Mehr Schulden trotz Gewinn: «Müssten die Steuern massiv erhöhen, um das Loch zu decken»
Stadtrat Daniel Leupi wird für seine Budgetpolitik von links wie rechts kritisiert – und bleibt dennoch ruhig. Im Interview spricht der grüne Finanzvorsteher über steigende Schulden der Stadt, politische Träume und die Frage, warum Zürich nicht ewig im Überfluss leben kann.
Simon Jacoby: Im Stadtparlament stehen im Dezember die Budgetverhandlungen an, bei denen entschieden wird, wofür die Stadt wie viel Geld ausgibt. Freuen Sie sich auf die langen Sitzungen?
Daniel Leupi: Diese Sitzungen gehören zum Job als Finanzvorsteher einfach dazu. Es gibt Dinge, die macht man lieber und andere weniger gern. Die Budgetsitzungen sind nicht auf der Top-Skala, aber zwischendurch sind sie durchaus unterhaltsam.
Für die Bürgerlichen sind Sie zu spendierfreudig und die SP fordert höhere Ausgaben. Sie können es niemandem recht machen. Ist das nicht frustrierend?
Ich habe wegen der Kritik keine schlaflosen Nächte, dafür kenne ich das Business schon zu lange. Wenn meine Arbeit wirklich so schlimm wäre, hätte das Parlament das Budget in den letzten Jahren mal zurückgewiesen, wie das vor meiner Zeit vorkam. Es gehört zur Politik, dass die einen den Vorschlag als zu restriktiv und die anderen als zu grosszügig beurteilen.
Von rechter Seite wird Ihnen immer wieder vorgeworfen, Sie würden mit Absicht pessimistisch budgetieren, um mit der schlechten Prognose eine Steuersenkung zu verhindern. Doch 2024 machte die Stadt einen Gewinn von einer halben Milliarde Franken. Warum budgetieren Sie so defensiv?
Die Jahresrechnungen schneiden auf jeder Staatsebene besser ab als budgetiert, nicht nur auf Gemeindeebene. Kritik kommt dann jeweils von der Opposition, die findet, ihre Anliegen würden zu wenig respektiert. Auf Bundesebene sind es die Linken, in der Stadt Zürich die Bürgerlichen. Der Punkt ist: Gemäss kantonaler Vorgabe müssen wir alles budgetieren, was im nächsten Jahr auf uns zukommen könnte. Wenn sich dann Stellen nicht besetzen lassen oder Projekte verschieben, fällt die Rechnung positiver aus, als geplant. Ich mache keine Spielchen. die Stadt zieht ihre Berechnungsmethode seit Jahren konsequent durch. 2024 kam ausserdem ein ausserordentlich grosser Sondereffekt dazu.
Vielleicht müssten Sie diese Linie anpassen, wenn Sie sich jedes Jahr um mehrere hundert Millionen Franken verschätzen?
Seit 2009 liegen wir im Schnitt pro Jahr um 200 Millionen Franken daneben – bei einem Budget von 11 Milliarden sind das nicht mal zwei Prozent. Klar, wir könnten die Berechnung jedes Jahr ein wenig ändern, aber dann wird es willkürlich und man könnte uns Tricksereien vorwerfen. Deswegen belassen wir die Methode immer gleich, damit sind wir verlässlich.
Derzeit präsentieren Sie noch jedes Jahr einen grossen Gewinn, was spricht also gegen eine Steuersenkung?
Wenn die Stadt mehrere Milliarden Franken Schulden hat, ist eine Steuersenkung keine gute Idee. Zudem: Eine Senkung von beispielsweise drei Prozent entsprächen pro Jahr rund 60 Millionen Franken Mindereinnahmen. Innert zehn Jahren könnten wir so 600 Millionen weniger Schulden zurückzahlen.
Erklären Sie es einem Laien: Bereits heute hat die Stadt Schulden von mehreren Milliarden Franken. Warum kann Zürich nicht einfach mehr Schulden machen?
Wenn wir immer mehr Schulden machen, leihen uns die Banken und Versicherungen irgendwann kein Geld mehr aus. Das ist wie bei Privatpersonen: Man kann sich vom eigenen Lohn kein Haus kaufen, also geht man zur Bank und leiht sich Geld, in Form einer Hypothek. Ende des Jahres hat man noch etwas Geld übrig, geht damit in die Ferien oder schiebt es auf das Sparkonto – man macht also einen kleinen Gewinn, obwohl man bei der Bank hohe Schulden hat. Wenn man nun noch ein zweites und drittes Haus kaufen will, ohne dass die Einnahmen massiv steigen, leiht einem die Bank kein Geld mehr. Das ist das Problem mit den Schulden: Man kann zwar Gewinn machen und trotzdem irgendwann zu viele Schulden haben.
«Wir haben diese Gefahr intern diskutiert und Karin Rykart hätte ein Veto gegen unsere dritte Kandidatur gehabt.»
Daniel Leupi, Stadtrat
Die Stadt Zürich muss also auf die Bremse treten. Was können wir uns in naher Zukunft nicht mehr leisten?
Die nächsten drei Milliarden an Schulden sind nicht mehr zu stoppen, weil wir keine laufenden Projekte abbrechen werden – Beispiel Fernwärme oder Schulhausbauten. Investitionen sind immer etwas sehr Langfristiges, deshalb kann ich noch nicht sagen, was genau nicht mehr drin liegen wird. Dies muss dann vom Stadtrat, Parlament und dem Stimmvolk entschieden werden.
Neu ist, dass auch die SP das Budget kritisiert. Sie fordert angesichts der grossen Überschüsse mehr Ausgaben.
Die SP nimmt den ausserordentlich guten Abschluss 2024 zum Massstab. Die Stadt Zürich ist aber leider weit davon entfernt, jedes Jahr 500 Millionen Franken Gewinn zu machen. Wirklich weit entfernt. Gleichzeitig mehr Ausgaben zu fordern – die jährlich wiederkehren – und auch noch mehr Investitionen, ist, wie den Franken zweimal ausgeben.
Gibt es Knatsch im rot-grünen Lager?
Nein, ich nehme keine grundsätzliche Entfremdung wahr. Schliesslich bekam ich ohne kritische Frage bei der SP Versammlung die Wahlempfehlung der Partei. Aber es gibt Diskussionen zwischen den Parteien, die neu sind. Wichtig ist einfach, dass alle verstehen, dass es nicht weiter geht, wie bisher. Wir haben zehn Jahre lang Gewinne gemacht, Schulden abgebaut, konnten investieren und viele Wünsche erfüllen. Inzwischen droht aber ein so starker Schuldenanstieg, dass wir die Investitionen bremsen müssen. Wir können nicht mehr im gleichen Mass Geld ausgeben.
Man könnte aber auch anders argumentieren: Die Stimmbevölkerung will mehr Ausgaben, zum Beispiel für das günstige ÖV-Abo, Prämienverbilligung oder mehr Landkäufe. Wenn dafür das Geld fehlt, braucht es eine Steuererhöhung.
Das wäre eine Variante, aber es reicht nicht. Aktuell sind wir bei etwa einer Milliarde Franken Steuereinnahmen pro Jahr, aber bei Investitionen, die mehr als doppelt so hoch sind. Eine Steuererhöhung von drei Prozent entspräche nur rund 60 Millionen Franken. Wir müssten den Steuerfuss um etwa 50 Prozentpunkte erhöhen, um das Loch zu decken, das ist viel zu viel. Wenn also eine Partei, die immer mehr Ausgaben will, keine Finanzierungsvorschläge macht, müssen wir die Investitionen auf ein vernünftiges Niveau anpassen.
Noch zum Schluss: Was ist Ihre Prognose für die Wahlen im März?
Die SP hat in den letzten paar Jahren in praktisch allen Kommunalwahlen gewonnen, deshalb gehe ich davon aus, dass sie auch in Zürich gewinnen wird. So wie ich die Dynamik bei uns Grünen wahrnehme, können wir mindestens unseren Anteil halten. Gleichzeitig sehe ich nicht, dass die Bürgerlichen für die Mehrheit der Bevölkerung eine interessante Alternative darstellen. Deshalb bin ich für die linke Mehrheit im Gemeinderat optimistisch. Im Stadtrat glaube ich nicht, dass jemand von den Bisherigen abgewählt wird. Aber der neue Balthasar Glättli (Grüne) wird den freien Sitz von der FDP erobern.
Gemäss einer repräsentativen Umfrage von Tsüri.ch im Oktober könnte es für die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) knapp werden. Wird sie zum Opfer von Glättlis Kandidatur, der für die Grünen einen dritten Sitz im Stadtrat erobern will?
Wir haben diese Gefahr intern diskutiert und Karin Rykart hätte ein Veto gegen unsere dritte Kandidatur gehabt. Natürlich ist es nicht einfach als Vorsteherin des Sicherheitsdepartements und als Frau wird sie zusätzlich hart angegriffen. Aber nein, ich denke nicht, dass sie abgewählt wird. Und die jüngste Umfrage von Tele Züri sieht sie im soliden Mittelfeld. Die linken Wähler:innen müssen sich gut überlegen: Wollen sie statt Rykart einen neuen Rechtsbürgerlichen-FDP-ler im Stadtrat, der im Moment links blinkt, aber immer rechts abbiegt.
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2800 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!
An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.