Interview Sarah Bütikofer

Politologin: «Entscheidend ist, wer am Ende mobilisiert»

Wer schafft den Sprung in den Stadtrat, und wer muss um die Wiederwahl bangen? Zwei Umfragen liefern unterschiedliche Antworten. Politologin Sarah Bütikofer erklärt, was hinter den Abweichungen steckt und wie plausibel die Prognosen wirklich sind.

Die Politologin Bütikofer, dahinter Bäume
Sarah Bütikofer forscht zur Schweizer Politik und ist Projektpartnerin beim Forschungsinstitut Sotomo. (Bild: Joel Hunn)

Knapp dreieinhalb Monate vor den Zürcher Stadtratswahlen 2026 liegen erstmals zwei grössere Umfragen vor: eine von Feldlabor GmbH im Auftrag von Tsüri.ch, die andere von Opinionplus für TeleZüri. Beide Befragungen erfassen das gleiche Kandidierendenfeld, unterscheiden sich aber in wesentlichen Punkten.

Während der Grüne Nationalrat Balthasar Glättli in der einen Erhebung weit vorne liegt, landet er in der anderen am Ende. FDP-Hoffnungsträger Përparim Avdili zeigt in der neuen Umfrage hingegen plötzlich Aussichten auf einen der insgesamt neun Stadtratssitze. Auch bei den bisherigen Stadträt:innen verschieben sich die Platzierungen. Wie aussagekräftig sind solche Zahlen so früh im Wahlkampf?

Jenny Bargetzi: In einer Umfrage liegt Balthasar Glättli von den Grünen vorne, in der anderen ganz hinten. Wie kommt es zu diesem «Glättli-Paradox»?

Sarah Bütikofer: Solche Unterschiede entstehen einerseits durch die Qualität der Rohdaten, andererseits durch die Gewichtung. Online-Umfragen werden meistens stark gewichtet. Das verlangt den Forschenden einiges ab: ein tiefes Verständnis der lokalen politischen Verhältnisse, langjährige Analyseerfahrung, fortgeschrittene Methoden- und Statistikkompetenz – und den Mut, diese konsequent anzuwenden.

Welche weiteren Faktoren können das Wahlresultat erklären?

Entscheidend ist, wer am Ende wie gut mobilisiert und ob die Teilnehmenden ihre Wahlabsicht aus der Befragung später tatsächlich umsetzen. Das können Forschende nur schätzen – beeinflusst die Resultate aber stark.

Wie beurteilen Sie die Unterschiede der beiden Umfrageergebnisse zu den Stadtratswahlen?

Ich kenne nur die veröffentlichten Resultate, nicht die Rohdaten oder die genauen Analysemethoden der beiden Befragungen. Vermutlich wurden die Daten auf ähnliche Weise erhoben. Die Unterschiede entstehen vor allem bei der Auswertung und Gewichtung. Das heisst, jede Umfrage hat einen Unsicherheitsbereich, der angibt, wie stark ein Umfrageergebnis statistisch abweichen kann. Bei diesen beiden Umfragen liegt er ziemlich hoch.

Das muss man bei der Interpretation berücksichtigen. So weit vor dem Wahltermin zeigen die Umfragen darum erst Tendenzen an. Um klare Trends zu erkennen, müssten die Umfragen idealerweise zu mehreren Zeitpunkten wiederholt werden. 

Welchem Ergebnis sollte man Glauben schenken?

Dass ein erfahrener Politiker wie Glättli, der seit über 30 Jahren politisch aktiv ist, in der Stadt Zürich mit einer links-progressiven Mehrheit bei einer Majorzwahl hinter einem wenig bekannten SVP-Kandidaten abschneiden soll, erscheint mir persönlich wenig plausibel. Absolute Sicherheit haben wir aber erst am Wahltag, dem 8. März 2026.

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jenny

Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

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Kommentare

Blau
28. November 2025 um 16:16

Studien und Umfragen

Zu einer Studie oder Umfrage gehört zwingend die transparente Offenlegung des Methodenapparates und der Rohdaten, sowieso aus Gründen intellektueller/wissenschaftlicher Redlichkeit, und transparenter Fairness gegenüber der Gesellschaft synchron und diachron, und zum Erhalt der demokratischen Strukturen und deren Stabilität. Die Arbeit für Journalist:innen in solchen Themenbereichen wäre auch gründlicher und einfacher, würden sie nicht nur das Ergebnis einer Studie oder Umfrage erhalten.