Stadelhofen bis Hardbrücke: Das sagt ein Experte zu Röstis Verkehrsplan
Das ETH-Gutachten «Verkehr 2045» im Auftrag des Bundes setzt neue Prioritäten – auch für die Verkehrsplanung in Zürich. Im Interview erklärt Verkehrsplaner Thomas Hug-Di Lena, welche Folgen es auf die städtische Veloinfrastruktur hat und warum der zurückgestellte Ausbau des Bahnhofs Hardbrücke eine verpasste Chance ist.
Nina Graf: Vergangenen Freitag stellte der Bundesrat Albert Rösti (SVP) seine Verkehrspläne für die Schweiz vor. Als Grundlage dient das ETH-Gutachten «Verkehr 2045». Welche Note geben Sie als Stadtplaner dem Gutachten?
Thomas Hug-Di Lena: Eine 4.5, also gerade genügend.
Zürich gehört zu den Profiteur:innen der nationalen Verkehrsplanung, warum sind Sie trotzdem nicht zufrieden?
Für die Region Zürich ist es sicher erfreulich, dass relativ wenig auf die Strasse und mehr auf den Ausbau von Zuginfrastrukturen gesetzt wird. Neue Infrastrukturen sind aber nur ein Bausteinchen auf dem Weg. Wichtiger ist die Umnutzung der bestehenden Strassen.
Der Bund hat unter anderem die Glattalautobahn beerdigt. Die Verantwortlichen argumentierten, das wäre eine Entlastung des Autoverkehrs in der Region. Welchen Einfluss wird dieser Entscheid auf die Stadt haben?
Dass die Glattalautobahn mit dem Gutachten so gut wie gestorben ist, ist erfreulich. Denn diese hätte mehr Leute mit dem Auto in die Stadt gebracht und den ÖV-Ausbau konkurrenziert. Dafür wird die Westumfahrung Zürich ausgebaut.
In der Vergangenheit sprachen Sie sich stets für eine Verkehrswende aus; weg vom motorisierten Individualverkehr, hin zu mehr Fuss- und Veloverkehr. Die Glattalbahn bedeutet aber einen Strassenausbau.
Der Ausbau der Westumfahrung ist ein Kapazitätsausbau. Das kann ein Argument für den Autobahnausbau sein, wenn die Kapazität in der Stadt im gleichen Masse konsequent reduziert wird.
Auch einige Zürcher Projekte wurden im «Verkehr 2045» nach hinten geschoben, wie die Zug-Direktverbindung zwischen Zürich und Aarau – doch alles in allem und im Vergleich mit anderen Städten, ist das Resultat für Zürich relativ ausgewogen.
Der Bahnhof Stadelhofen kriegt ein viertes Gleis. Was können sich die Stadtzürcher:innen dadurch erhoffen?
Weniger Autoverkehr. Das vierte Gleis wird deutlich mehr Kapazitäten für den ÖV schaffen und die Verbindung zur Goldküste massiv verbessern – statt rund 18 Züge werden zukünftig 32 Züge pro Stunde im Stadelhofen fahren können. Also genau die Verkehrsachse mit der Bellerivestrasse entlasten, die aktuell zu Stau-Diskussionen führt.
Interessant ist ja, dass dieses vierte Gleis schon bei der ursprünglichen Planung angedacht war, dann aber weg gespart wurde. Damals hätte das 100 Millionen Franken gekostet, heute liegt der Preis bei über einer Milliarde.
Das neue Gutachten hat den Ausbau des Bahnhofs Hardbrücke hinten angestellt.
Der Bahnhof Hardbrücke ist einer der grössten Bahnhöfe der Schweiz. Die Pläne, ihn auszubauen, um den Personenstrom zu verbessern, wurden aber depriorisiert. Dabei ist er bereits heute am Limit und der geplante Ausbau hätte primär der Sicherheit der Pendler:innen gedient. Das scheint als Argument nicht gereicht zu haben. Vielleicht können wir in den nächsten politischen Schritten das Vorgeschlagene nachbessern.
Wie stark ist die Stadt Zürich bei den Planungen für den ÖV-Ausbau auf den Bund angewiesen?
Sehr stark. Beim Ausbau des Tramnetzes kann die Stadt finanziell schneller in Vorleistung treten oder, wie jüngst beim Tram Affoltern, beschliessen, mehr zu bezahlen. Doch Bahnprojekte sind so schnell so teuer, dass sie praktisch immer durch den Bund finanziert werden – auch in der Verfassung ist das so vorgesehen.
«National fehlt der Verkehrsplanung ein übergeordnetes Ziel.»
Thomas Hug-Di Lena, Verkehrsplaner
Nicht nur das Tram-, auch das Velonetz will Zürich ausbauen. Welchen Einfluss hat die Verkehrsstrategie des Bundes auf diese Pläne?
Da gibt es einen grossen Zusammenhang. Das sieht man im Kreis 5, wo die Franca-Magnani-Brücke als Teil der Zürcher Veloinfrastruktur geplant ist. Kostenpunkt: rund 80 Millionen Franken. Sie wurde im Gutachten sehr hoch priorisiert; hier würde sich der Bund also beteiligen. Dass die Stadt ihre Infrastrukturpläne mit jenen des Bundes koordiniert, macht nur Sinn.
Auf LinkedIn haben Sie geschrieben, das Gutachten zeige auf, dass die Schweiz «kein übergeordnetes Bild hat, wo wir mit dem Verkehrssystem hinwollen». Wie kommen Sie zu dieser Aussage?
Die Projekte, die der ETH-Professor Ulrich Weidmann für das Gutachten priorisiert hat, sind zum Teil sehr isoliert geplant. Man merkt: National fehlt der Verkehrsplanung ein übergeordnetes Ziel. Etwa, dass man urbane Räume definiert, in denen klar ist, dass man die Strassen dort nicht weiter ausbaut. Das Gutachten hat keine neuen Ansätze, sondern es ist ein «weiter wie bisher». Neu ist bloss, dass man realisiert hat, dass nicht genug Geld vorhanden ist, um alle Wünsche zu realisieren.
2024 hat die Schweizer Stimmbevölkerung gegen den Ausbau der Nationalstrasse gestimmt – unter anderem die Stadt Zürich. Grüne Politiker:innen und Umweltverbände kritisieren nun, dass Strassenprojekte dennoch priorisiert werden.
Das Abstimmungsresultat wurde in der Analyse nicht berücksichtigt. Zwei der sechs Projekte betreffen den Ausbau von Nationalstrassen, ein drittes ist ebenfalls priorisiert, falls die Mittel dafür noch reichen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich der Bund – sollte er diese Projekte tatsächlich umsetzen – damit selbst schadet und im ungünstigsten Fall eine erneute Ablehnung riskiert.
Thomas Hug-Di Lena ist Verkehrsplaner beim Zürcher Büro Urbanista. Für Tsüri.ch verfasst er regelmässig eine Verkehrskolumne.
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Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Master in Geschichte und Medienwissenschaft an der Universität Basel. Praktikum beim SRF Kassensturz, während dem Studium Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem SNF-Forschungsprojekt zu Innovation im Lokaljournalismus. Seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 Redaktorin bei Tsüri.ch.