Dieser neue Stollen schützt Zürich vor Überschwemmungen
Ab 2026 soll der Entlastungsstollen Sihl-Zürichsee aushelfen, wenn zu grosse Wassermassen durchs Tal rauschen. Um den Tunnel zu besichtigen, gibt es nur eine Gelegenheit: an diesem Wochenende.
Besser Vorsicht als Nachsicht: Der Kanton Zürich realisiert zwischen Langnau am Albis und dem Zürichsee einen zwei Kilometer langen Entlastungsstollen, der die Stadt vor einem Sihl-Hochwasser schützen soll. Seit März 2022 wird gebaut, 2026 soll das Projekt fertig werden. Bereits vollendet ist die Stollenröhre – und für die Öffentlichkeit bietet sich am Samstag und Sonntag die erste und einzige Gelegenheit, in die Röhre zu schauen und hindurch zu laufen. «Wir sind es der Bevölkerung schuldig, ihr einmal dieses Bauprojekt zu zeigen», sagt Wolfgang Bollack, Mediensprecher der Baudirektion.
Seit 2022 wird in Langnau am Albis gebaut. (Bild: Dominik Fischer)
Im November 2024 gelang dem Bau-Team der Tunneldurchstich. (Bild: Dominik Fischer)
Zwei Kilometer lang ist der Tunnel und führt von Langnau durch den Zimmerberg bis Thalwil. (Bild: AWEL)
Auch Martin Neukom, der Regierungspräsident und Baudirektor des Kantons Zürich, wird am Wochenende zugegen sein. Neukom bezeichnet den Entlastungsstollen als «Jahrhundertbauwerk». Die 175 Millionen Franken für den Stollen seien gut investiert, denn im Falle eines Hochwassers an der Sihl gäbe es für Zürich ein Schadenspotential von über sechs Milliarden Franken. Dazu kommt: «Mit dem Klimawandel nimmt das Risiko eines extremen Hochwassers sogar noch zu.»
Kanton zieht Konsequenzen aus Hochwasser vor 20 Jahren
Der Entlastungsstollen ist eine von mehreren Massnahmen, mit denen der Kanton Zürich auf das verheerende Hochwasser aus dem Jahr 2005 reagierte. Dieses ereignete sich zwar nicht im Sihltal, sondern im Berner Oberland, dennoch entging Zürich nur knapp grossen Hochwasserschäden. Darauffolgende Analysen zeigten: Wäre das Niederschlagszentrum über dem Einzugsgebiet der Sihl gelegen, wäre diese über die Ufer getreten – mit schwerwiegenden Folgen.
«Mit dem Klimawandel nimmt das Risiko eines extremen Hochwassers sogar noch zu.»
Martin Neukom, Regierungspräsident und Baudirektor des Kantons Zürich
Bereits 2007 wurde als erste Massnahme die Flusssohle beim Hauptbahnhof abgesenkt, sodass mehr Wasser unter dem HB durchfliessen konnte. Im Jahr 2017 wurde schliesslich oberhalb von Langnau am Albis ein Schwemmholzrechen installiert. Dieser verhindert Verstopfungen durch Schwemmholz und schützt so insbesondere den Zürcher HB vor Hochwasser.
Als abschliessende und umfangreichste Massnahme dient der neue Entlastungsstollen. 6,6 Meter breit, führt dieser quer durch den Zimmerberg und endet im Auslaufbauwerk in Thalwil, dem «Filetstück des Projekts», wie es der Bauleiter Adrian Stucki bezeichnet. 90 Meter vom Ufer entfernt und in einer Tiefe von 4,5 Metern wird das Wasser dort in den Zürichsee geleitet. Eine sogenannte Toskammer fängt das Wasser auf und bremst es ab, bevor es in den See eintritt und generiert dabei noch thermische Energie.
Beinah wäre die Sihl im Jahr 2005 über das Ufer getreten. (Bild: Baudirektion Kanton Zürich )
Als Reaktion darauf senkte der Kanton im Jahr 2007 die Flusssohle beim HB ab... (Bild: AWEL)
...und stellte 2017 einen Schwemmholzrechen oberhalb von Langnau am Albis fertig. (Bild: AWEL)
Ab einer Fliessmenge von 250 Kubikmetern pro Sekunde soll der neue Tunnel künftig zum Einsatz kommen und Wasser auffangen. Das war 2005 der Fall. Damals donnerten 300 Kubikmeter pro Sekunde – also 300’000 Liter Wasser pro Sekunde – die Sihl hinab und setzten Zürich beinah unter Wasser. «Aber auch Fliessmengen von 400 bis 500 Kubikmeter pro Sekunde sind möglich», mahnt der Mediensprecher Wolfgang Bollack.
Geschehen ist dies bei Zürichs letzter grosser Flutkatastrophe im Sommer 1910, als 450 Kubikmeter pro Sekunde die Sihl herabströmten und die Zürcher Innenstadt und das Limmattal unter Wasser setzten. Mit dem neuen Stollen ist Zürich für Wassermengen bis zu 600 Kubikmetern pro Sekunde gewappnet. «Schlimmer als das wird es statistisch nur alle 500 Jahre», sagt Bollack.
Und was, wenn sich vor der Inbetriebnahme im Jahr 2026 ein Jahrhundert-Unwetter zusammenbrauen würde? «Das wäre ein absolutes Albtraumszenario, das aber sehr unwahrscheinlich ist», antwortet der Projektleiter Adrian Stucki und fügt an: «2027 darf ein solches Unwetter gerne kommen.» Auch Wolfgang Bollack gibt zu bedenken, dass der Sommer schon beinah vorbei ist und die Hochwassergefahr deshalb geringer ist. Dennoch gelte bis zur Inbetriebnahme des Stollens: «Holz ahlange.»
Jahrmarkt-Stimmung beim Kanton Zürich
Für den Infoanlass vom Wochenende setzt der Kanton auf Jahrmarkt-Stimmung: Neben der Stollenwanderung als eigentlicher Attraktion gibt es Essensstände, eine Schiessbude, ein Karussell, ein Filmzelt und Live-Musik. Shuttlebusse bringen die Besucher:innen vom Tunnelausgang zu den Bahnhöfen Thalwil und Langnau oder zurück zum Tunneleingang. Auto-Parkplätze werden nicht bereitgestellt.
Alle knapp 11’000 Gratis-Tickets für die Stollen-Besichtigung wurden bereits vergeben. Doch auch ohne Ticket haben Interessierte vor Ort noch Chancen auf eine Tunnelbesichtigung.
Ab 2026 können Wassermengen im Stollen aufgefangen und bei Thalwil in den Zürichsee geleitet werden. (Bild: Baudirektion Kanton Zürich)
Eine schwere Überschwemmung gab es in Zürich zuletzt 1910. (Bild: AWEL)
450'000 Liter pro Sekunde führte die Sihl und setzte weite Teile Zürichs unter Wasser. (Bild: AWEL)
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!
Bachelorstudium in Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich, Master in Kulturanalyse und Deutscher Literatur. Während des Masters Einstieg als Redaktionsmitglied in der Zürcher Studierendenzeitung mit Schwerpunkt auf kulturellen und kulturkritischen Themen. Nebenbei literaturkritische Schreiberfahrungen beim Schweizer Buchjahr. Nach dem Master Redaktor am Newsdesk von 20Minuten. Nach zweijährigem Ausflug nun als Redaktor zurück bei Tsüri.ch