Racial Profiling in Zürich: Die Schweiz wurde gerüffelt, endlich!

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt über einen Racial Profiling Fall in Zürich. Der Betroffene hat recht bekommen. Warum dies ein gutes Signal ist, im Kommentar von Lara Blatter.

Wenn die Polizei eine Person einzig aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres ausländischen Aussehens kontrolliert, nennt man dies Racial Profiling. (Quelle: Lara Blatter)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am Dienstag in einem wegweisenden Urteil gegen die Schweiz entschieden, dass die Kontrolle eines Schwarzen Mannes am Hauptbahnhof diskriminierend war. Ein kleiner Lichtblick. 

Zuerst aber den Blick zurück. SRF hat zusammengefasst: Zürcher Stadtpolizist:innen verlangten vom heute 49-jährigen Mohammed Wa Baile 2015 am Hauptbahnhof, sich auszuweisen. Der Mann, der auf dem Weg zur Arbeit war, weigerte sich, seinen Ausweis zu zeigen, denn die Polizei habe ihm keine Gründe für die Kontrolle genannt. Wa Baile wandte den Blick ab. Das war Hinweis genug; der Polizist schöpfte Verdacht, der Mann könnte gegen das Ausländergesetz verstossen haben und kontrollierte ihn.

Einige Wochen später kassierte Wa Baile einen Strafbefehl wegen Nichtbefolgens polizeilicher Anordnung: 100 Franken Busse, weil er dem Blick des Polizisten auswich und eine ungerechtfertigte Kontrolle verweigerte. Er ging daraufhin vor Gericht, verlor aber in allen Instanzen – Bezirksgericht, Obergericht und schliesslich auch vor dem Bundesgericht. Wa Baille gab sich damit nicht zufrieden und wehrte sich bis vor den EGMR, mit Erfolg.

Die Richter:innen in Strassburg waren einstimmig der Meinung, dass die Kontrolle diskriminierend war und dass dies die Gerichte bei der Überprüfung der Busse hätten berücksichtigen müssen. Das Gericht nimmt die Schweiz in die Mangel: Die fehlenden gesetzlichen Vorschriften zu Racial Profiling könnten zu diskriminierenden Identitätskontrollen führen.

«Racial Profiling ist in vielen Ländern ein Problem, Wa Bailes Klage könnte wichtige Symbolkraft haben.»

Das EGMR hat denn Fall zudem als «Impact Case» eingestuft. Heisst, es handelt sich um einen Fall, der von besondere Bedeutung für die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes ist. Racial Profiling ist in vielen Ländern ein Problem, Wa Bailes Klage könnte wichtige Symbolkraft haben. 

Was 2015 als Personenkontrolle in Zürich seinen Anfang genommen hat, endet nun in Strassburg als Verstoss gegen die Menschenrechts­konvention. Rassistische Polizeigewalt hat in der Schweiz System. Traurig, braucht es den EGMR und kriegen wir es nicht selbst hin, dieses System zu entlarven. Dass Wa Baile und andere von Racial Profiling Betroffene es satthaben, ständig und nur aufgrund ihrer Hautfarbe ins Visier der Polizei zu geraten, müssen wir ernst nehmen. 

Wie wärs mit einer Entschuldigung?

Das Sicherheitsdepartement schreibt in der Mitteilung zum Urteil, dass man das Urteil des Gerichtshofes analysieren werde. Weiter listet die Stadt auf, was sich seit dem Fall Wa Baile verändert hat: Polizist:innen müssen Personen, die sie kontrollieren, heute den Grund für die Überprüfung angeben. Ein diffuses Bauchgefühl allein reiche nicht aus. 

Aber offensichtlich reicht auch ein Rüffel des Gerichtshofes für Menschenrechte nicht aus, dass man sich einfach mal entschuldigt. «Selbstverständlich passieren in einem Korps mit über 2100 Mitarbeitenden Fehler», schreibt das Sicherheitsdepartement. «Wenn wir fehlbares Verhalten feststellen, reagieren wir.» Das ist doch ein Affront gegenüber allen People of Color. 

Fälle von Racial Profiling sind keine Seltenheit. Vor Gericht haben sie wenig Chancen, so wurde bereits letzte Woche ein Polizist freigesprochen, der 2009 Wilson A. bei einer Personenkontrolle angegriffen und verletzt haben soll. Keine Frage, solche Urteile wie jenes vom EMRK sind wichtig. Wir können jetzt aber nicht in die Hände klatschen, uns zurücklehnen und darauf hoffen, dass ein nächster Fall ebenso beurteilt wird. Dass ein Fall überhaupt bis nach Strassburg gezogen wird, ist Seltenheit. Der Weg dorthin braucht viel Kraft – emotionale und finanzielle.

Die Polizei als staatliches Organ ist legitimiert, Gewalt anzuwenden – ihr obliegt das Gewaltmonopol. Täglich passieren unter dem Radar der Gesellschaft rassistische Polizeikontrollen. Das ist ein Problem, die Betroffenen werden alleine gelassen, ihre Erlebnisse infrage gestellt. Ein Systemwechsel ist komplex und liegt in weiter Ferne. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir als Zivilgesellschaft unsere Verantwortung wahrnehmen und ebenfalls aktiv werden. Aktiv gegen Racial Profiling.

Die Allianz gegen Racial Profiling listet Möglichkeiten auf, wie man Betroffene zu Seite stehen kann

  • Zeug:in werden: Stehenbleiben, beobachten, Notizen machen, Passant:innen ansprechen, die ebenfalls Zeug:innen sein könnten. Danach unbedingt mit der kontrollierten Person sprechen. Fragen wie es ihr geht und anbieten, dass man als Zeug:in aussagen würde.
  • Zur Seite stehen: Signalisiere der kontrollierten Person und der Polizei, dass du die Kontrolle beobachtest. Die Polizei könnte dich womöglich wegweisen, doch es ist dein Recht, die Kontrolle zu beobachten, solange du nicht störst. Wirst du dennoch weggewiesen, frage nach dem Grund.

Bist du betroffen von Racial Profiling und würdest mit Tsüri.ch über den Vorfall sprechen? Dann melde dich hier.



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