Gemeinderat der Woche

Tom Cassee (SP): «Niemand sollte zwischen Lärm und Verdrängung wählen müssen»

Als Generalsekretär der SP ist Tom Cassee in der nationalen Politik mittendrin. Mit seinem Einzug in den Zürcher Gemeinderat wagt er nun den Schritt auf die lokalpolitische Bühne und übernimmt damit sein erstes parlamentarisches Mandat.

Gemeinderat Tom Casse
In seiner Freizeit ist Gemeinderat Tom Cassee am liebsten in den Bergen unterwegs. (Bild: Privat)

«Ich wurde auf verschiedenen Ebenen politisiert», sagt Tom Cassee. Und doch gibt es Erlebnisse, die besonders nachwirken – etwa solche aus seiner Kindheit. Cassee wuchs mit einer berufstätigen Mutter auf, während der Vater die Kinderbetreuung übernahm. Die Eltern wurden damals für ihre Rollenverteilung in der Gemeinde beäugt: «Ich habe früh gemerkt, dass unsere Familienkonstellation etwas ungewöhnlich war», erinnert sich der SP-Politiker.

Im Gymnasium begann er, sich intensiver mit globaler Gerechtigkeit und den Protesten gegen das World Economic Forum (WEF) auseinanderzusetzen. Mit Anfang 20 stieg er in die politische Arbeit ein und engagierte sich später etwa für die 1:12-Initiative sowie die Konzernverantwortungsinitiative. Obwohl er sich schon früh für politische Anliegen interessierte, sagt er: «Als Kind war es nicht mein Traumberuf, Politiker zu werden.» Vielmehr sei er schrittweise in die Politik hineingerutscht.

Hauptberuflich sorgt der 44-jährige als Generalsekretär der SP Schweiz dafür, dass im Hintergrund alles funktioniert. Dabei unterstützt er Parlamentarier:innen im National- und Ständerat oder entwickelt Kampagnen. «Es ist spannend, an der Schnittstelle von Organisation und Politik mitwirken zu können», sagt er. 

Für seine Arbeit erhält Cassee auch Anerkennung aus bürgerlichen Reihen, wie die NZZ kürzlich schrieb. Er selbst reagiert jedoch verhalten auf das Lob: «Wenn ein Kompliment von Bürgerlichen an die SP kommt, dann ist es meistens ein vergiftetes.»

Im Sommer hat Cassee schliesslich den Schritt auf die politische Bühne gewagt und ist in den Gemeinderat nachgerückt – es ist sein erstes parlamentarisches Mandat. Dort möchte er sich für ein «Zürich für alle» einsetzen. «Zürich ist eine Stadt mit sehr hoher Lebensqualität, aber diese ist nicht für alle gleich spürbar», sagt er. So seien etwa die Rechte und Chancen von Sans-Papiers oder Menschen mit kleinem Einkommen stark eingeschränkt.

Darüber hinaus will sich Cassee im Rat damit beschäftigen, wie Strassen nachhaltig beruhigt werden können, ohne dass ganze Quartiere gentrifiziert werden. «Es darf nicht sein, dass Menschen entweder im Lärm leben oder verdrängt werden», so der SP-Gemeinderat. In seinem Wahlkreis 3 seien solche besorgniserregenden Entwicklungen bereits seit Jahren zu beobachten.

Wenn er nicht als Generalsekretär oder Gemeinderat unterwegs ist, hält sich Cassee am liebsten weit weg in den Bergen auf. «Ich brauche genug Auslauf, sonst werde ich ungeduldig», sagt er.

Warum sind Sie Gemeinderat geworden?

Es reizte mich, neben der nationalen Ebene auch in die lokale Politik einzutauchen, da die Ausgangslagen doch sehr unterschiedlich sind. Auf nationaler Ebene ist die SP vor allem in Referendumskämpfen – also in Abwehrkämpfen, verwickelt. Die Chance, dass wir im Parlament eine Mehrheit für progressive Vorlagen erreichen, ist eher gering. Natürlich gibt es aber auch Erfolge, wie beispielsweise die 13. AHV-Rente. In der Stadt Zürich können wir viel mehr gestalten. Hier können wir zeigen, was linke Politik ganz konkret bedeutet. 

Als Gemeinderat durfte ich meine Kommission nicht selbst auswählen, hatte aber Glück: Im Gremium der Industriellen Betriebe kann ich mich nun für das Thema Klimaschutz einsetzen, das mir persönlich sehr am Herzen liegt.

Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?

Ich habe mich über die Annahmen zur wirtschaftlichen Basishilfe und zum Mindestlohn sehr gefreut. Die Basishilfe ist wichtig, damit Menschen ohne Schweizer Pass und ohne legalen Aufenthaltsstatus eine Grundsicherheit haben. Der Mindestlohn hätte dafür sorgen sollen, dass der Lohn zum Leben ausreicht und die Menschen nicht am Ende des Monats jeden Rappen umdrehen müssen.

Welches hat Sie am meisten geärgert?

Ich finde es unsäglich, dass sowohl der Zürcher Mindestlohn als auch die wirtschaftliche Basishilfe für Sans-Papiers aktuell wegen der FDP juristisch blockiert sind.

Wie gehen Sie mit politischen Niederlagen um?

Ich bin grundsätzlich ein sehr hoffnungsvoller Mensch. Wenn man jedoch sehr viel in eine Abstimmung investiert hat und das Ziel dann nicht erreicht, ist das schmerzhaft. Bevor ich Generalsekretär bei der SP Schweiz wurde, habe ich an der Konzernverantwortungsinitiative gearbeitet. Dort haben wir das Volksmehr zwar erreicht, aber das Ständemehr nicht. Diese Niederlage hat mich getroffen.

Wenn finanzstarke Konzerne und Teile des bürgerlichen Lagers geschlossen dagegenhalten, wird es schwer. Zunächst war ich ein paar Tage lang deprimiert. Doch daraus wuchs ein Ansporn, weiterhin zu versuchen, die Welt ein kleines Stück gerechter zu machen.

Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?

Um jemanden aus der politischen Gegenseite zu nennen, bin ich ehrlich gesagt noch etwas zu neu im Rat. Wenn ich mir aber die wöchentlichen Parolen von Samuel Balsiger (SVP) anhöre, vergeht mir die Lust, ein Bier mit der Gegenseite zu trinken.

Daher würde ich Dominik Waser (Grüne) nennen, auch wenn er nicht von der Gegenseite ist. Wir sind gemeinsam in der Kommission. Ich glaube, von ihm kann ich noch viel dazulernen, wie man im Klimaschutz auf städtischer Ebene vorankommt. 

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2600 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Jetzt unterstützen!
Minea Pejakovic

Nach der Ausbildung zur Kauffrau EFZ beim Sozialdepartement der Stadt Zürich folgte die Berufsmaturität an der KV Zürich mit Schwerpunkt Wirtschaft. Anschliessend Bachelorabschluss in Kommunikation und Medien mit Vertiefung Journalismus an der ZHAW. Erste journalistische Erfahrungen als Praktikantin in der Redaktion von Tsüri.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare