Kultur in Zürich: Hohe Eintrittspreise trotz Millionen-Subventionen
Zürich gilt als Kulturstadt, doch der Zugang zu den Angeboten ist ungleich verteilt. Während manche Institutionen kostenlosen Eintritt ermöglichen, verlangen andere hohe Preise – obwohl sie mit Millionen Franken von der Stadt subventioniert werden.
Das Migros Museum für Gegenwartskunst verzichtet seit 2023 konsequent auf Eintritt. Keine Bedingungen, keine Ausnahmen. Nur wenige Tramstationen weiter verlangen die grossen städtisch subventionierten Häuser schnell Dutzende Franken für ein Ticket: Im Schauspielhaus Zürich kostet ein Platz auf dem Balkon in den vorderen Reihen über 90 Franken, das Kunsthaus erhebt regulär 31 Franken, die Tonhalle startet bei 20 Franken, abhängig von der Veranstaltung. Doch wer gute Sicht oder Klangqualität möchte, zahlt deutlich mehr. Die Unterschiede sind augenfällig und sie werfen Fragen auf.
Millionen für Kultur – aber für wen?
Die Stadt Zürich investiert gemäss dem Kulturleitbild 2024 – 2027 fast 170 Millionen Franken in Kultur. Grösste Empfänger:innen sind das Schauspielhaus Zürich (39,6 Millionen Franken), die Tonhalle-Gesellschaft Zürich (20,9 Millionen Franken) und das Kunsthaus Zürich (18,5 Millionen Franken). Die Oper wird primär vom Kanton unterstützt, auch hier fliessen Subventionen in zweistelliger Millionenhöhe.
Demgegenüber steht das Migros Museum für Gegenwartskunst, das keinen einzigen Franken von der Stadt erhält. Finanziert wird das Museum ausschliesslich durch das Migros-Kulturprozent – eine freiwillige Abgabe der Migros-Genossenschaften. 2024 stellte die Migros dafür insgesamt 121 Millionen Franken bereit, davon flossen rund 29,6 Millionen Franken – also fast ein Viertel – in Kulturprojekte. Wie viel davon konkret dem Migros Museum für Gegenwartskunst zugutekommt, gibt die Migros auf Anfrage nicht bekannt.
«Ohne diesen Beitrag müssten Eintrittspreise erheblich steigen, um den laufenden Betrieb zu decken – eine Vervierfachung wäre realistisch.»
Kristin Steiner, Mediensprecherin des Kunsthauses
Klar ist: Die fehlenden Ticketeinnahmen werden aus einem gesonderten Budget kompensiert, wie Patrick Ilg, Co-Leiter des Museums erklärt. Das Ankaufsbudget – also das Geld für den Erwerb von Kunstwerken – bleibe davon unberührt. Der freie Eintritt soll laut der Migros «ein Zeichen für einen offenen Zugang zu Kultur» setzen, die Vermittlungsarbeit richte sich gezielt an ein breites Publikum.
Hohe Preise trotz hoher Subventionen
Ganz anders sieht es bei den grossen städtisch geförderten Häusern aus. Tonhalle, Kunst- und Schauspielhaus bleiben – trotz Millionenbeiträgen – teuer. Die öffentlichen Gelder sichern primär den Betrieb: Sie fliessen in Personal, Infrastruktur, Technik, Programm. Eine zweckgebundene Verpflichtung, die Subventionen zur direkten Reduktion der Eintrittspreise einzusetzen, besteht nicht.
Das gilt auch für das Kunsthaus Zürich. Dieses wird von zwei Institutionen getragen: die Stiftung Zürcher Kunsthaus, die als Eigentümerin die Gebäude hält und vermietet, und die Zürcher Kunstgesellschaft, die das Museum betreibt. Die Stiftung erhält jährlich rund 5 Millionen Franken, die Kunstgesellschaft mehr als 13 Millionen Franken.
Diese Subventionen decken laut Kristin Steiner, Mediensprecherin des Kunsthauses, etwa die Hälfte des Gesamtbudgets. Fielen diese weg, würde das auf die Besucher:innen abgewälzt: «Ohne diesen Beitrag müssten Eintrittspreise erheblich steigen, um den laufenden Betrieb zu decken – eine Vervierfachung wäre realistisch.»
Einen Vergleich mit dem Migros Museum hält Steiner für irreführend – zu verschieden seien Umfang, Aufgaben und Sammlungen. Das Kunsthaus zeige rund 1000 Werke aus einer Sammlung von mehreren Hunderttausend Objekten, betreibe internationalen Leihverkehr und konservatorische Arbeit. Das Migros Museum sei kleiner und thematisch fokussierter.
Laut Steiner kommt etwa ein Viertel der Besucher:innen kostenlos ins Museum, etwa über Gratiseintritte am Mittwoch, spezielle Angebote für Schulklassen, AHV- oder IV-Beziehende, Kulturlegi-Inhaber:innen oder Jugendlich. Im Jahr 2024 wurden so rund 144’000 Gratiseintritte verzeichnet – «deutlich mehr als die gesamten Jahresbesuche des Migros Museums, das auf etwa 30’000 Besucher:innen kommt», betont Steiner. Mit diesen Massnahmen werde der Subventionsauftrag ganz konkret umgesetzt und strukturell sozialer Ungleichheit entgegenwirken. Wie viel von der städtischen Unterstützung tatsächlich in vergünstigte Eintritte fliesst, bleibt allerdings unklar. Im Oktober 2024 stellte die Zürcher Kunstgesellschaft zudem einen Antrag auf Erhöhung der städtischen Subventionen für das Kunsthaus Zürich – die genaue Höhe ist bislang nicht bekannt.
Hunderte Franken Subventionen pro Ticket
Auch bei der Tonhalle erfolgt die Finanzierung mehrheitlich über öffentliche Mittel. Laut dem Geschäftsbericht 2023/24 erhielt die Tonhalle-Gesellschaft Zürich städtischen Subventionen in Höhe von 20,9 Millionen Franken – davon rund 18,4 Millionen Franken für den Konzertbetrieb und rund 2,5 Millionen Franken für Raumaufwand. Das entspricht mehr als der Hälfte der Gesamtausgaben und bilden laut Bericht eine «unverzichtbare Basis für die Tätigkeit des Unternehmens».
Die Ticketeinnahmen der Tonhalle beliefen sich auf über 6,7 Millionen bei 110’816 Besucher:innen. Daraus ergibt sich ein rechnerischer Subventionsbetrag von rund 189 Franken pro verkauftem Ticket. Bei einem durchschnittlichen Ticketpreis von etwa 60 Franken würde ein nicht subventioniertes Ticket rund 250 Franken kosten.
Erst kürzlich hat der Zürcher Stadtrat beschlossen, die Tonhalle-Gesellschaft ab der Saison 2025/26 stärker zu unterstützen. Der jährliche Betriebsbeitrag soll um 1,75 Millionen Franken steigen – zusätzlich zu den bestehenden Subventionen. Der städtische Gesamtbeitrag würde damit auf 22,8 Millionen Franken steigen, bestehend aus Betriebs- und Mietbeitrag. Damit will die Stadt steigende Kosten – vor allem für Personal, Technik und Veranstaltungen – abfedern. Ziel ist laut Stadtrat, den Betrieb langfristig zu sichern, ohne Abstriche bei Programm oder Qualität machen zu müssen.
Schauspielhaus Zürich: Höchster Subventionsbetrag pro Ticket
Das Schauspielhaus Zürich erhält mit 39,6 Millionen Franken jährlich den höchsten städtischen Beitrag. Davon entfallen 5,9 Millionen auf Miete für den Pfauen und den Schiffbau, die an die Stadt zurückfliessen. Die verbleibenden 33,7 Millionen Franken seien für den laufenden Betrieb verwendet worden – und auch für die Reduktion der Ticketpreise, sagt Zora Schaad, Leiterin Medien- und Öffentlichkeitsarbeit auf Anfrage.
Bei rund 125’000 verkauften Tickets entspricht das einem Subventionsanteil von durchschnittlich 270 Franken pro Karte.
Schaad erklärt: Der Theaterbetrieb sei personalintensiv und teuer. Ziel sei dennoch, Tickets zu erschwinglichen Preisen anzubieten – ohne wirtschaftliche Notwendigkeiten zu ignorieren. Besonders stark vergünstigt seien Karten für Kinder, Jugendliche, Sozialhilfeempfänger:innen, Asylsuchende sowie für das Familienstück und den «Theatermontag», der durch das Migros Kulturprozent unterstützt wird. Auch die ZKB ermögliche über ein Upgrade-System günstigere Plätze in höheren Kategorien.
Gemäss Schauspielhaus werden etwa 10 Prozent der Tickets an junge Menschen in Ausbildung, 10 bis 12 Prozent für das Familienstück und 16 bis 18 Prozent am Theatermontag zu ermässigten Preisen verkauft. Konkrete Angaben zur Anzahl der ermässigten oder kostenlosen Tickets macht das Schauspielhaus keine.
Eine generelle Abschaffung der Eintrittspreise sei aber nicht vorgesehen. Die Einnahmen seien für den Spielbetrieb notwendig. Überschüsse würden in neuen Spielzeiten ins Programm zurückfliessen, Einnahmeausfälle hingegen könnten zu Kürzungen führen. Die finanzielle Lage sei stabil, sagt Schaad, beeinflusse aber eher das Angebot als die Preispolitik.
Auch hier heisst es: Ein Vergleich mit dem Migros Museum sei unzulässig. Ein Theater habe eine andere, viel aufwendigere Kostenstruktur – und sei zwingend auf Ticketeinnahmen angewiesen.
Eintritt vor allem für Privilegierte
Warum also ist Kultur an manchen Orten kostenlos, andernorts nicht? Die Antwort liegt in Struktur und Auftrag der Institutionen: Das Migros Museum ist eine private Einrichtung und kann mit seinen finanziellen Mitteln flexibler umgehen. Dadurch hat es mehr Spielraum, neue Modelle für den Zugang zu Kunst auszuprobieren.
Städtisch geförderte Häuser hingegen müssen ihren Betrieb mit festen Subventionen sicherstellen. Sie orientieren sich daher stärker an einem zahlungskräftigen Publikum. Zwar werden vielerorts ermässigte Tickets angeboten, doch bleiben für viele Menschen finanzielle und praktische Hürden bestehen – denn die öffentlichen Fördergelder sind häufig nicht an soziale Kriterien gebunden.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Transparenz: Es gibt kaum öffentlich zugängliche Berechnungen, wie viel Subvention pro Besucher:in tatsächlich im Eintrittspreis berücksichtigt wird. Auch die Kriterien für die Vergabe und Kontrolle von Subventionen werden nur selten öffentlich diskutiert. Zwar unterstützt die Stadt den Betrieb grosser Kulturhäuser mit Millionenbeträgen, doch wie viel davon tatsächlich bei den Menschen ankommt, bleibt oft unklar.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.