Tempoüberschreitungen auf der Velovorzugsroute: Stadt wird erst bei Beschwerden tätig

Solange die Velovorzugsrouten nicht autofrei sind, gilt auf ihnen Tempo 30. Dies wird von Autos aber oft nicht eingehalten. Doch die Stadt greift erst ein, wenn es Beschwerden gibt.

Velovorzugsroute
Keine der beiden Velovorzugsrouten sind heute autofrei. (Bild: Sofie David)

Bis 2030 plant die Stadt Zürich den Bau von 50 Kilometer Velovorzugsrouten, kurz VVR. Davon umgesetzt sind bislang 4,3 Kilometer. Auf zwei Abschnitten in der Stadt ist der Veloweg nun mit einem grünen Streifen als Vorzugsroute markiert. Dort sollen die Velos ungehindert und sicher fahren können. Doch bisher ist dies noch nicht der Fall: Entweder die Autos stauen sich auf den VVR, oder sie fahren zu schnell.

Dies zeigte Tsüri-Kolumnist Thomas Hug-Di Lena mithilfe einer Geodaten-Analyse auf. Das Verdikt: Die Autos halten sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Denn obwohl auf den Vorzugsrouten Tempo 30 gilt, fährt bis zu jedes zehnte Auto zu schnell.

Stadt erfasst Tempo nicht systematisch

Eigentlich sind die VVR als grundsätzlich autofreie Strecken geplant. Faktisch ist das jedoch auf keiner der zwei bestehenden VVR-Abschnitte der Fall: sowohl zwischen der Baslerstrasse und der Bullingerstrasse als auch zwischen der Mühlebachstrasse und der Zollikerstrasse im Kreis 8 sind weiterhin etliche Autos unterwegs.

Wie oft die Autos auf den Velovorzugsrouten die Geschwindigkeitsbeschränkungen überschreiten, erfasst die Stadt nicht systematisch. Dies bestätigt die Stadtpolizei Zürich auf Anfrage.

Aktiv werde sie erst, wenn Hinweise aus der Bevölkerung oder vonseiten der Behörden, also Polizist:innen oder Mitarbeitenden aus der Dienstabteilung Verkehr oder vom Tiefbauamt, eingehen würden. Als Anwohner:in könne man am besten über die jeweiligen Kreischef:innen aktiv werden.

Velovorzugsroute
Eigentlich gilt hier Tempo 30, doch daran halten sich längst nicht alle. (Bild: Sofie David)

Dann prüfe die Stadtpolizei, ob an der entsprechenden Stelle weitere Massnahmen, wie etwa Blitzkästen nötig sind. Ob die Daten-Erhebung von Tsüri-Kolumnist Thomas Hug-Di Lena valide ist, kann die Stadtpolizei hingegen nicht bewerten. Auch ob an den beiden Vorzugsrouten weitere Vorkehrungen geplant sind, wird von Seiten der Stadtpolizei weder bestätigt noch verneint.

Es brauche Massnahmen, findet die Politik

Für die SP-Gemeinderätin Anna Graff sind Massnahmen an den Strecken dringend notwendig: «Da die Routen für Velofahrer:innen von acht bis achtzig sicher sein sollen, ist es von besonderer Wichtigkeit, dass auf den Velovorzugsrouten Tempo 30 eingehalten wird», sagt sie. «Die bestehenden Routen sind beide noch nicht vom Durchgangsverkehr befreit. Um das zu gewährleisten, muss die Stadt Massnahmen ergreifen.» Beispiele dafür wäre etwa die Einführung verkehrter Einbahnregimes, die zur Einhaltung der Tempolimits beitragen würden. «Wenn trotzdem zu schnell gefahren wird, müssen natürlich weitere Massnahmen ergriffen werden.»

Auch Markus Knauss, Grüne-Gemeinderat und Co-Geschäftsführer des Zürcher Ablegers des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS), findet, die Stadt müsse dafür sorgen, dass die signalisierten Höchstgeschwindigkeiten eingehalten werden.

Die bauliche Umgestaltung von Strassen würde zwar dazu beitragen, doch: «Weil diese aber sehr lange dauern können, müssen weitere Massnahmen ergriffen werden», sagt er. Das beinhalte auch kommunikative Massnahmen wie Öffentlichkeitskampagnen oder Tempoanzeigegeräte. Aber: «Wer Verkehrsregeln nicht einhält, soll auch gebüsst werden», meint Knauss.

«Fahren Autos zu schnell, macht es den Weg für Velofahrer:innen unattraktiver und unsicherer. Das ist genau das, was wir nicht wollen.»

Carla Reinhard, GLP-Gemeinderätin

Die Grünen würden sich für ein Miteinander aller Verkehrsträger:innen einsetzen, «das bedeutet faktisch aber, dass die in Jahrzehnten gewachsene Dominanz des Autoverkehrs reduziert wird», sagt er.

Dem stimmt auch GLP-Gemeinderätin Carla Reinhard zu. «Es ist nicht nur auf den Vorzugsrouten ein Problem, sondern allgemein. Tempo 30 steigert die Sicherheit von Zufussgehenden und Velofahrenden deutlich, auch im übrigen Zürcher Verkehr», sagt sie. «Fahren Autos zu schnell, macht es den Weg für Velofahrer:innen unattraktiver und unsicherer. Das ist genau das, was wir nicht wollen.»

Von der Stadt erwarte sie deshalb spezifische Massnahmen, um den übermässigen Verkehr und die Tempoüberschreitungen in den Griff zu kriegen. 

«Wir wollen ein respektvolles und sinnvolles Nebeneinander der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden und nicht ein ideologisches Gegeneinander»

Martina Zürcher, FDP-Gemeinderätin

FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher zeigt Verständnis dafür, dass sich gewisse Verkehrsteilnehmer:innen zunächst an die Signalisationsänderungen gewöhnen müssten.

«Gerade, wenn Leute 20 oder 30 Jahre lang immer wieder die gleiche Strecke fahren, kann es passieren, dass sie die neue Änderung manchmal ‹vergessen›», sagt sie. Der Mensch sei ein «Gewohnheitstier». Die FDP habe deshalb die Erwartung an die Stadt, dass diese die Hinweistafeln «Signalisationsänderung» bei neuen Temporeduktionen länger stehen lassen solle. 

«Wir wollen ein respektvolles und sinnvolles Nebeneinander der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden und nicht ein ideologisches Gegeneinander», sagt Zürcher. «Gilt auf den Hauptverkehrsachsen Tempo 50, dann fährt der motorisierte Verkehr dort und auf den Quartierstrassen und Velovorzugsrouten gibt es Platz für Velofahrende und Fussgänger:innen.»

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Sofie David

Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.

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