Eglistrasse, Hofacker, Park Schönbühl: Stiftungen treiben Gentrifizierung an
Auch Stiftungen verdienen Geld auf dem Immobilienmarkt. Mieten im Hochpreissegment sind dabei keine Seltenheit. Langjährige Mieter:innen werden für die Rendite der Stiftungen verdrängt. Die Aufsichtsbehörde und das Stiftungsrecht sagen, dieses Vorgehen sei in Ordnung.
Dieser Beitrag wurde am 22. Dezember 2022 das erste Mal auf Tsüri.ch veröffentlicht. Im Rahmen einer Repost-Woche holen wir die Recherche aus dem Archiv.
Erika Wey wohnt nun seit gut eineinhalb Jahren in einer 2-Zimmer-Wohnung in Hottingen. Auf Wohnungssuche war sie nicht freiwillig. Sie wohnte gut 40 Jahre in der Siedlung Hofacker am Hegibachplatz. Als langjährige Mieterin zahlte Wey 1030 Franken für ihre drei Zimmer. Die Siedlung mit den damals 42 Wohnungen steht heute nicht mehr, sie fiel einem Neubau zum Opfer. Seit Anfang Dezember thronen dort 48 moderne Alterswohnungen mit Preisen über 2200 Franken. Laut der kürzlich erschienenen Mietpreiserhebung der Stadt Zürich liegen diese deutlich über dem Median im Quartier von 1700 Franken für drei Zimmer.
Vor Wey auf dem Tisch liegt ein Ordner voller Wohnungsbewerbungen. Über 50 habe sie versendet, zu Besichtigungen wurde sie hin und wieder eingeladen – und wenn, dann scheiterte es an ihren Finanzen: «Sobald ich mein Einkommen angeben musste, war's eh gelaufen.»
Ihre Geschichte ist eine von vielen. Doch sie lässt aufhorchen. Dass in Zürich Altbauten mit günstigem Wohnraum teuren Neubauten weichen müssen, ist nichts Neues. Doch Eigentümerin der Hofacker-Siedlung ist die Stiftung Gemeinnützige Gesellschaft von Neumünster (GGN). Eine Stiftung mit gemeinnützigem Zweck und nicht etwa eine profitorientierte Immobilienfirma. Die Stiftung GGN unterstützt soziale und gesellschaftliche Projekte und ist Trägerin des Alters- und Pflegewohnheims «Aventin – Wohnen im Alter» in Hottingen. Wie passt das zusammen, dass eine Stiftung mit gemeinnützigem Zweck, gleichzeitig die Wohnungspreise in Zürich in die Höhe treibt und Menschen aus ihrem Quartier verdrängt?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir mit Stiftungsexpert:innen gesprochen und drei Stiftungen exemplarisch unter die Lupe genommen. Denn die Stiftung GGN ist kein Einzelfall, wie diese Recherche zeigt. Auch grössere Player wie die Ernst Göhner Stiftung treiben mit exklusiven Neubauten die Mieten in die Höhe. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Stiftungen, die mit ihren Immobilien Renditen erzielen und trotzdem günstige Mieten anbieten.
Die Recherche gestaltete sich schwierig, zumal der Immobilienmarkt undurchsichtig ist. Von Neubauprojekten sind die Mietpreise – solange die Wohnungen nicht vermietet sind – online, danach verschwinden sie und werden zur privaten Angelegenheit. Antworten bekamen wir teilweise erst nach mehrmaligem Nachfragen. Eine Suche nach vielen Nadeln in einem grossen Heuhaufen.
Zuerst der Blick ins Stiftungsrecht und die Frage: Warum dürfen gemeinnützige Organisationen so handeln?
Stiftungen müssen nicht lieb sein
Es gibt also Stiftungen, die ihr Geld mit teuren Wohnungen generieren und dieses wiederum in wohltätige Zwecke investieren. Sie nehmen das Geld von den Reichen und verteilen es unter den Armen. Dass sie dazwischen Menschen mit wenig finanziellen Ressourcen aus der Stadt vertreiben könnten, klingt nach einem Teufelskreis par excellence.
SwissFoundations, der grösste Verband der gemeinnützigen Förderstiftungen in der Schweiz, versteht, dass dies auf den ersten Blick widersprüchlich scheint, verweist aber auf das Stiftungsrecht.
«Damit sich das Kapital nicht aufbraucht, müssen Stiftungen anlegen und investieren.»
Julia Jakob, SwissFoundations
Eine Stiftung hat ein Vermögen, das zu einem bestimmten Zweck eingesetzt werden muss. Diesen Zweck bestimmt der:die Stifter:in in einer Urkunde. «Damit sich das Kapital nicht aufbraucht, müssen Stiftungen anlegen und investieren», sagt Julia Jakob, Co-Geschäftsführerin von SwissFoundations. Stiftungen werden zudem von Aufsichtsbehörden überwacht. Diese schauen auf zwei Dinge: Erfüllt die Stiftung ihren Stiftungszweck und wird das Stiftungsvermögen vernünftig angelegt? Dies gilt auch für gemeinnützige Stiftungen: Sie müssen ihr Vermögen anlegen und haben keine Pflicht, bei den Kapitaleinlagen den Zweck mitzudenken.
Sandra von Salis ist Rechtsanwältin und Leiterin Klassische Stiftungen bei der Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich. Sie macht ein Beispiel: Eine Stiftung, die es sich zum Zweck gemacht hat, Kunst und Kunstschaffende zu fördern, kann ihr Geld auf dem Immobilienmarkt anlegen. Stiftungen müssen im Rahmen ihres Ermessens jedoch die Renditeorientierung vor Augen haben. Wenn sie dies nicht tun, würden sie ihrem Kapital schaden, das sie brauchen, um Künstler:innen zu fördern. Was sie dürfen: Wohnungen vergünstigt an Kunstschaffende vergeben, denn dann verfolgen sie ihren Zweck.
Stiftungen würden sich beim Investieren freiwillig vermehrt an den ESG-Kriterien orientieren, betont Jakob. Die drei Buchstaben stehen für Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Kriterien, die das Investieren nachhaltiger machen sollen. Der Verband gibt jährlich den SwissFoundation Code raus, darin hält er Grundsätze und Empfehlungen für Stiftungen fest. Eine richtet sich an die Anlagestrategie. Hier motiviert SwissFoundations zu nachhaltigen oder gar zweckbezogenen Investitionen. Und aus dem Schweizer Stiftungsbarometer geht hervor, dass etwas mehr als die Hälfte der Stiftungen angeben, sich bei ihren Kapitalanlagen an nachhaltigen Kriterien zu orientieren.
Das begrüsst Jakob. Sie findet es wichtig, dass Stiftungen nicht widersprüchlich agieren. Aber schlussendlich sei es eine Frage der Haltung. Als Verband können sie keine verbindlichen Vorschriften machen, aber sensibilisieren. Und: «Wir wollen keine Überregulierung.» Das Stiftungsrecht sei gut so wie es ist.
Ein Fünftel des Stiftungsvermögen fliesst auf den Immobilienmarkt
Im Kanton Zürich gibt es gegen 2200 gemeinnützige Stiftungen, schweizweit sind es 13’600, die ein Stiftungsvermögen von rund 100 Milliarden Franken besitzen. Dieses Geld muss verwaltet und angelegt werden. Dass das Geschäft mit Stiftungen ein grosses ist, haben auch Banken wie die Credit Suisse oder die Zürcher Kantonalbank (ZKB) entdeckt. Die Banken haben eigene Abteilungen für die Anlageberatung von Stiftungen.
Eine Zunahme bei Investitionen in Immobilien beobachtet die ZKB nicht. Der Markt sei seit den letzten Jahren stark ausverkauft. «Selbst wenn Anleger:innen Interesse hatten, ihre Immobilien-Investments zu erhöhen, war dies aufgrund eines mangelnden beziehungsweise sehr teuren Angebots oftmals gar nicht realisierbar», schreibt die Bank. Auf die Frage, wie Stiftungen ihr Geld anlegen, verweist die ZKB auf einen Bericht von SwissFoundations. Da heisst es, dass die teilnehmenden Stiftungen im Schnitt ein Fünftel ihres Vermögens in Immobilien investiert haben. Knapp die Hälfte des Vermögens wird in Aktien angelegt.
GGN: Der Widerstand der Mieter:innen
Der Mieterinnen- und Mieterverband Zürich (MV) kritisiert Stiftungen nicht generell. Aber es würde sich bewähren, wenn Mieter:innen ein Auge auf das Geschäftsgebaren der Stiftungen haben. «Der MV Zürich unterstützt solche Mieter:innen gerne», schreibt Walter Angst vom MV.
Unterstützung vom MV gab es auch für die Hofacker-Siedlung. Gemeinsam mit anderen Bewohner:innen hat Wey 2018 die IG Hofacker gegründet und eine Petition lanciert. Die Solidarität im Quartier sei damals gross gewesen. Mit der GGN als Eigentümerin, einer Stiftung, die laut eigenen Angaben «gesellschaftliche und soziale Projekte unterstützt», hofften sie auf Erfolg.
Sie organisierten Proteste, verfassten eine offenen Brief an Stadtpräsidentin Corine Mauch, sammelten über 3500 Unterschriften und machten sich für eine Renovation statt einen Abriss stark. Auch wurde zum Projekt im Gemeinderat eine schriftliche Anfrage eingereicht. Zudem vermutete die IG Hofacker, dass das Neubauprojekt mit Wohnungen zu Marktpreisen dem letzten Willen des ehemaligen Eigentümers, der die Hofacker-Siedlung der GGN vermachte, widerspreche. Diese Vermutung liess sich bis heute weder bestätigen noch widerlegen – die Stiftung hält das Legat geheim.
«Sie reissen Menschen aus dem Quartier. Das ist denen Wurst. Du bist nur Mieterin.»
Erika Wey, ehemalige Bewohnerin Hofacker-Siedlung
Der Fall endete schlussendlich vor der Schlichtungsbehörde. Und trotz allen Widerstandes konnte die IG Hofacker die Pläne nicht aufhalten. Es kam zur Leerkündigung und im Oktober 2020 war es dann soweit: Die fünf Häuser wurden abgerissen. Mit ihnen verschwand einmal mehr günstiger Wohnraum – die Wohnungen kosteten zwischen rund 1000 und 1400 Franken.
«Sie reissen Menschen aus dem Quartier. Das ist denen Wurst. Du bist nur Mieterin. Sie sagten noch: ‹Ich weiss nicht, warum alle meinen, sie müssten in dieser Stadt wohnen können. Wir brauchen andere Steuerzahler:innen›», sagt Wey. Letzteres Zitat habe der von der GGN herbei geholte Anwalt an Wey gerichtet, weil sie Mieterstreckung forderte. Sie habe damals vor der Schlichtungsbehörde diese Worte des Anwalts wortwörtlich notiert. Die Stiftung will sich zu den Aussagen des Anwalts nicht äussern.
Sich der IG Hofacker angeschlossen hat sich ebenfalls Mischa Schiwow, AL-Gemeinderat und Vorstandsmitglied des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich.
Schiwow steht mit seinem Velo am Hegibachplatz. Unter seinem Arm klemmen zig Dokumente und Flyer zur Causa Hofacker. «Die Wohnungen waren zwar alt, aber schön und günstig – eine Renovation hätte gereicht», sagt er. Um mehr Einblick in die Stiftung zu erhalten, ist er dem gleichnamigen Verein beigetreten. Die GGN ist erst seit 2013 eine Stiftung, den Verein gibt es seit dem 19. Jahrhundert. «Wir haben den Verein quasi unterwandert.» Gebracht habe es wenig – Fragen sei ausgewichen worden, die Kommunikation gestaltete sich harzig.
Schiwows Blick schweift zur neuen Hofacker-Siedlung. Der Neubau mache ihn traurig. Es ist November, im Dezember ziehen die ersten Bewohner:innen ein.
Wohnungen für Bedürftige: 3 Zimmer, 2200 Franken
Entstanden sind 50 Wohnungen, verteilt auf fünf Häuser. In jedem Haushalt muss mindestens ein Mensch über 50 beziehungsweise über 60 Jahre alt sein. Dieses Wohnen im Alter kann sich Erika Wey nicht mehr leisten. «Auch wenn mich der ungebührliche Verlauf der Rettung unserer Siedlung mitgenommen hat, wären die Wohnungen günstiger, hätte ich eine Rückkehr in Erwägung gezogen. Aber von 1000 Franken Miete auf 2200 – wie soll das gehen?», sagt die Rentnerin. Beim genannten Preis handelt es sich laut der Stiftung um eine gemeinnützige Miete.
Denn in zwei der fünf Häuser werden die Wohnungen von der GGN zu einem vergünstigten Mietzins vermietet. Diese liege 20 Prozent unter dem marktüblichen Niveau. Die Wohnungen sind für Personen bestimmt, die nachweislich auf kostengünstige Mieten angewiesen sind, heisst es auf einem Merkblatt zur Erstvermietung. Die restlichen 30 Wohnungen werden zu marktorientierten Mietzinsen vermietet. Hier liegen zwei Screenshots von Homegate vor: 3,5-Zimmer für 3360 Franken und 4,5-Zimmer für 3290 Franken, was einem Netto-Quadratmeter-Preis von 48 beziehungsweise 33 Franken entspricht.
Die Erträge der marktorientierten Wohnungsvermietungen verwendet die Stiftung zur Erfüllung ihrer gemeinnützigen Zwecke. «Und mit den vergünstigten 20 Wohnungen leisten wir einen Beitrag zu unserer Zweckerfüllung», sagt Stiftungsrat Felix Müller. Auf Anfrage will die GGN aber keine konkreten Mietpreise nennen. «Es sind überschaubare Verhältnisse im Hofacker. Menschen sollen in den vergünstigten Wohnungen wohnen dürfen, ohne ihre Bedürftigkeit in Form von Zahlen in der Öffentlichkeit thematisiert zu sehen», ergänzt er.
Die meisten Wohnungen sind mittlerweile vermietet und auf der Projektseite nicht mehr ersichtlich, Screenshots zeigen die Mietzinsen der zwei günstigen Häuserblöcke der Siedlung. Die monatlichen Netto-Quadratmeterpreise liegen da bei knapp 30 Franken. Bei vier Wohnungen bei rund 40 Franken pro Quadratmeter.
Eine 80 Quadratmeter grosse Wohnung für etwa 2200 Franken als bedürftig zu bezeichnen, sei ein weiterer Seitenhieb für die ehemaligen Bewohner:innen. «Sie haben den Realitätssinn verloren, das ist jenseits von Gut und Böse», sagt Schiwow.
Auf eine weitere Stiftung sind wir während der Recherche «Wem gehört das Seefeld?» gestossen: Die Ernst Göhner Stiftung.
Ernst Göhner Stiftung: Eine grosse Förderin
Die Zentralwäscherei, das Theater Hora, das Tanzhaus Zürich, das Museum für Gestaltung, das Restaurant Blinde Kuh, das Technorama oder Filmproduktionen wie das «Zürcher Tagebuch» – diverse Institutionen, Projekte oder Veranstaltungen in den Bereichen Kultur, Umwelt und Soziales unterstützt die Stiftung seit ihrer Gründung 1957 mit kleineren und grösseren Beiträgen.
Die Fördertätigkeit ist breit und über die ganze Schweiz verteilt. Aus dem Geschäftsbericht ist zu entnehmen, dass die Stiftung im Jahr 2021 über 1300 Projekte mit 39,6 Millionen Franken unterstützt hat. Ihr Geld verdient die Stiftung mit Unternehmensbeteiligungen in diversen Branchen – darunter in der Logistik- oder Pharmabranche. Ihre zweite wichtige Säule sei die Immobilienbranche.
Für die Immobiliengeschäfte der Stiftung ist ihre eigene Seewarte Holding AG zuständig. Das Gesamtportfolio der Seewarte hat einen Wert von rund 1,5 Milliarden Franken und umfasst über 40 Liegenschaften in der Schweiz. Rund 1300 Wohnungen und 9 Geschäftshäuser im Wirtschaftsraum Zürich gehören der Seewarte – jeweils an Toplagen wie dem Bellevue, dem Niederdorf, dem Seefeld oder unweit der Bahnhofstrasse. Die Immobilienfirma strebe bei Sanierungen an, den Ausbaustandard nachhaltig zu erhöhen und gleichzeitig die Mietzinsen in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Dass dieser «vertretbare Rahmen» ein sehr dehnbarer Begriff ist, zeigt sich später noch.
Günstige Studi-Wohnungen und Luxusprojekt im Kreis 8
Der freie Wohnungsmarkt in Zürich sei seit Jahren ausgetrocknet, hiess es schon 2008 in einem weiteren Stiftungsbericht. Um Student:innen das Leben zu erleichtern und den Hochschulstandort Zürich zu fördern, hat die Stiftung damals mit dem höchsten in ihrer Geschichte gesprochenen Betrag von zehn Millionen Franken ein Studentenwohnheim-Projekt der ETH unterstützt. Nebst diesem fördert die Stiftung auch andere Projekte im Bereich günstiger Wohnraum und junge Menschen – etwa ein Studentenwohnheim in Mendrisio, eines in Luzern oder ein Lehrlingswohnheim in Winterthur.
«Die Ernst Göhner Stiftung ist die absolute Illustration von diesem Teufelskreis: Sie haben Student:innenwohnungen, unterstützen alles Mögliche und haben dann aber eine dermassen brutale Liegenschaftspolitik», sagt Schiwow. Was meint er mit brutaler Liegenschaftspolitik? Ein Blick ins Seefeld in den Park Schönbühl.
Dort entstehen verteilt auf drei Häuser an der Ecke Mühlebach- und Kreuzstrasse 36 Luxuswohnungen. Ab Februar 2023 sind diese bezugsbereit. Diesen drei Gebäuden musste ein günstig vermietetes Mehrfamilienhaus weichen.
Kündigungsschreiben und Briefe lassen die Geschehnisse rekonstruieren – denn es ging ab dem Moment, als die Seewarte das Grundstück im Mai 2018 kaufte, schnell. Bereits fünf Monate später folgte das Kündigungsschreiben. Die damaligen Mieter:innen hatten eineinhalb Jahre Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen. Grund für den Abriss sei laut Kündigungsschreiben der Zustand der Liegenschaften.
Der Quartierverein Riesbach, der sich stark mit den Veränderungen im Quartier beschäftigt, nahm im Dezember 2019 Kontakt mit der Ernst Göhner Stiftung auf, da er die Erstellung von Luxuswohnungen befürchtete. «Wir sehen einmal mehr, wie im Seefeld zunehmend rar werdender bezahlbarer Wohnraum durch hochpreisige Angebote ersetzt werden, welche sich nur gut situierte Singles, Doppelverdienende oder Expats leisten können», schreibt Urs Frey, Präsident des Quartiervereins. Es spricht hierbei vom Phänomen der Seefeldisierung – der Aufwertung des Seefelds.
Im Brief stellt Frey diverse Fragen an die Stiftung, dessen Gründer Ernst Göhner ebenfalls im Seefeld unternehmerisch tätig gewesen sei.
Warum setzen sich nicht auch Private wie etwa Stiftungen für das städtisch angestrebte Ziel von einem Drittel gemeinnützigen Wohnraum ein?
Hat sich der Stiftungsrat dazu schon mal Gedanken gemacht?
Ist es da wirklich der Weisheit letzter Schluss, dass Häuser mit preisgünstigen Wohnungen gekauft, abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden, die dann zur maximalen Marktmiete vergeben werden und gleichzeitig werden mit dem Ertrag Studentenwohnheime betrieben?
Warum hat man die Häuser nicht sanft saniert und an Student:innen vermietet?
Und Frey spricht die Stiftung auf jenen Satz an, der ihre Intention festhält, dass sie Mietzinsen im vertretbaren Rahmen anstrebt.
Zwei Monate später folgte das Antwortschreiben. Antworten auf die konkreten Fragen bekam der Quartierverein nicht. Die Pläne für das Neubauprojekt standen bereits zum Zeitpunkt des Kaufs, die Stiftung setzte damit lediglich den Wunsch der Verkäuferschaft um. Das architektonisch überzeugende Projekt werte den Standort und das Quartier auf. Den ehemaligen Mieter:innen seien alternative Wohnungen angeboten worden und die neuen Mietpreise der Seewarte seien zum grössten Teil im mittleren Preissegment, «so dass deren Wohnungen insbesondere auch für Familien mit Kindern bezahlbar sind».
Zum Zeitpunkt der Recherche sind fast alle Wohnungen bereits vermietet und die Mieten nicht mehr online. Die Preise will die für die Erstvermietung verantwortliche Firma nicht preisgeben. Auf Nachfragen reagierte sie nicht. Screenshots belegen die Mietzinsen: 2,5-Zimmer kosten zwischen 2840 und 3955 Franken, 3,5-Zimmer zwischen 3715 und 4990 – was einem monatlichen Nettoquadratmeterpreis zwischen 40 und 50 Franken entspricht und damit im Hochpreissegment anzusiedeln sind.
Und auch auf die Fragen für diesen Artikel reagiert die Stiftung nicht konkret, die Antworten fallen etwa ähnlich aus, wie jene, die der Quartierverein bekommen hat. Auch hier: Einen Widerspruch in den hohen Mieten und dem gemeinnützigen Zweck sieht niemand. Die Mietzinsen würden der aussergewöhnlichen Lage, den guten Anbindungen an den ÖV, der parkähnlichen Anlage sowie dem sehr hochwertigen Ausbau entsprechen, schreibt Roger Schmid, Geschäftsführer der Stiftung.
Auf den Vorwurf von Schiwow, dass die Stiftung mit ihrer Liegenschaftspolitik die absolute Illustration von diesem Teufelskreis sei, geht er nicht ein.
Mit den Mieten steigt die Quartierüblichkeit
Schiwow hegt wenig Sympathien für die beiden Stiftungen. Mit etwas mehr Nüchternheit ordnet der AL-Gemeinderat die Mieten der beiden Stiftungen gegenüber den Richtlinien, die sie beim Mieterinnen- und Mieterverband haben, ein: «Wir sprechen von einem vertretbaren Rahmen, wenn man für vier Zimmer bis 2000 Franken oder für drei Zimmer bis 1700 Franken bezahlt.»
In einer kürzlich erschienenen Mietpreiserhebung der Stadt heisst es, dass der gesamtstädtische Medianpreis für zwei Zimmer bei monatlich 1336 Franken, für drei Zimmer bei 1470 Franken und für vier Zimmer bei 1787 Franken liegt. Generell sind die Mieten seit Anfang der Nullerjahre in Zürich um ungefähr 40 Prozent gestiegen. Der mittlere Netto-Quadratmeterpreis für 3 Zimmer liegt bei knapp 20 Franken. Was zeigt, dass die Preise der GGN mit 30 bis 48 Franken pro Quadratmeter im Monat und jene der Ernst Göhner Stiftung mit zwischen 40 und 50 Franken teils weit über dem Median liegen.
Problematisch seien Neubauprojekte vor allem auch, weil sich dann auch weitere Immobilienbesitzer:innen mit dem Argument der Quartierüblichkeit daran richten können. Dies würde die Preise in Quartieren in die Höhe treiben, fügt Schiwow an.
Exemplarisch zeigen das die Daten vom Vergleichsdienst Comparis und jener der Stadt. Die Zahlen von Comparis sind um einiges höher als jene der Stadt. Das hängt damit zusammen, dass sich der Vergleichsdienst auf Inserate bezieht, also auf die ausgeschriebenen Mieten. In jene der Stadt fliessen auch Bestandsmieten ein, sie umfassen also auch alte Mietverträge, die nie oder länger nicht erhöht worden sind. Darum die Unterschiede. In der Argumentation, ob also Mieten quartierüblich sind, kommt es ganz darauf an, an welchen Zahlen man sie misst.
Es geht auch anders
Geld lässt sich auch mit günstigen Wohnungen machen. Das zeigt das Beispiel des «Billigbauers der Nation», wie Leopold Bachmann von der NZZ genannt wird. Der Unternehmer konnte mit Immobilien viel Geld verdienen und so die gleichnamige Stiftung gründen. Heute besitzen seine Familie und die Stiftung rund 5000 Wohnungen (darunter das Micafil-Areal in Altstetten oder die Sugus-Häuser im Kreis 5) und gelten als bedeutende Player auf dem Schweizer Immobilienmarkt, schreibt der Tages-Anzeiger. Bachmann sei gar das Gegenteil von Gentrifizierung vorgeworfen worden, er locke überdurchschnittlich viele Geringverdienende an.
Ebenfalls ist die Dr. Stephan à Porta-Stiftung ein Beispiel dafür, dass sich Neubauwohnungen nicht per se an der Quartierüblichkeit orientieren müssen.
Die Stiftung wurde 1945 vom gleichnamigen Stifter gegründet. Mit dem Reingewinn unterstützt sie Projekte von gemeinnützigen und sozialen Institutionen. Seit der Gründung wurden Zuwendungen von mehr als 50 Millionen Franken ausgeschüttet. 140 Liegenschaften mit rund 1300 preisgünstigen Wohnungen in der Stadt Zürich gehören ins Portfolio der Stiftung. In den Statuten hielt Stephan à Porta fest, dass die Mieten so festzusetzen sind, dass sie gegenüber vergleichbaren Wohnungen in Zürich noch vorteilhaft sind.
Solche Wohnungen mit «vorteilhaften» Mieten sind im Quartier Hard an der Ecke Hohl-, Egli- und Eichbühlstrasse entstanden. Der Ersatzneubau umfasst insgesamt 148 Wohnungen, ein Palliativzentrum, einen Kindergarten und vier Wohngemeinschaften für Studierende. Zehn Wohnungen wurden speziell für Menschen mit Mobilitätsbehinderung gebaut.
Im November stellte die Stiftung das Neubauprojekt vor, erste Mieter:innen sind bereits eingezogen. Der Architekt führt durch eine 4,5-Zimmer-Wohnung, die 2100 Franken kostet. Der Netto-Quadratmeterpreis liegt bei dieser bei gut 20 Franken. «Die Mietzinsen berechnen wir nach unseren Investitionen und nicht nach dem Markt», sagt Armin Isler, Geschäftsführer der Stiftung. «Wir geben uns mit einer bescheidenen Rendite zufrieden.» Und bei Sanierungen oder Neubauten verzichte die Stiftung auf unnötigen Luxus und achte auf robuste und qualitativ hochwertige Materialien. So können Reparatur- und Renovationskosten tief gehalten werden. «Mit den vorhandenen Mitteln gehen wir haushälterisch um und unternehmen alles, um die Kosten tief zu halten», fügt Isler weiter an.
Neben den günstigen Mieten ist die Stiftung auch um einiges transparenter als andere Akteur:innen auf dem Immobilienmarkt, die Mietzinsen verschwinden nicht einfach mit dem Einzug der Mieter:innen.
Heizen Stiftungen mit ihren Immobilien die Gentrifizierung an?
Aber auch das Neubauprojekt Eglistrasse sorgte für Wirbel, als 2018 den ehemaligen Mieter:innen gekündigt und die Siedlung abgerissen wurde.
Die AL kritisierte das «Hauruckvorgehen der Stiftung» scharf. Und auch der MV machte sich für die Bewohner:innen stark. Die Stiftung habe unsensibel agiert. «Zürich verliert rund 300 Billigwohnungen», titelte damals der Tages-Anzeiger. Eine 3-Zimmer-Wohnung kostete zwischen 600 und 800 Franken. Heute sind sie doppelt so teuer, was aber im Vergleich mit anderen Mieten im Quartier immer noch günstig ist. «Es gibt Menschen, die sich günstige Wohnungen nicht leisten können und die auf billig angewiesen sind», kommentiert Schiwow.
«Stiftungen sind Trittbrettfahrerinnen der Gentrifizierung.»
Mischa Schiwow, MV Zürich
Dem gegenüber stehen Stiftungsexpert:innen wie Jakob und von Salis. Verhalten sich Stiftungen auf dem Immobilienmarkt marktorientiert, tun sie nichts Illegales. Sie dürfen ihr Geld so anlegen, wie sie wollen. Von Salis findet klare Worte: «Stiftungen sind einzig und allein ihrem Zweck verpflichtet. Warum müssen sie sich rechtfertigen, wenn sie dieser Pflicht nachkommen?»
Auch wenn in den Augen von Schiwow die wirklichen Treiber:innen der Gentrifizierung, die Pensionskassen und Anlagefonds mit ihrer Immobilienstrategien sind, sieht er auch Stiftungen in der Verantwortung. «Sie sind Trittbrettfahrerinnen der Gentrifizierung», sagt er.
Geht es nach Schiwow, wäre es wünschenswert, wenn sich Stiftungen bei ihren Immobilieninvestments nicht nur ihrer Anlagestrategie und ihrem Zweck verpflichtet fühlen, sondern auch dem Zürcher Wohnungsmarkt, der immer mehr austrocknet. Denn mit Wohnbauprojekten wie der Hofacker-Siedlung oder dem Park Schönbühl heizten auch Stiftungen mit wohltätigen Zwecken die Aufwertung weiter an. Ganz nach dem Motto «der Zweck heiligt die Mittel».
Dieser Artikel wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.
Zudem wurde diese Recherche ermöglicht durch «investigativ.ch: Recherche-Fonds der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung».