Wie ein Tunnel eine gute Initiative sabotiert
Soll am Mythenquai in Zürich ein Park entstehen oder nicht? Über diese Frage entscheidet am 3. März die Stadtzürcher Stimmbevölkerung. Für unseren Kolumnisten Thomas Hug indes ist klar: Die Regierung verhindert eine ernsthafte Auseinandersetzung damit, weil ihr Vorschlag auch einen Autotunnel vorsieht – und diese hätten es bei Abstimmungen schwer.
2024 wird aufregend. Und politisch. Denn dieses Jahr verspricht sich die Verkehrswende auch, an der Urne zu entscheiden. Zu neuen Autobahnen, längeren Flughafen-Pisten, einem Uferweg für alle, mehreren trügerischen Tempo-30-Verbots-Initiativen werden die Stimmberechtigten ein Urteil abgeben können. Dieses Jahr stellen wir die Weichen für die Zukunft der Mobilität.
Mindestens eine Vorlage dürfte aber schon Schiffbruch erlitten haben, bevor darüber überhaupt abgestimmt wurde. Obwohl sie ein absolut berechtigtes Anliegen hat: Das linke Seeufer in Zürichs Innenstadt vom Autoverkehr zu befreien. Dass sich die Initiative keine Chance ausrechnen muss, liegt an den Parolen der grössten Stadtzürcher Parteien: Von links bis rechts sagen alle Nein zu einem neuen Mythenpark.
Dass die Bürgerlichen gegen Initiativen ins Feld ziehen, die autofreie Orte fordern, erstaunt kaum. Etwas stutzig macht aber, dass auch linke Parteien sich nicht für die Mythenpark-Initiative erwärmen können. Der Hintergrund: Ein schlauer Winkelzug des Stadtrats.
Gemäss der Stadtregierung gibt es nämlich nur eine Möglichkeit, wie diese Initiative umgesetzt werden kann: Mit einem neuen Tunnel. Rund 250 Millionen Franken teuer wäre dieser und wohl maximal unbeliebt bei der Bevölkerung. Denn neue Autotunnels haben bei Abstimmungen zurecht einen schweren Stand – das hat nach der haushohen Niederlage beim Rosengartentunnel im Jahr 2020 auch die Zürcher Regierung gelernt.
«Mit einem politischen Schachzug hat der Stadtrat der Initiative frühzeitig den Wind aus den Segeln genommen.»
Thomas Hug
Nur diesmal weiss sie es für sich zu nutzen. Indem sie eine Tunnellösung vorschlägt, gibt sie der Initiative den vermeintlichen Todesstoss. Keine Partei – ausser scheinbar die Mitte – möchte heutzutage noch ernsthaft einen dreistelligen Millionenbetrag in einen Autotunnel investieren. Und nur die AL kämpft noch mit dem Versprechen für die Initiative, die stadträtliche Tunnellösung bei einem Ja dann auf parlamentarischem Weg zu versenken.
Ob es wirklich keine Alternative zum Tunnel gibt, lässt sich nur schwer sagen. Rund zwanzig Optionen hat die Stadt im Vorfeld geprüft. Was aber auffällt: Mit den Berechnungen wird die Stadt den eigenen Zielen nicht gerecht. Denn die errechnete Verkehrsbelastung für die Alfred-Escher-Strasse ergibt sich ziemlich genau aus der Summe mit dem verlagerten Verkehr vom Mythenquai. Der Knoten würde diese Verkehrsmenge nicht schlucken können.
Dabei unterläuft der Stadt aber ein Überlegungsfehler. Denn die Erfahrung zeigt, dass eine Kapazitätsreduktion den Autoverkehr in der Summe reduziert – und dieser nicht einfach gleich hoch bleibt. Verschiedene Studien haben das Phänomen solcher Verkehrsabnahmen bereits untersucht. Die Stadt Zürich selbst peilt eine Reduktion des Autoverkehrs um rund 30 Prozent an – plant die Strassenkapazitäten aber für den Autoverkehr von heute. So wird das kaum was mit der Reduktion des motorisierten Verkehrs.
Andere Städte machen übrigens vor, wie es gehen könnte. So wurde in Amsterdam diesen Sommer eine mehrspurige Strasse tagsüber ersatzlos gesperrt. Die Weesperstraat ist eine der grossen Einfallsachsen nach Amsterdam und noch stärker befahren als der Mythenquai. Die kürzlich publizierten Verkehrsdaten zeigen: Nur durch diese Massnahme ist der Autoverkehr in ganz Amsterdam um 3 Prozent gesunken – in der unmittelbaren Umgebung der Strasse sogar um 18 Prozent.
Einen ähnlichen Effekt könnte es in Zürich geben, wenn die Strasse am Mythenquai für Autos und Lastwagen gesperrt werden würde. Zwar wird im Zuge dessen auf der Alfred-Escher-Strasse lokal Mehrverkehr entstehen, aber dieser dürfte nicht so hoch sein, wie von der Stadt prognostiziert. Die neue Autoverkehrsbelastung in der Gegend wäre wohl in etwa vergleichbar mit der Langstrasse beim Limmatplatz – wobei auch einige Wohnhäuser diesem ausgesetzt wären. Dafür würde diese Verkehrsführung wahrscheinlich auch das restliche Seeufer entlasten. Zudem käme es entgegen der städtischen Prognosen ziemlich sicher gesamtstädtisch zu einer Abnahme des Autoverkehrs.
Aber zu dieser Diskussion kommt es leider nicht. Der Stadtrat will nichts von einem Kapazitätsabbau wissen und schlägt eine Variante mit Tunnel vor. So stimmen wir nur über eine Umsetzungsvorlage ab, die selbst die Initiant:innen nicht wirklich wollen. Mit einem politischen Schachzug hat der Stadtrat der Initiative frühzeitig den Wind aus den Segeln genommen – und kann sich so elegant den schwierigen Diskussionen entziehen.
Thomas Hug |
Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Stadtentwickler bei urbanista.ch und engagiert sich für zukunftsfähige Lebensräume – stets auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht von Arbeit, Aktivismus und Politik. Als Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität versucht Thomas eine menschenzentrierte Sicht auf die Mobilität zu fördern. Er ist eher Generalist mit dem Blick auf das Ganze wie Spezialist mit dem Auge fürs Detail. |
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