Das war das Podium zu zirkulärem Bauen

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft erfordert Nachhaltigkeit in allen Bereichen – auch im Bauwesen. Vier Expert:innen diskutierten mögliche Lösungsansätze.

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v.l.n.r.: Andreas Haug, Katrin Gügler, Pascal Scheiber, Martin Neukom, Guillaume Habert. (Bild: Julian Bucher)

Rund 100 Personen kamen am vergangenen Freitag im Kulturpark zusammen, um an der Podiumsdiskussion im Rahmen des Fokusmonats zum Thema Kreislaufwirtschaft teilzunehmen. Im Zentrum der Debatte stand die Frage: Wie kann der Kanton Zürich durch vermehrtes Bauen im Bestand zirkulärer werden?

Auf dem Podium vertreten waren Martin Neukom, Regierungsrat und Baudirektor des Kantons Zürich, Katrin Gügler vom Amt für Städtebau der Stadt Zürich, Andreas Haug vom Baubüro In Situ sowie Guillaume Habert, Direktor des Lehrstuhls für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich.

Die Wähler:innen im Kanton Zürich haben 2022 mit fast 89 Prozent Zustimmung den Gegenvorschlag zur Kreislauf-Initiative angenommen. Das Ziel: weniger Abrisse und stattdessen Sanierungen sowie die Wiederverwendung von Bauteilen. So sollen Ressourcen geschont und Abfälle reduziert werden.

Doch welche politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen benötigt es, um die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu fördern? Welche Hürden bestehen derzeit, und wie können sie überwunden werden?

Re-Use statt Recycling

Re-Use statt Recycling, das scheint das oberste Gebot des nachhaltigen Bauens zu sein. Da beim Recycling viel Energie verbraucht wird, mindert dies den CO2-Vorteil. Die Wiederverwendung von Bauteilen in ihrem ursprünglichen Zustand spart hingegen erheblich mehr Ressourcen. Das Bauen im Bestand ist gegenüber Neubauten jedoch stark benachteiligt: «Es braucht rasch Lösungen», forderte Katrin Gügler und verwies auf aktuelle Bauvorschriften, die Renovationen erschweren und Investor:innen wirtschaftlich benachteiligen.

Andreas Haug vom Baubüro In Situ merkte an: «Umbau geht immer – es ist nur nicht immer rentabel im klassischen Sinne.» Die Profitabilität von Bauprojekten müsse neu definiert werden. Mit Bestehendem zu arbeiten bedeutet aber auch, zu verzichten. «In der Schweiz muss alles perfekt sein. Ein bisschen weniger Perfektionismus wäre immer noch gut», ergänzte Martin Neukom.

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Damit die Kreislaufstrategie funktioniert, benötigt es einen gemeinsamen Lernprozess. (Bild: Julian Bucher)

Eigenverantwortung oder gesetzliche Vorgaben?

Dass gesetzliche Vorgaben die Bauweise entscheidend beeinflussen, zeigen Beispiele wie die Brandschutzrichtlinien und Minergie-Standards. Ähnliche Regelungen für den Nachweis der grauen CO2-Emissionen eines Baus könnten den Anreiz, neue oder recycelte Materialien zu verwenden, erheblich verringern.

Katrin Gügler betonte, dass neben gesetzlichen Einschränkungen auch die Eigenverantwortung der Beteiligten eine Rolle spielen sollte. Allerdings, so ein Einwand aus der Diskussion, sei es unrealistisch, allein darauf zu vertrauen. Solange Neubauten wirtschaftlich attraktiver sind als Umbauten, haben Investor:innen wenig Anreiz, nachhaltig zu bauen. Daher bleiben gesetzliche Vorgaben unverzichtbar. 

Die Einführung solcher Regelungen sei jedoch politisch schwierig, da das Thema Wohnen emotional geladen ist und viele Mieter:innen höhere Wohnkosten befürchten, merkte Martin Neukom an. Eine weiterführende Diskussion müsse auch Grenzwerte für die Nutzung von Flächen umfassen, um überdimensionierte Neubauten zu verhindern.

Langsame Fortschritte, langfristige Erfolge

Die positiven Effekte des nachhaltigen Bauens sind oft erst langfristig sichtbar. Die zusätzliche Arbeit für Planung, Lagerung und Wiederverwendung in einem Umbau übersteigen in vielen Fällen die kurzzeitigen Kosten eines Neubaus. Mit dem Gebrauch von ökologischen Baumaterialien könnten hingegen Neubauten errichtet werden, die in Zukunft einfacher wiederverwendet werden könnten, was langfristig einen umweltschonenden Wandel ermöglichen könnte.

Auf die Frage hin, was die Forschung zu dieser Problematik beizutragen habe, betonte der ETH-Professor Guillaume Habert, dass die Wissenschaft nur langsam auf akute Probleme reagieren kann. «Wenn heute in die Forschung investiert wird, zeigen sich die Resultate erst in Jahrzehnten», so Habert.

Die Forschung müsse deshalb jetzt die Weichen stellen, um mit den Herausforderungen des Klimawandels ab 2050 umgehen zu können. Eine wichtige Rolle der Wissenschaft sei es zudem, das Verständnis für zirkuläres Bauen bei allen beteiligten Akteur:innen – von Architekt:innen bis zu Bauleiter:innen, aber auch bei der Vermieterschaft und den Mieter:innen – zu fördern.

Neukom
Der Kanton muss mehr Ressourcen aufwenden, um mit einer Vorbildfunktion voranzuschreiten. (Bild: Julian Bucher)

Der Kanton als Vorbild

Martin Neukom argumentierte, dass der Kanton Zürich bereits eine Bauteilbörse betreibt, dank welcher kantonale Bauten nachhaltiger geplant werden können. Doch es brauche noch mehr Ressourcen und Vorzeigeprojekte, um den Kreislaufgedanken in der Bauwirtschaft zu verankern. In der Baubranche herrscht dem Politiker zufolge viel Druck, sodass Richtlinien und Zeitpläne eingehalten werden, daher gibt es kaum Spielraum, um neue Ansätze auszutesten. Wenn sich durch Projekte des Kantons neue Wege ergeben, nachhaltig zu bauen und dieses Wissen geteilt wird, so sei es vorstellbar, dass diese Vorgehensweisen auch in der privaten Bauwirtschaft übernommen werden.

Auch aus dem Publikum kamen Vorschläge: So könnten beispielsweise nachhaltige Bauprojekte bei der Vergabe von Krediten mit besseren Konditionen gefördert werden. Zusätzlich seien weiterhin Investitionen in die Forschung und in die Nachhaltigkeit von kantonalen Bauprojekten notwendig, um langfristig Erfolge verzeichnen zu können.

Hast du das Podium verpasst? Hier kannst du die Veranstaltung nachschauen.

Veranstaltungspartner: Verein Klimastadt Zürich

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