Politisches Hickhack: 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende stockt

Der Stadtrat drückt sich vor der Umsetzung der 35-Stunden-Woche bei städtischen Schichtarbeitenden. Das möchte sich eine Mehrheit des Gemeinderats nicht gefallen lassen: Am Mittwoch verweigerte sie eine weitere Fristerstreckung.

Ein Mann mit einem Wischmob
Die 35-Stunden-Woche soll Angestellte in systemrelevanten Berufen entlasten. (Bild: Tsüri.ch)

«Unsere Geduld ist endlich», sagte David Garcia Nuñez (AL) am Mittwoch im Stadtparlament. Seit über zwei Jahren warten er und Anna Graff (SP) darauf, dass der Stadtrat ihre gemeinsame Motion umsetzt. 

2023 stimmte der Gemeinderat einem Pilotversuch für die 35-Stunden-Woche zu. Gefordert ist ein wissenschaftlich begleitetes Projekt für Schichtarbeitende der Stadt – etwa in der Pflege, bei der Stadtpolizei oder den VBZ. Damit sollen Angestellte in systemrelevanten Berufen entlastet werden.

Der Stadtrat beantragte erneut eine Fristerstreckung für seine Antwort. Doch am Mittwoch riss David Garcia Nuñez der Geduldsfaden: «Die Stadt implodiert nicht, wenn der Stadtrat ein Pilotprojekt zulässt. Es wird auch keine Zombieapokalypse geben, nur weil einige Stadtangestellte 35 statt 42 Stunden arbeiten.»

«Bei Akademiker:innen gewährt man den Versuch, die Unterschicht vertröstet man auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.»

David Garcia Nuñez (AL)

Besonders kritisierte er, dass Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP) parallel das Projekt «42+4» lancierte, das die Arbeitsbedingungen von Assistenzärzt:innen verbessern soll. «Bei Akademiker:innen gewährt man den Versuch, die Unterschicht vertröstet man auf den Sankt-Nimmerleins-Tag», so Garcia Nuñez.

Der Stadtrat begründete den Verzug damit, dass das Vorhaben komplex sei und sorgfältiger Vorabklärungen bedürfe. Ein Pilotprojekt würde einen «massiven Eingriff in das städtische Recht und insbesondere sein Lohnsystem», heisst es im Antrag auf weitere Fristerstreckung.

Doch die Motionär:innen sehen darin eine Verzögerungstaktik. Um den Druck auf den Stadtrat zu erhöhen, verweigerte die linke Ratsmehrheit die beantragte Fristerstreckung. Nun muss sich der zuständige Stadtrat Daniel Leupi vor den Kommissionsmitgliedern rechtfertigen.

Dass ein solcher Pilot funktioniert, zeigt ein Beispiel aus Wetzikon: Dort wurde 2023 bei 260 Pflegefachpersonen die Arbeitszeit um zehn Prozent reduziert, bei gleichem Lohn. Ergebnis: weniger Krankheitsfälle und nachweislich mehr Wohlbefinden bei den Mitarbeitenden.

Erste Bikesharing-Station für Witikon

In Witikon, 200 Meter über dem Stadtzentrum, wohnen 12’000 Menschen – und in Zukunft noch viel mehr. Die Stadt geht von einem grossen Wachstum in den nächsten zwei Jahrzehnten aus. Deshalb soll nun das Sportzentrum Looren um eine Dreifachhalle ergänzt werden. Am Mittwochabend entschied das Stadtparlament, zusätzliche Elemente in das Projekt aufzunehmen.

Visualisierung Siegerprojekt Sportzentrum Looren
Neben neuen Turnhallen soll es auch neue Rasenflächen geben: Drei Kunstrasenfelder sowie zwei Naturrasenfelder sind vorgesehen. (Bild: Filippo Bolognese Images)

Balz Bürgisser (Grüne), ehemaliger Präsident des Quartiervereins Witikon, stellte vor:

Erstens soll neben der Dreifachhalle eine neue Betreuungsinfrastruktur entstehen, in der täglich bis zu 300 Kinder verpflegt und betreut werden können. «Im Einzugsgebiet vom Looren entstehen viele neue Wohnungen, etwa die Siedlung Harsplen», begründete Bürgisser die Anpassung.

Zweitens soll das Gemeinschaftszentrum Witikon im Sportzentrum einen Zweitstandort mit 450 Quadratmetern Fläche erhalten, inklusive Mehrzweckraum und einem Saal mit Küche. Und drittens sollen die Hallen auch für den Rollstuhlsport nutzbar sein – dafür braucht es bauliche Anpassungen.

«Es ist eine Investition in die Zukunft», sagte Ann-Catherine Nabholz (GLP). Für die Planung muss der Kredit von 5 auf 10 Millionen Franken erhöht werden. Alle Parteien unterstützten dies grundsätzlich, mit Ausnahme der SVP. «Die Kosten ufern aus», kritisierte Jean-Marc Jung (SVP).

«Wer ein E-Bike will, kann sich selber eines kaufen und es in der eigenen Küche aufladen.»

Jean-Marc Jung (SVP)

Hitziger wurde die Diskussion, als zwei weitere Änderungen eingebracht wurden: 

Statt 89 sollen nur 50 Parkplätze vor dem Sportzentrum gebaut werden, da das Looren mit dem ÖV sehr gut erreichbar sei. «Damit leisten wir einen Beitrag zur Reduktion der CO₂-Emissionen», sagte Bürgisser.

Sabine Koch (FDP) erwiderte: «Bei Sportveranstaltungen kommen nicht nur Stadtzürcher:innen, sondern auch Auswärtige.» Gerade beim American Football bringe man schweres Equipment mit – dafür brauche es Parkplätze.

«Nicht alle Haushalte können sich ein E-Bike leisten.»

Sofia Karakostas (SP)

Neu vorgesehen ist ausserdem die erste Publibike-Station in Witikon, um die nachhaltige Mobilität zu fördern. SVP-Jung wendete ein: «Wer ein E-Bike will, kann sich selber eines kaufen und es in der eigenen Küche aufladen.»

Sofia Karakostas (SP) konterte: «Nicht alle Haushalte können sich ein E-Bike leisten. Bikesharing macht nachhaltige Mobilität für alle zugänglich und stärkt zudem das Quartierleben.»

Am Ende stimmte die linke Mehrheit des Gemeinderats den Plänen inklusive Parkplatzabbau zu. Auch der Vorstoss zur Errichtung der Bikesharing-Station wurde zur Prüfung an den Stadtrat überwiesen.

Weitere Themen aus dem Rat

Gewaltprävention in Schulen soll gestärkt werden

Eine Motion von Grünen-Politiker:innen fordert, dass Gewaltprävention in den Stadtzürcher Schulen stärker verankert wird. «So selbstverständlich wie Sprachen Teil des Lehrplans sind, muss auch Gewaltprävention dazugehören», sagte Motionärin Anna-Béatrice Schmaltz. Nötig sei eine langfristige und verbindliche Strategie mit ganzheitlichem Blick. 

Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) lehnte die Vorlage ab mit dem Hinweis, es gebe bereits genügend Programme. Dem widersprach Sophie Blaser (AL): Zwar existierten Angebote, doch nicht alle Schulen würden sie nutzen. Genau deshalb brauche es die Motion. Die linke Ratsmehrheit folgte dieser Argumentation und überwies den Vorstoss an den Stadtrat.

Mehr Fläche für Öffentlichkeit am linken Seeufer

Das Seeufer in Wollishofen soll künftig als Ort für «Arbeit, Kultur und Erholung» erhalten bleiben. Dafür hat die Stadt ihren regionalen Richtplan im Bereich Siedlung und Landschaft überarbeitet. «Es geht darum, am Seeufer Raum für die Bevölkerung zu schaffen», erklärte Jürg Rauser (Grüne). 

Konkret sollen die Werft gesichert, die kulturelle Nutzung der Roten Fabrik erhalten sowie zusätzliche Grün- und Erholungsflächen und ein Ausbau des Seeuferwegs ermöglicht werden. Von bürgerlicher Seite kam die Kritik, dass damit neuer Wohnraum verhindert werde. Am Ende stimmten SP, Grüne, AL und GLP zu, sodasss die Änderung des Richtplans angenommen wurde. Als Nächstes muss der Regierungsrat die Teilrevision festsetzen.

Geschwister sollen in gleiche Schule kommen

Der Gemeinderat hat ein Postulat aus der FDP-Fraktion überwiesen. Es fordert den Stadtrat auf, zu prüfen, ob die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Kriterium bei der Zuteilung von Kindern in die Volksschule berücksichtigt werden kann. Somit soll sichergestellt werden, dass künftig etwa Geschwister oder Kinder aus demselben Haushalt in die gleiche Schule kommen.

Geld für Ersatzneubau Auhof

Die Primarschule Auhof und die Sekundarschule Herzogenmühle in Schwamendingen werden ab 2026 als Tagesschule geführt und benötigen mehr Raum. Für die Planung eines Ersatzneubaus hat der Gemeinderat am Mittwoch 2,6 Millionen Franken gesprochen. Der Bezug dieses neuen Gebäudes ist auf 2032 geplant.

Weitere Unterstützung für Freestylehalle

Der Gemeinderat hat gestern einstimmig beschlossen, die Freestylehalle im Werdhölzli weiterhin mit jährlich 110’000 Franken zu unterstützen – und zwar bis ins Jahr 2029.

Nachrücken bei SP

Christina Horisberger aus der SP-Fraktion hat per 10. Oktober ihren Rücktritt aus dem Gemeinderat erklärt. Sie war 2021 ins Parlament eingetreten. Ihren Sitz übernimmt Cordelia Forde, die für den Rest der Amtsdauer nachrückt.

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