Gaza-Krieg: ETH setzt auf Repression statt Dialog

Am Dienstag haben pro-palästinensische Protestierende eine Sitzblockade an der ETH errichtet. Diese antwortet mit polizeilicher Repression. Die ETH hat damit überreagiert. Ein Kommentar von Lara Blatter.

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«Students For Palestine», «Palästina Komitee Zürich», «Jüdisch Antikolonial» und das «Kollektiv Doykait» haben am Dienstag einen Protest an der ETH organisiert. (Bild: zvg)

An der ETH Zürich haben sich am Dienstag kurz vor Mittag gegen 80 Menschen zu einem pro-palästinensischen Protest versammelt und eine Sitzblockade errichtet. Die Demonstrierenden sassen am Boden und verlasen Statements. Vor ihnen lag ein Banner mit dem Slogan «No Tech for Genocide». 

In einem Statement, das die vier Gruppen «Students For Palestine», «Palästina Komitee Zürich», «Jüdisch Antikolonial» und das «Kollektiv Doykait» gemeinsam veröffentlicht haben, fordern sie in erster Linie, dass die ETH eine klare Position gegen den Genozid in Gaza bezieht. Auf gewaltfreie Art wollen sie auf das Leid in Gaza aufmerksam machen und ein Ende der akademischen Zusammenarbeit mit all jenen Organisationen bewirken, die den Krieg ermöglichten.

Laut Mitteilung der Polizei hat die ETH den Protestierenden mitgeteilt, dass sie diesen Protest nicht tolerieren werden. Ein Protest, der weder den Hochschulbetrieb lahm legte, noch grosse Massen anzog. Wer bis zum Eintreffen der Polizei die Kundgebung nicht verlassen hatte, wurde wegen Hausfriedensbruch verzeigt. Laut Polizei sind 28 Personen kontrolliert und weggewiesen worden. Wer passiven, also friedlichen Widerstand leistete, wurde aus dem Gebäude getragen.

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Die Polizei führt einen Demonstranten ab. (Bild: zvg)

Die Proteste gegen den Krieg in Gaza sind nach zahlreichen Kundgebungen an amerikanischen Universitäten und an der Uni Lausanne nun auch an der ETH Zürich und der Uni Genf angekommen. Solche Aktionen während Kriegszeiten zeigen, dass wir Universitäten als politische Orte sehen müssen. Wo Wissen geschaffen wird, bilden sich Meinungen. Da muss es doch möglich sein, dass wir diese Räume auch für kritische Meinungen öffnen. 

So sieht es auch Amnesty Schweiz in einem Statement: Universitäten seien Orte des freien Denkens und der Wissenschaft, deren Aufgabe es sei, die Entwicklung des geistigen Lebens zu fördern und den gesellschaftlichen Diskurs anzuregen. «Wir fordern die Universitätsverwaltung auf, das Recht auf friedliche und sichere Proteste auf ihrem Campus zu respektieren», sagt die Gechäftsleiterin von Amnesty Schweiz. Nur als letztes Mittel sei die Polizei zu rufen. 

Gegenüber Watson meint die ETH, dass sie sich als Ort sehe, wo unterschiedliche Meinungen und Perspektiven offen geäussert werden dürfen und sollen. Allerdings würden unbewilligte Aktionen nicht toleriert: «Die Räume der ETH Zürich stehen nicht für politischen Aktivismus zur Verfügung.»

Eine Institution wie die ETH muss Anliegen von Studierenden ernst nehmen. Ob sie allen nachkommt, ist eine andere Frage. Aber sie zu unterdrücken, ist keine Option. Das ist eine Verletzung der sonst so hochgepriesenen Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Doch statt mit den Protestierenden in Dialog zu treten, unbequeme Meinungen auszuhalten und einen Diskurs zu führen, wird die Polizei gerufen und friedliche Protestierende werden abgeführt. 

In Gaza herrscht ein Krieg, der bereits über 30’000 Menschen das Leben kostete. Statt dahin zu schauen und unsere internationale Solidarität mit den Zivilist:innen in Israel und Palästina auszudrücken, auf Völkerrecht und Menschenrecht zu pochen, schauen wir lieber an die ETH. Statt die humanitären Anliegen medial zu thematisieren, verkümmern die eigentlichen Inhalte zur Nebensache und wir lassen es zu, dass friedliche Demonstrant:innen, die sich in erster Linie für Menschenrechte einsetzen, von der Polizei abgeführt werden. 

«Palästina, so wirkt es, ist ein Gradmesser, wie weit internationale Solidarität in Deutschland reicht. Die Antwort: offenbar nicht sehr weit», schrieb kürzlich ein Journalist in der WOZ. So scheint es mir auch in Zürich. 

Der Krieg in Gaza dauert an, das Leid ist unvorstellbar, täglich sterben zig Palästinenser:innen und über hundert israelische Geiseln konnten nach wie vor nicht befreit werden. Warum die Forderung nach Menschenrechte und Solidarität für alle dermassen polarisiert, lässt mich hilflos zurück.

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