Urs Riklin (Grüne), der Gemeinderat mit dem blumigsten Vokabular
Urs Riklin ist Wirt, Lehrer in Ausbildung und für die Grünen im Kreis 3 im Gemeinderat. Dort ist er für seinen besonderen Wortschatz bekannt und dafür, dass er manchmal auch gegen seine Kommission stimmt.
Urs Riklin spricht gerne von «Rendite-Banditen», die im Zürcher Immobilienmarkt am Werk seien, von «Benzin-Zombies», welche Autoparkplätzen hinterher jammern würden und von einem «Flickenteppich», den die Veloinfrastruktur auf den Strassen von Zürich bilde.
Der Grünen-Politiker ist vielleicht der Gemeinderat mit dem blumigsten Vokabular. Das sei auch seinen Kolleg:innen schon aufgefallen. «Wer meine Voten im Gemeinderat hört, merkt schnell, dass ich einen gewissen Wortschatz pflege», so Riklin. Er arbeite gerne mit Sprache, sagt der 45-Jährige.
Dabei ist Riklin eigentlich in der Gastronomie tätig. Als stellvertretender Leiter arbeitet er in einem Betrieb in der Stadt, «der eine schöne Oase in Zürich bildet». Welcher das genau ist, verschweigt er.
Daneben mache er momentan die Ausbildung zur Lehrperson für allgemeinbildenden Unterricht für Berufslernende. «Seit einem Vierteljahrhundert sagen mir Freund:innen, dass ich eine geeignete Lehrperson wäre», so der gebürtige St. Galler. Er habe sich dem bisher jedoch verweigert. Doch «jetzt bin ich ein Mann mittleren Alters geworden», da schaue man nicht nur auf den bisher gegangenen Weg zurück, sondern überlege sich auch mit Blick nach vorne, wie es weitergehen könnte.
Auch in seiner politischen Karriere kann Riklin auf einiges zurückblicken: Seit 2014 ist er Parteimitglied der Grünen, einige Jahre später, 2019, «stand nach dem Rücktritt eines Parteikollegen plötzlich der Kelch für den Gemeinderat vor meiner Haustür», erzählt Riklin blumig weiter. Seither politisiert er für die Grünen im Wahlkreis 3 im Gemeinderat.
«Mein politisches Vermächtnis ist ein Holzsteg an der Limmat.»
Urs Riklin, Grüne
Und auch wenn die Grünen manchmal als «Spassbremsen» betitelt würden, fühle er sich dort wohl. Dabei fällt er im Rat durchaus auch mit seinen unabhängigen Meinungen auf. «Wenn ich zum Schluss komme, dass ich etwas nicht mittragen kann, stimme ich anders als die Fraktion», sagt Riklin und fügt an: «Ich finde es wichtig, dass unsere Fraktion den Meinungspluralismus lebt – das gehört eben auch zur Politik.»
An der Lokalpolitik würden ihm vor allem die sehr konkreten Fragestellungen gefallen und dass man die Wirkung seines Handelns unmittelbar mitverfolgen könne. «Mein politisches Vermächtnis für Zürich ist ein kleiner Holzsteg an der Limmat», sagt er. Damit bezieht er sich auf seinen Vorstoss, mit dem er 2020 forderte, dass der Ausstieg für Gummiboote vor dem Höngger Wehr verbessert werden solle. «Da fielen immer mal wieder Gummiböötler:innen über die Staumauer», erzählt er. Mittlerweile wurde dort ein Steg gebaut, worüber sich Riklin freut. Aber: «Die grossen Themen, wie die Reform der Altersvorsorge, kann ich als Stadtparlamentarier leider nicht lösen.»
Sofie David: Warum sind Sie Gemeinderat geworden?
Urs Riklin: 2008 ergriff die SVP das Referendum gegen die Weiterführung der Personenfreizügigkeit und deren Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien – und gefährdete damit die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU. Christoph Blocher lud während der Abstimmungskampagne zu einer öffentlichen Rede im Hotel Marriott in Zürich ein.
Dort ging ich hin und ergriff das Mikrophon im Saal. Mein Versuch, mit guten Argumenten gegen den SVP-Chef anzureden, scheiterte leider kläglich! Er war mir rhetorisch einfach überlegen.
Im Saal waren die meisten Menschen Parteianhänger:innen der SVP. Diese tobten ziemlich lautstark. Eine Saalschlacht habe ich zum Glück nicht ausgelöst, doch wurden zumindest verbal einige Tomaten und Eier nach mir geworfen. Da wusste ich, dass ich in die Politik einsteigen will!
Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?
Wenn es ein Getränk nach Wahl ist, würde ich ein Bier nehmen. Das würde ich mit Stephan Iten von der SVP trinken gehen, dann muss er im Anschluss sein Auto endlich mal stehen lassen.
Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?
Am meisten freue ich mich jeweils über Abstimmungen, die effektiv etwas für die Bevölkerung bewirken. Ein Beispiel dafür ist der kommunale Richtplan, ein wichtiger Meilenstein für die Stadt. Es handelt sich dabei um ein langfristiges Planungsinstrument, das zu einem nachhaltigen und ökologischen Umbau der Stadt führt.
Ausserdem hat es bewirkt, dass der kompromittierte Parkplatz-Beschiss aus den 1990er Jahren endlich beerdigt wurde. Ein paar Benzin-Zombies versuchen zwar, diesen mit einer Volksinitiative wieder auferstehen zu lassen, aber ich hoffe, sie werden genauso scheitern wie andere rückwärtsgewandte städtische Autoprojekte zuvor.
Welche hat Sie am meisten geärgert?
Ich ärgere mich im Gemeinderat nicht über Abstimmungsergebnisse. Ärger ist für mich die falsche Reaktion auf demokratisch gefällte Entscheide.
Mich nerven allerdings die faktenlosen und absurden Voten, die hin und wieder im Ratssaal zu hören sind. Manchmal gibt es Abstimmungen im Rat, die ich unter dem Titel «Politshow» abtun würde. Das sind Abstimmungen, die entweder kaum umsetzbar sind oder wenig bewirken. Da geht es den Beteiligten mehr darum, sich politisch zu inszenieren.
Die Budgetdebatte ist zum Beispiel eine grosse Bühne für solche Anträge. Ich finde das unnötig und schade. Aber das betrifft ehrlicherweise alle Parteien.
Ein anderer Punkt, der mich ärgert, ist, wenn sich die Stadt von Rendite-Banditen über den Tisch ziehen lässt. Beispielsweise wenn die Stadt leerstehende Büroliegenschaften zu regulären Marktpreisen anmietet, um diese als Schulgebäude zu nutzen. Von den privaten Eigentümer:innen wird oft keine Hand geboten, um den spezifischen Anforderungen der Schulnutzung gerecht zu werden.
Ein Beispiel hierfür ist die Pfingstweidstrasse. Dort hat man in Büroliegenschaften der PSP Swiss Property Schulraum-Einmietungen gemacht. Das ist zwar sinnvoll, doch die Liegenschaftsbesitzerin hat für den Schulraum keine Aussenfläche zur Verfügung gestellt, obwohl es eine grosse Wiese gäbe. Grund dafür ist, dass die Kinder draussen die anderen Büros stören würden. Für mich ist es ein No-Go, Geld von der öffentlichen Hand anzunehmen, aber die Anforderungen für spezielle Nutzungen nicht zu erfüllen. Das geht zulasten der Kinder und Jugendlichen.
Die Stadt ist eine sehr gute Mietpartei, da muss es bessere Konditionen geben. Das äussert sich auch in anderen Brennpunkten. Ich sehe hier Potenzial, dass die Stadt selbstbewusster in Verhandlungen gehen könnte, statt als Bittstellerin an die Türen von Renditenunternehmen anzuklopfen.
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Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.