Zürcher Kultur: Bezahlt von allen, offen für wenige
Öffentlich finanziert und trotzdem über 100 Franken Eintritt – braucht es diese Preise wirklich? Zürcher Kultur bleibt ein Privileg. Ein Kommentar.
Für Kultur in Zürich bezahlt man doppelt: einmal mit den Steuern und einmal mit der Eintrittskarte. Subventionen sichern das kulturelle Leben der Stadt, doch der Zugang bleibt für viele beschränkt.
Natürlich werden Kulturhäuser subventioniert. Kunst und Kultur kann und muss sich nicht am Markt finanzieren. Unzählige Male muss das Orchester proben, bis die Symphonie perfekt sitzt; im Theater sind es beispielsweise die Bühnenbilder und die Kostüme, die mit grosser Sorgfalt hergestellt werden.
Ohne öffentliche Unterstützung wären die meisten Eintrittspreise unerschwinglich. Und kaum jemand wäre bereit, dafür aufkommen. Denn ein Ticket ohne Subventionen würde beispielsweise in der Tonhalle Zürich 250 Franken kosten (zum Artikel geht es hier).
Bei der Tonhalle entfallen auf jedes verkaufte Ticket 189 Franken Subventionen, beim Schauspielhaus sind es sogar 270 Franken. Deutlich mehr, als ein durchschnittlicher Eintritt kostet.
Natürlich ist diese Rechnung am Ende nicht derart einfach, denn die Subventionen sind nicht an die Ticketeinnahmen gekoppelt, doch die Zahlen zeigen: Für das Gesamtbudget machen die Ticketverkäufe keinen grossen Unterschied.
Das wirft die Frage auf, warum diese Kulturhäuser trotz Steuergeldern Eintrittspreise verlangen. Müssen öffentlich finanzierte Güter nicht auch öffentlich zugänglich sein?
Obwohl das Schauspielhaus mit knapp 40 Millionen und die Tonhalle mit knapp 23 Millionen Franken pro Jahr von der Zürcher Kulturförderung abhängig sind, sind die Ticketpreise nicht für alle erschwinglich: Ein guter Platz im Theater oder Konzert kostet schnell um die 100 Franken oder mehr.
Zwar gibt es günstigere Plätze und Rabatte für junge Menschen oder Sozialhilfeempfänger:innen, doch die Hürden bleiben hoch. Auch geringer Verdienende finanzieren mit ihren Steuern die Kultur mit, sollten sie nicht auch auf die guten Plätze dürfen?
Spannend ist auch die rechtliche Konstellation: Während die meisten Kosten von der Allgemeinheit getragen werden, sind die Kulturhäuser privat organisiert. Die Stadt trägt das Risiko, die Kontrolle bleibt privat. Das Schauspielhaus und die Tonhalle als Aktiengesellschaft, das Kunsthaus als Verein.
Gerade das Kunsthaus sorgte kürzlich für Aufsehen: Weil es die Leitung verpasst hat, die Herkunft der Bührle-Sammlung gründlich zu erforschen, müssen dies nun die Steuerzahlenden finanzieren. Dabei hätte der Präsident des Kunsthauses, Philipp Hildebrand, genug Möglichkeiten, die schiefe Finanzlage des Museums innert Minuten zu klären.
Hildebrand ist nicht nur Vize-Präsident von Black Rock, einer börsennotierten, international tätigen US-amerikanischen Investmentgesellschaft, sondern auch im Stiftungsrat des WEF. Mit ein paar Telefonaten in seinem Netzwerk wären die Kassen des Kunsthauses im Nu gefüllt.
Der Journalist Daniel Binswanger sagte im Interview mit Tsüri.ch, die Stadt überlasse die Kultur der Bourgeoisie als Spielwiese. Und: Es gäbe «keinen einzigen vernünftigen Grund», weshalb diese beispielsweise als private Aktiengesellschaft organisiert sein soll.
Doch weder in der Kulturlandschaft, noch in der Politik gibt es eine Dynamik, dies zu ändern. Die freisinnige Elite geniesst ihre öffentlich finanzierte Kultur, während die Linke es nicht wagt, Kulturförderung oder die Zugänglichkeit der geförderten Institutionen anzupacken. Geschweige denn, eine Debatte zu lancieren, ob vom Staat abhängige Kulturhäuser nicht eigentlich in die öffentliche Verwaltung integriert werden müssten.
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.