das heisst nicht, dass ich das Dorf nicht liebe. Dass ich nicht gerne Vereinsveranstaltungen besuche. Dass ich die Menschen dort nicht schätze. Es heisst nur, dass ich mich so wenig wie möglich mit dem dort primär vorherrschenden Gedankengut auseinandersetzen will. Weil ich mein eigenes, offenes, linkes und soziales Gedankengut für besser halte. Für das einzig Richtige. Und genau hier liegt vielleicht das Problem. Das Problem, mit dem nicht mehr nur Europa, sondern nun auch Amerika nach der Wahl von Donald Trump zu kämpfen hat: Der Siegeszug von Populismus und Rechtsextremismus, von Pauschalisierung, Diskriminierung und gefährlicher Komplexitätsreduktion. Wir müssen endlich zuhören Nicht nur die Demokraten in den USA oder die EU-freundlichen Briten bewegten sich in einer Filterblase und wähnten sich als Mehrheit gemeinsam in Sicherheit. Auch wir – hier in der Stadt – tun es. Wir umgeben uns mit Menschen, die über ein ähnliches Bildungsniveau verfügen, die gleich denken und ähnlichen Kummer haben. Alle anderen sollen ja lieber aussen vor bleiben. Weil es zu anstrengend ist. Es kostet Nerven, sich mit dem Bauern aus der Kneipe zu unterhalten. Noch mehr Aufwand ist es, sich die Mühe zu machen, seine Sorgen nachzuvollziehen zu versuchen und ernst zu nehmen. Doch wir müssen es versuchen. Denn auch wir gehören nicht zur Mehrheit. Wir müssen ausbrechen aus unserer heimeligen, bequemen Stadtblase. Denn es ist an der Zeit, hinzuhören. Wir müssen die Ängste und Sorgen Andersdenkender ernst nehmen. Sie gleichsam versuchen zu verstehen, um sie dann, in einem nächsten Schritt, zu entschärfen. Wir müssen unsere eigenen Scheuklappen ablegen. Unser eigenes Schubladendenken erweitern. Damit wir gemeinsam mit dem Bauern vom Stammtisch einen Schritt nach vorne machen können. Und nicht zwei zurück.
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Von oben und von unten Das ist einfacher gesagt, als getan. Und es liegt auch nicht nur an jedem einzelnen. Auch auf politischer Ebene muss etwas geschehen. Doch was und vor allem wer uns wirklich vor Rechtsextremimus uns Diskriminierung bewahren soll darüber kann nur spekuliert werden. Vielleicht ist es Humor und ein Kandidat, der einen ähnlich kometenhaften Aufstieg schafft wie der Isländische Jon Gnarr? Gnarr gelang es mit seiner gegründeten Spassgruppe «Besti flokkurinn» (Die beste Partei) bei den Wahlen zum Reykjaviker Stadtparlament die Konservativen, Sozialdemokraten und Linksgrünen auf die hinteren Plätze zu verweisen – hier liest du das Interview von Tsüri mit Jon Gnarr.
Womöglich funktioniert aber auch eine Bewegung wie die Operation Libero, die sich mit den Worten «Jetzt reichts!» für eine weltoffene, moderne und zukunftsgerichtete Schweiz einsetzt. Im Gegensatz zur SP wirkt die Operation Libero zugänglicher, volksnaher und vor allem verständlicher. Die SP, als die eigentlich Arbeiterpartei, muss aufhören sich einer elitären und akademischen Sprache zu bedienen und sich direkt und verständlich an jene wenden, die sie ursprünglich zu vertreten glaubt. Ob die neu ausgerufene «Klassenkampfstrategie» dieses Ziel erreicht, bleibt offen.
Es braucht also Annäherung von oben – von den politischen «Eliten» als auch von unten, von jedem Einzelnen. Es braucht neue Ideen und Einfälle, um jene zu erreichen, die sich als die Missverstandenen und Ungehörten fühlen. Und allen voran braucht es zwei Dinge: Mut und Wille.
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Titelbild: Screenshot/Instagram
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