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Die Weiterbildung zur Psychotherapeutin ist teuer, eine Studentin wehrt sich

Menschen mit psychischen Problemen warten bis zu neun Monate auf einen Therapieplatz. Mehr Therapeut:innen könnten die Situation entschärfen. Diese müssen ihre Weiterbildung jedoch selbst bezahlen. Eine Studentin fordert in einem offenen Brief ans Parlament Unterstützungsmassnahmen – analog zu anderen Berufsausbildungen.

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Eine Psychologie-Studentin möchte die Bedingungen in ihrem Berufsfeld verbessern, im Artikel aber anonym bleiben. (Bild: Noëmi Laux)

Wer sich zum:zur Psychotherapeut:in weiterbilden lässt, braucht Zeit und vor allem Geld. Emma Krüger* hat einen Teil dieses Weges bereits hinter sich. Die 31-Jährige schreibt gerade an ihrer Masterarbeit, im Herbst will sie die Weiterbildung zur Psychotherapeutin beginnen. Im Gegensatz zu anderen Weiterbildungen im Gesundheitsbereich muss die Psychotherapie-Weiterbildung aus eigener Tasche bezahlt werden. Trotz Teilzeitstudium und Rücklagen ist die 31-Jährige auf die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Ein Privileg, auf das nicht alle Student:innen bauen können, die sich therapeutisch ausbilden lassen wollen.

Die Studentin erzählt von ihren Erfahrungen, möchte aber anonym bleiben. Wir treffen sie in einem Café im Kreis 5. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein dicker Papierstapel. Die Weiterbildung zur Psychotherapeut:in sollte möglich sein – unabhängig von der jeweiligen finanziellen Familiensituation, findet Emma Krüger.

Der Staat soll Therapeut:innen unterstützen

Sie fasste ihr Anliegen in einem umfangreichen Dokument zusammen, das sie Ende letzten Jahres einer Nationalrätin zukommen liess, deren Namen sie nicht nennen will. In ihrem Schreiben wandte sie sich direkt an die Mitglieder des Schweizer Parlaments. Ihre Forderung: «Gezielte Unterstützungsmassnahmen für Psychotherapeut:innen sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene» – so, wie das in anderen Berufsfeldern bereits gehandhabt werde. 

«Wirtschaftsprüfer:innenn zum Beispiel bekommen die Hälfte der Weiterbildungskosten bereits mit dem Antritt der Abschlussprüfungen zurück, unabhängig davon, ob die Prüfung bestanden ist oder nicht. Ich verstehe nicht, weshalb es diese Unterstützung für Therapeut:innen nicht gibt.» In ihrem Schreiben nennt sie weitere Berufsfelder, die zum eidgenössischen Fachausweis führen und die vom Bund unterstützt werden: Coiffeusen und Coiffeure, Betriebsleiter:innen in der Fleischwirtschaft, Kunsttherapeut:innen oder Imker:innen.

Gezielte Unterstützungsangebote würden nicht nur dem akuten Fachkräftemangel und der bestehenden Versorgungslücke bei Kindern und Jugendlichen sowie geflüchteten Personen entgegenwirken, sondern auch die Diversität unter den Psychotherapeut:innen fördern. «Das wäre enorm wertvoll, denn je unterschiedlicher die Therapeut:innen und ihre Hintergründe sind, desto realistischer bilden sie die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Patient:innen ab.»

Sie nennt ein Beispiel: Vor ihrem Studium hat sie einige Zeit in einer Schule für Geflüchtete gearbeitet. Es sei immer wieder vorgekommen, dass sie Therapeut:innen für Sprechstunden auf Persisch suchten. In ganz Zürich habe es damals nur eine Therapeutin gegeben, bei der das möglich war.

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Teure Weiterbildung

Vier bis sechs Jahre dauert die Weiterbildung und kostet je nach Fachrichtung zwischen 40’000 und 70’000 Franken. Voraussetzung sind ein erfolgreich abgeschlossener Master in Psychologie und zahlreiche Praktika. Die Kosten für die Weiterbildung setzen sich zusammen aus den Studiengebühren, die an den jeweiligen Weiterbildungsanbieter zu entrichten sind, aus Supervisionskosten und den sogenannten Selbsterfahrungskosten. Diese entstehen, weil die Psycholog:innen selbst in Therapie müssen – ein finanzieller Aufwand, den sie persönlich tragen.

Die Weiterbildung ist berufsbegleitend, doch besonders zu Beginn reicht der Lohn kaum zum Leben. So verdienen angehende Therapeut:innen als Assistenzen zwischen 2800 und 4600 Franken, im zweiten Jahr erhöht sich das Gehalt um rund 20 Prozent. «Das ist weniger, als ich nach meiner KV-Lehre verdient habe. In welchem Verhältnis steht das?», fragt Krämer. Aus finanziellen Gründen habe bislang niemand in ihrem Umfeld die Weiterbildung abgebrochen, «einige aus meiner Klasse haben sie deshalb aber gar nicht erst begonnen». 

«Die Gehälter sind so niedrig, weil die Psychotherapie mehrheitlich von Frauen getragen wird.»

Emma Krüger, angehende Psychotherapeutin

Krügers Tage sind lang und durchgetaktet. Neben der Masterarbeit arbeitete sie bis vor kurzem noch als Familienbegleiterin, zudem befindet sie sich gerade mitten in der Bewerbungsphase – denn es fehlt ihr neben dem Masterabschluss noch ein Praktikum, bevor sie mit der Weiterbildung beginnen kann. Auf die Frage, woher sie die Energie schöpft, sich daneben für bessere Bedingungen in ihrem Berufsfeld einzusetzen, hält sie kurz inne und überlegt. «Das ist einfach etwas, was mich enorm beschäftigt in letzter Zeit.»

Es habe aber auch mit ihrem Alter und dem Geschlecht zu tun, fügt sie an: «Ich arbeite seit ich 17 bin und konnte mich bislang immer selbst finanzieren.» Nun steht sie vor dem Paradox, dass ihre Altersgenoss:innen beginnen, sich Dinge leisten zu können, während sie selbst einen scheinbaren Rückschritt erlebt. «Ausserdem», fügt sie an, «sind die Gehälter auch deshalb so niedrig, weil die Psychotherapie im Bereich der Fürsorge stattfindet, der mehrheitlich von Frauen getragen wird».

Verschärft wird diese persönliche Situation durch die Erkenntnis, dass der Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung stark eingeschränkt ist - eine Beobachtung, die sie während ihrer Praktika in psychiatrischen Kliniken und psychotherapeutischen Praxen gemacht hat: «Es wird von allen Seiten gefordert, dass die Wartezeiten auf Therapieplätze verkürzt werden müssen, aber dass dies unter anderem nur möglich ist, wenn die Psychotherapieausbildung gefördert wird, das scheint den wenigsten bewusst zu sein.»

Ein Drittel der Jugendlichen haben psychische Probleme

Tatsächlich spiegeln sich Krügers Beobachtungen auch in den Zahlen wider: 2021 litten schätzungsweise 27 Prozent der Schweizer Bevölkerung, also fast zwei Millionen Menschen, an einer psychischen Erkrankung und wären behandlungsbedürftig. Nur ein Drittel von ihnen erhält Hilfe, schreibt die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP).

Kinder und Jugendliche sind besonders betroffen. Gemäss einer Unicef-Studie aus dem Jahr 2022 ist ein Drittel der 14- bis 19-Jährigen in der Schweiz und in Liechtenstein von psychischen Problemen betroffen. Andere Studien kommen zu ähnlichen Resultaten. Unbestritten ist, dass der Behandlungsbedarf bei psychischen Problemen zunimmt. Gleichzeitig ist der Weg zu einem Therapieplatz teilweise lang: Bis zu neun Monate warten Betroffene auf eine ambulante Therapie.

Die Gründe für diese Diskrepanz seien vielfältig, sagte Dagmar Pauli, stellvertretende Direktorin der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, in einem Interview mit Tsüri.ch. Psychische Erkrankungen würden zunehmend entstigmatisiert, mehr Menschen seien in Therapie. In den psychiatrischen Kliniken und psychotherapeutischen Praxen mache sich der Fachkräftemangel besonders bemerkbar. Und das, obwohl Psychologie seit Jahren zu den beliebtesten Studienfächern gehört. Seit 2008 hat sich die Anzahl der an der Universität Zürich immatrikulierten Psychologiestudent:innen mehr als verdoppelt.

Aber: «Längst nicht alle, die Psychologie studieren, machen nach dem Master eine Therapeut:innen-Weiterbildung», nennt Pauli einen Grund für die Engpässe. Es müssten mehr Therapeut:innen ausgebildet werden, doch dazu brauche es finanzielle Unterstützung aus öffentlicher Hand. «Das ist für mich der einzige Weg, der langfristig funktionieren kann», führt sie aus. Institutionen, die Psycholog:innen weiterbilden, müssten finanzielle Unterstützung bekommen, um mehr klinische Weiterbildungen anbieten zu können.

«Diese Ungleichbehandlung ist aus Sicht der FSP nicht gerechtfertigt.»

Florian Näf, Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP)

Gemäss einer Umfrage der FSP befanden sich Ende 2022 rund 2550 Personen in Weiterbildung zum:zur Psychotherapeut:in, ein Grossteil von knapp 80 Prozent davon in der Deutschschweiz. Die hohen Weiterbildungskosten, welche die angehenden Therapeut:innen stemmen müssen, beschäftigen auch die Föderation. Mediensprecher Florian Näf bestätigt auf Anfrage, dass es vereinzelt vorkomme, dass Personen aus finanziellen Gründen bewusst auf die Weiterbildung verzichten.

Heute subventionieren die Kantone die Weiterbildung der Assistenzärzt:innen – auch im psychiatrischen Bereich. Das ist bei den Psycholog:innen nicht der Fall. «Diese Ungleichbehandlung ist aus Sicht der FSP nicht gerechtfertigt, insbesondere weil die Psychotherapie seit Sommer 2022 von der obligatorischen Krankenversicherung gedeckt ist und Psychotherapeut:innen entsprechende Zulassungsbedingungen für die Abrechnung erfüllen müssen», so Näf. 

Konkret fordert die FSP, dass die Weiterbildung von Psycholog:innen von den Kantonen subventioniert wird. So sollen beispielsweise Spitäler Beiträge für Weiterbildungsplätze erhalten und sich an den Weiterbildungskosten der Psycholog:innen im selben Ausmass beteiligen wie an denjenigen von Assistenzärzt:innen, sowohl finanziell als auch zeitlich.

Ständerat gegen eine Verpflichtung der Krankenkassen

Seit Sommer 2022 ist das Anordnungsmodell in Kraft, das Psychotherapeut:innen befugt, ihre Leistungen direkt mit den Krankenkassen abzurechnen. Zuvor wurden Therapien von Psycholog:innen nur dann von der Grundversicherung übernommen, wenn sie in der Praxis eines Psychiaters oder einer Psychiaterin angestellt waren. Das neue Modell soll der Bevölkerung einen besseren Zugang zur psychologischen Versorgung garantieren. Therapeut:innen in Weiterbildung sind jedoch von dieser neuen Regelung ausgeschlossen, einige Grundversicherer weigern sich deshalb, die Leistungen von Therapeut:innen in Weiterbildung weiterhin zu bezahlen. 

Im Juni letzten Jahres forderte der Nationalrat in einer Motion, dass die Krankenkassen auch deren Leistungen bezahlen müssen. Trotz des Mangels an Therapieplätzen seien Psychotherapeut:innen entlassen worden, weil sie nicht mehr bezahlt werden konnten, heisst es in der Motion. Während das Anliegen im Rat auf breite Unterstützung stiess, sprach sich der Ständerat im Herbst letzten Jahres gegen eine Verpflichtung der Krankenkassen aus. Mit dem Nein des Ständerats ist die Motion vom Tisch.

In Zürich wurde das Thema im Kantonsrat bislang nicht diskutiert. Allerdings hat der Regierungsrat im Sommer letzten Jahres die Initiative «Gesunde-Jugend-Jetzt!» eingereicht. Diese sieht vor, dass Kinder und Jugendliche künftig innerhalb von vier Wochen einen Therapieplatz erhalten sollen. Wie das genau umgesetzt werden soll, wird derzeit ausgearbeitet.

«Alle fordern mehr Therapieplätze und kürzere Wartezeiten, aber es wird nicht darüber gesprochen, dass es ein riesiger Luxus ist, diese Weiterbildung zu machen.»

Emma Krüger, angehende Psychotherapeutin

Zurück zu Emma Krüger. Trotz des lauten Rufes nach mehr Therapieplätzen und kürzeren Wartezeiten für Betroffene bleibe die Berichterstattung über die finanziellen und persönlichen Hürden, die mit einer Weiterbildung in diesem Bereich verbunden sind, oft aus. Krüger: «Alle fordern mehr Therapieplätze und kürzere Wartezeiten, aber es wird nicht darüber gesprochen, dass es ein riesiger Luxus ist, diese Weiterbildung zu machen.» Und diesen Luxus könnten sich nicht alle leisten, kritisiert sie die unzureichende Unterstützung.

*Name der Redaktion bekannt

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