Von Rechtsextremen genutzte Symbole bei Zürcher Polizei weit verbreitet
Mitarbeitende der Stadtpolizei Zürich posieren in den sozialen Medien mit Symbolen, die auch von Rechtsextremen genutzt werden. Das Ausmass erschreckt selbst Expert:innen. Die Polizei weicht aus.
Das Plakat zeigt zwei furchteinflössende Totenschädel aus dem Marvel-Film «The Punisher». Es ist von der Strasse her gut sichtbar und hängt in einem Grossraumbüro der Kriminalpolizei der Stadt Zürich. Der Schädel wird international von Rechten und rechtsextremen Sicherheitskräften genutzt.
Der Protagonist, ein ehemaliger Marine-Soldat, verliert im Film bei einer Schiesserei seine ganze Familie, woraufhin er einen Rachefeldzug startet und in Selbstjustiz die Täter umbringt – der Punisher kennt keine Moral und keine Bedenken an gewaltsamen Morden für die Gerechtigkeit.
Ein geeignetes Idol für die Kriminalpolizei Zürich?
Wer in den öffentlich zugänglichen Social-Media-Accounts der rund 350 Mitarbeitenden der Stadtzürcher Kriminalpolizei recherchiert, stösst noch auf ein zweites problematisches Symbol: The Thin Blue Line. Diese Recherche zeigt erstmals auf, wie weit verbreitet das Motiv in Zürich ist, das weltweit von Rechtsextremen genutzt wird – oftmals zusammen mit dem Schädel des Punishers.
Knapp zehn Prozent aller Polizist:innen im Dienst der Kriminalpolizei posten in den sozialen Medien Flaggen, Embleme oder Sticker von der dünnen blauen Linie, wie diese Recherche von Tsüri.ch zeigt. Darunter auch der «Chef Ermittlungen» der Stadtpolizei Zürich.
Doch nicht nur auf den öffentlich zugänglichen Social-Media-Profilen der Mitarbeitenden ist die blaue Linie präsent. Ein Foto aus einem Stadtzürcher Polizeigebäude zeigt, dass der ganze Flur durchgehend auf beiden Seiten mit der blauen Linie ausgekleidet ist – klar erkennbar als solche auch an den schwarzen Seitenstreifen.
Das Bild sei alt, schreibt die Stadtpolizei auf Anfrage, «der betreffende Flur sieht schon länger nicht mehr so aus». Diese Angabe lässt sich nicht unabhängig überprüfen, der Facebookpost stammt von Anfang April dieses Jahres.
Das Motiv ist in Zürich bereits einmal öffentlich aufgetaucht. Im Jahr 2023 hat eine Flagge mit The Thin Blue Line in einem Polizeigebäude für Aufregung gesorgt, wie im Tagesanzeiger zu lesen ist. Das Symbol musste daraufhin abgehängt werden. Den Zürcher Polizist:innen ist also durchaus bewusst, dass diese Linie problematisch ist.
Dies beweist auch folgende Unterhaltung auf Facebook: Auf die Frage eines Users, ob solche Fahnen entfernt werden müssen, prahlt ein Stadtpolizist auf seinem Profil: «No Comment. Meine Fahne hängt noch.» Ob diese in seinem privaten Zuhause oder auf einem Polizeiposten hängt, ist nicht bekannt.
«Klarer wird es bei der Polizei nicht»
Die Zürcher Stadtpolizist:innen nutzen keine offensichtlich rechtsextremen Symbole wie Hakenkreuze oder posten antisemitische Sprüche in den sozialen Medien. Für den ZHAW-Professor und Extremismusforscher Dirk Baier keine Überraschung. Den Polizist:innen sei durchaus bewusst, wo die Grenzen sind: «Die vorliegenden Symbole sind subtil, aber klarer wird es bei der Polizei nicht mehr.»
Dies nennt man «Dog Whistling». Ein Symbol wird von Aussenstehenden nicht erkannt und als unverfänglich eingeordnet, Eingeweihte verstehen aber sehr wohl seine Bedeutung. Eben wie die Hundepfeife, die aufgrund der hohen Frequenzen nur von Hunden gehört wird.
Ähnliche Herkunft der beiden Symbole
The Thin Blue Line und der Schädel des Punishers haben eine ähnliche Geschichte und tauchen in den gleichen Szenen auf. Der Punisher, dessen Schädel derzeit in einem Büro der Stadtpolizei zu sehen ist, kommt wie der gleichnamige Film aus den USA und hängt mit der Black-Lives-Matter-Bewegung zusammen.
Die Bewegung erlangte internationale Bekanntheit durch Demonstrationen, die auf die Todesfälle zweier Afroamerikaner 2014 folgten: Es kam zu Unruhen in diversen Städten. Rassistische Polizeigewalt, Racial Profiling und das US-Justizsystem standen im Fokus der Demonstrationen. Als Solidaritätszeichen untereinander etablierten Polizist:innen den Punisher als ihr gemeinsames Symbol. Mittlerweile hat sich der Totenschädel unter rechten und rechtsextremen Polizist:innen verbreitet, schreibt das Global Network on Extremism and Technology.
Im Jahr 2019 sagte der Deutsche Kriminologe Martin Thüne zum Spiegel: «Im Fall des Punishers schwingt das Gefühl mit, selbst mit der Waffe loszuziehen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Polizisten sollen aber Freund und Helfer sein und keine selbstgerechten Killermaschinen.»
Die Grenze zum Abgrund
Auch die dünne blaue Linie ist ein Solidaritätszeichen, hat jedoch noch eine zusätzliche Bedeutung: Sie steht für die Grenze zwischen der anständigen Gesellschaft und dem Chaos. Nur Sicherheitskräfte können die Linie und damit das Abrutschen in den gewalttätigen Abgrund verteidigen, so das Selbstverständnis. Auf Instagram schreibt die Schweizer Community: «Wenn diese Linie bricht, sind die Türen zur Hölle offen.» Und: «Die Mitglieder meines Clubs sind trainiert, bewaffnet und gefährlich.»
Seit einigen Jahren hat sich die Bedeutung weiterentwickelt: Als 2017 ein rechtsextremer Mob in der US-Stadt Charlottesville aufmarschierte, schwangen dort ebenfalls Flaggen mit der blauen Linie. Auch beim Sturm aufs Capitol und weiteren Auftritten von Neo-Nazi- und White-Supremacists-Gruppen ist die blaue Linie mit dabei, zeigt dieser Artikel von GNET Research.
Das Symbol ist immer wieder in den Schlagzeilen – in den USA, Frankreich, England, Deutschland und auch der Schweiz. In der Kantonspolizei Waadt ist die blaue Linie mittlerweile verboten.
«Mitgliedschaft wird nicht toleriert»
Mindestens sieben Monate lang hängt das Plakat im Büro der Kriminalpolizei im Kreis 5 – zwei Totenschädel, dazwischen der Teamname «Einsatzgruppe 2» in einer Frakturschrift. Eingegriffen hat niemand. Dabei ist dessen Bedeutung auch der Stadt Zürich bekannt. Neben der Verwendung des Schädels auf Fahnen, Abzeichen und Stickers haben Polizist:innen in verschiedenen Ländern Motorradgangs mit dem Namen Punisher gegründet.
Im Jahr 2022 gab der Stadtrat im Parlament unmissverständlich zu Protokoll, dass eine Mitgliedschaft von Stadtpolizist:innen beim Motorradclub «The Punisher» problematisch sei. Es könne irritieren, wenn Polizist:innen «in einem Verein als verbindendes Element ihren Polizeiberuf betonen». Eine Mitgliedschaft in diesem Motorradclub werde von der Geschäftsleitung der Stadtpolizei «nicht toleriert».
Wie ein solches Nicht-Tolerieren aussehen kann, zeigt der Kanton Aargau. Dort schreibt der Regierungsrat auf eine Anfrage aus dem Parlament, bei einer Mitgliedschaft bei den Punishers würden personalrechtliche Konsequenzen ergriffen.
Wie kann es sein, dass niemand aus dem Grossraumbüro, keine Arbeitskolleg:innen, niemand aus der Chefetage gegen das Plakat mit den beiden Punisher-Totenschädeln vorgeht? Wie beurteilt die Polizei, dass ein von Rechtsextremen benutztes Symbol in ihrem Büro hängt?
Diese Fragen liess die Medienstelle unbeantwortet. Nur so viel: Die beiden Totenköpfe hat die Stadtpolizei inzwischen entfernen lassen.
Männliche, rechte Ästhetik
Auffallend ist die Ästhetik der Facebook- und Instagramprofile, auf denen Embleme der Blue Line auftauchen: dicke Sonnenbrillen, starke Oberarme, Tattoos, Motorräder, ländlicher Hintergrund – in den allermeisten Fällen sind es männliche Polizisten. «Diese Männlichkeit, inszeniert durch Mut und Stärke, Körperlichkeit und Kampfsport ist ein Trend bei den Rechten», erklärt Damir Skenderovic, Experte für die radikale Rechte und Geschichtsprofessor an der Universität Freiburg.
Das öffentliche zur Schau stellen von Symbolen wie der blauen Linie und dem Punisher zeuge zumindest von einem problematischen Selbstverständnis der betroffenen Polizist:innen, es fehle ein internes Regulativ, sagt Extremismusforscher Dirk Baier. Obwohl die Mitarbeitenden der Stadtpolizei angehalten sind, solche Symbole nur mit grösster Zurückhaltung zu verwenden, posten es zahlreiche auf Facebook oder können das Poster mit dem Punisher monatelang hängen lassen: «Wenn Vorgesetzte solche Symbole im Gebäude entdecken, müssen sie sofort reagieren – das ist nicht tolerierbar», so Baier.
Ähnlich sieht es auch Skenderovic: «Entweder wissen die Vorgesetzten nicht, was diese Motive bedeuten und tolerieren es darum, oder sie wissen ganz genau, wer diese sonst noch nutzt und lassen es darum durchgehen.» Beides sei problematisch.
Hierzulande fehle es klar an Sensibilisierung. «In der Schweiz gab es Verbindungen der rechtsextremen Szene bis in die Polizei. Wir tun uns schwer damit und schauen lieber weg», sagt Skenderovic.
Beim Zürcher Polizeiverband seien die beiden Motive derzeit kein Thema, wie der Präsident Werner Karlen auf Anfrage mitteilt. The Thin Blue Line stelle für Aussenstehende «zunehmend ein politisches Zeichen dar», welches für politische Zwecke missbraucht werde. Für die meisten Polizist:innen hingegen sei es ein Symbol für «die Zugehörigkeit zur Polizeigemeinschaft und für die Solidarität mit den im Dienst verletzten Kolleg:innen».
Auf Anfrage teilt die Stadtpolizei mit, dass alle Mitarbeitenden bereits im Rahmen des Anstellungsverfahrens gründlich überprüft würden: «Bei politischen und religiösen Einstellungen sowie in der äusseren Erscheinung werden keine Extreme geduldet.»
Ein generelles Verbot von The Thin Blue Line gibt es hingegen nicht, wie die Medienstelle schreibt. Die Mitarbeitenden würden aber auf das Thema sensibilisiert. Im beruflichen Kontext sei das Tragen der blauen Linie untersagt, «das heisst, dass auf der Uniform keine Badges oder Abzeichen getragen werden dürfen». In den sozialen Medien ist das Verbreiten des Symbols hingegen nicht untersagt.
Wie beurteilt die Stadtpolizei, dass ihre Mitarbeitende ein Motiv verbreiten, das international von Rechtsextremen genutzt wird? Diese Frage lässt die Medienstelle unbeantwortet.
Verbindung zu den Rechten
Obwohl in der Schweiz bisher keine explizite Forschung über The Thin Blue Line oder The Punisher besteht, erstaunt die Verbindung zwischen der Rechten und der Polizei den Experten nicht. Das sei ein europaweites Phänomen, diverse internationale Studien beweisen eine gewisse Anfälligkeit von Polizist:innen für Rechtsextremismus.
Ein Teil dieser Gesinnung sei oft die Idee von Recht und Ordnung, welche mit harten, repressiven Mitteln durchgesetzt werden müsse – wie eben bei der dünnen Linie zwischen Chaos und Ordnung, die von den Sicherheitskräften verteidigt wird.
Bei den untersuchten Social-Media-Profilen von Zürcher Polizist:innen gibt es keine offensichtliche Überschneidung mit dem rechtsextremen Milieu. Dennoch gibt es die Verbindung von der Schweizer Thin-Blue-Line-Community zu rechtsextremen Gruppierungen. Auf TikTok, Instagram und Facebook wird der fliessende Übergang von Polizei und The Thin Blue Line hin zu bekannten Verschwörungstheoretikern und auch Neo-Nazi-Aktivist:innen von beispielsweise der Jungen Tat anhand der gegenseitigen Follower sichtbar. Gleichzeitig erklärt Baier, wer The Thin Blue Line in den sozialen Medien postet, sei zwar autoritär, vermutlich auch rechts, aber nicht zwingend rechtsextrem.
Ein deutsches Recherchekollektiv, das sich intensiv mit der Polizei und rechten Netzwerken beschäftigt und anonym bleiben will, fasst es gegenüber Tsüri.ch so zusammen: Wer Symbole wie den Punisher und The Thin Blue Line nutzt, sei nicht per se rechtsextrem, problematisch sei jedoch, dass die Verbreitung der Symbole in der rechten Szene bekannt ist und keine Abgrenzung bestehe.
Oder anders formuliert: Wer diese Symbole nutzt, hat kein Problem damit, mit Rechtsextremen in einen Topf geworfen zu werden.
Diese Recherche wurde ermöglicht und finanziell unterstützt durch «investigativ.ch: Recherche-Fonds der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung».
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