Sicherheitsdebatte eskaliert: Zürich sucht nach Polizeilösungen
Ein Angriff im Tram, keine Polizei in Sicht: Zürichs Sicherheitslage sorgt für heftige Debatten im Gemeinderat. FDP und SVP orten Versagen bei der Stadt – während die zuständige Stadträtin weiterhin 150 neue Stellen fordert.
«Es tut mir unendlich leid.» Mit diesen Worten entschuldigte sich Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) im Stadtparlament.
Am Samstag war eine Frau im 13er-Tram angegriffen worden, doch keine Patrouille konnte einschreiten: Alle verfügbaren Kräfte waren beim Knabenschiessen und einem Grosseinsatz wegen einer versuchten Besetzung des Kasernenareals gebunden.
Michael Schmid (FDP) sprach von «brutalen Attacken» linker Gewalttäter:innen und forderte mehr Härte. Doppelbödig sei, dass man Laubbläser oder Plakatständer reglementiere, bei «gewalttätigen Linkesextremisten» aber nicht konsequent durchgreife. Die FDP sieht die Verantwortung bei den linken Parteien, weil diese nicht genügend Ressourcen für die Polizei bereitstellten.
Noch deutlicher wurde die SVP. Stephan Iten sprach von einem «Staatsversagen auf ganzer Linie». Von der linksextremen Szene schlug er einen Bogen zur offenen Drogenszene in der Bäckeranlage. Sein Parteikollege Michele Romagnolo forderte eine «schnelle Räumung» und bezeichnete Zürich als «Paradies für alle Drogenkonsumierende». Beide SVP-Vertreter machten klar: Es brauche mehr Polizei und mehr Repression. Gegen die Linken und gegen die Süchtigen.
Die SP wies die Kritik zurück. «Wir lehnen jede Gewalt ab», betonte Reis Luzhnica. Der Vorwurf, die SP streiche Polizeistellen, sei falsch: Man bewillige jedes Jahr zusätzliche Posten, doch die Polizei könne offene Stellen oft nicht besetzen – trotz steigender Anforderungen an die Stadtpolizei.
Stadträtin Rykart selbst stellte sich der Kritik.
Sie werde bei der nächsten Budgetdebatte 150 zusätzliche Stellen beantragen. Zürich sei eine 24-Stunden-Stadt mit über 400 Demonstrationen pro Jahr und zahlreichen Grossveranstaltungen. Viele Polizist:innen könnten ihre freien Wochenenden nicht mehr beziehen, Überstunden häuften sich. Als eine entlastende Sofortmassnahme wurden die Öffnungszeiten einzelner Regionalwachen verkürzt, um mehr Personal auf Patrouillen zu haben.
Fast eine Dreiviertelstunde dauerte das gegenseitige Sich-Beschuldigen, bevor endlich mit den ordentlichen Traktanden begonnen werden konnte.
Zürichs Polizeiwachen: Von Freitag bis Montag geschlossen
Wir bleiben bei der Polizei. Wer in Zürich am Wochenende Opfer von Gewalt wird oder aus anderen Gründen Anzeige erstatten will, hat ein Problem: Die Stadtpolizei hat seit August alle Wachen – inklusive der Urania-Posten mitten in der City – von Freitagabend bis Montagmorgen dichtgemacht.
Grund: Personalmangel. Lösung? Ein Online-Formular. Oder die Notrufnummer.
FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher will das nicht hinnehmen. In einem Postulat fordert sie, dass zumindest die Urania-Wache wieder geöffnet hat. Es könne nicht sein, dass beispielsweise eine Frau nach einem Sexualdelikt niemanden persönlich erreichen könne.
Auch AL, SP, Mitte und Grüne stimmen zu: «Gerade für Gewaltbetroffene ist der direkte Gang zur Polizei zentral», meint Moritz Bögli (AL). Und Markus Knauss (Grüne) doppelt nach: «Es geht um Prioritäten.»
Der Stadtrat bleibt gelassen: Wachen seien auch übers Wochenende besetzt – bloss eben hinter verschlossener Tür. Wenn es dringend sei, könne man trotzdem Anzeige erstatten, sagt Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart.
Die GLP war als Einzige gegen das Postulat. Fraktionschef Sven Sobernheim pusht die Zusammenarbeit mit der Kapo, deren Schalter im HB auch am Wochenende geöffnet ist.
Der ganze Rest des Gemeinderats stimmt dem Postulat zu und erteilt der Regierung einen Prüfauftrag.
Weitere Themen aus dem Rat
Der Zürcher Gemeinderat will mehr kleine Liegenschaften kaufen: Trotz Widerstand von Mitte und Bürgerlichen (63:57 Stimmen) gab es eine deutliche Mehrheit. Die Motion von SP-Gemeinderätin Anjushka Früh fordert eine neue Kaufstrategie: Nicht nur grosse Areale, sondern auch kleinere Häuser sollen gekauft werden, um günstigen Wohnraum zu schaffen. Gerade in dichten Quartieren sei das entscheidend. «Jede auch noch so kleine Liegenschaft, die wir sichern können, ist ein Baustein, um die Wohnkrise zu lindern», so Früh. Der Stadtrat wollte die Motion nur als Postulat annehmen – unter anderem wegen des höheren Aufwands bei kleinen Objekten. Der Rat entscheidet anders.
Einkommensobergrenze bestätigt: Für den Zugang zu preisgünstigem Wohnraum gilt künftig wieder eine Einkommensgrenze. Debattiert wurde bereits im Juni (wir haben berichtet), endgültig entschieden wurde gestern. Die Regelung betrifft Wohnungen, die im Rahmen von Um- oder Aufzonungen entstehen. Die Linke kritisierte den Entscheid als bürokratisch, bürgerliche Parteien begrüssten die Rückkehr zur Limitierung. Ziel seit, den subventionierten Wohnraum gezielter an Bedürftige zu vergeben.
Schule soll später beginnen: SP, Grüne und AL fordern mit einer Parlamentarischen Initiative, dass der Sekundarunterricht künftig erst um 8 Uhr beginnt. Dies wurde bereits im August debattiert und gestern fix entschieden (wir haben berichtet). Die Mittagspause soll dafür auf eine Stunde verkürzt werden. Die Linke argumentiert mit besserer Lernfähigkeit am Morgen, FDP und SVP lehnen ab – zu wenig Zeit zum Mittagessen, zu viel organisatorischer Aufwand.
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.