Podium: Wie unser Arbeitsmarkt für Geflüchtete zugänglicher wird
Obwohl der Bewerbungsprozess bereits vereinfacht wurde, gibt es noch immer viele Hürden, die geflüchteten Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt erschweren. Wie kann sich die Schweiz davon lösen?
Der Schweizer Arbeitsmarkt soll für geflüchtete Personen möglichst zugänglich werden. Das ist das gemeinsame Ziel von Gülcan Akkaya, Samuel Rudolf von Rohr, Olena Chepurenko und Kaspar Schneider.
Gestern Abend diskutierten sie im Rahmen des Fokusmonats zum Thema Fluchtmigration im Karl der Grosse darüber, wie das gelingen kann. Auch wenn die Schweiz auf einem guten Weg sei, gebe es an einigen Schnittstellen Optimierungspotenzial. Potenzial, das wir zurzeit nicht nutzen und dadurch täglich wertvolle Ressourcen verlieren würden, so das Fazit.
Olena Chepurenko ist kaufmännische Leiterin bei Snowlife AG in Klosters. Im März 2022 ist sie aufgrund des Krieges aus der Ukraine geflüchtet. Den Start in den Schweizer Arbeitsmarkt empfand sie als sehr herausfordernd. Unternehmen würden oftmals Kenntnisse der deutschen Sprache oder Schweizerdeutsch erwarten, was nochmal eine zusätzliche Schwierigkeit gewesen sei, erzählt sie.
Nach 100 versendeten Bewerbungen, einem Termin beim Berufsberater und Internetrecherchen habe sie dann endlich die Zusage bei der Snowlife AG erhalten. Eine Firma, die nicht gerade um die Ecke ist, ihr aber eine Chance geben wollte. Die 120 Kilometer, die sie täglich von Rorschach nach Klosters fährt, seien nicht optimal, jedoch nehme sie dies in Kauf, um arbeiten zu können.
Auch wenn Chepurenko heute in einer Branche arbeitet, in der sie auch ausgebildet ist, appelliert sie an arbeitssuchende Personen, sich, wenn nötig, auch neu zu orientieren.
Die Anerkennung von Diplomen aus dem Ausland sei nicht immer gewährleistet und daher sei es manchmal besser, sich damit auseinanderzusetzen, welche berufliche Laufbahn man sonst noch einschlagen könnte. Auch sie habe zu Beginn als freiwillige Übersetzerin gearbeitet, um Erfahrungen im Schweizer Berufsleben zu sammeln.
«Der Arbeitsmarkt war noch nie so zugänglich, wie er heute ist», meint Kaspar Schneider, Leiter der Abklärungs- und Vermittlungsabteilung der Asyl-Organisation Zürich (AOZ). Übersetzungsinstanzen wie beispielsweise Job-Coaches, die geflüchteten Personen direkt bei der Stellensuche unterstützen würden, werden ihm zufolge immer wichtiger.
Gleichzeitig lobt er das Schweizer System. Es ermögliche einen einfachen Einstieg, so Schneider. Nur sei es momentan überlastet: «Unser System, kann den Zahlen, mit denen wir zurzeit konfrontiert sind, nicht standhalten.»
Damit alle, die wollen, ihr Können beweisen könnten, soll der Zugang zum Arbeitsmarkt noch stärker vereinfacht werden. «Menschen sollen die Chance erhalten, durch ein unbezahltes Praktikum oder Lerneinsatz das eigene Potenzial beweisen zu können.» Nach Erfahrungswerten würden viele nach solch einem Praktikumseinsatz dann auch fest eingestellt werden.
«Ich wünsche mir, dass wir mehr Geschichten erzählen, die schon toll laufen», sagt Schneider. Denn so können Unternehmen voneinander lernen und einander inspirieren, arbeitssuchenden Personen mit Fluchtgeschichte eine Chance zu geben.
Samuel Rudolf von Rohr ist Präsident des Handwerk- und Gewerbevereins in Adliswil. Auch er empfindet den Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Migrationshintergrund als immer zugänglicher. Der Papieraufwand beim Bewerbungsprozess sei deutlich kleiner als früher, nun gehe es noch darum, Hemmungen in den Köpfen der Arbeitgeber:innen zu lösen.
Auch fehle oftmals die Zeit, da viele kleinere Unternehmen keine HR-Abteilung haben, die Bewerbungen sorgfältig prüfen können. Dies sei einer der Gründe, warum Firmen gute und passende Bewerbungen teilweise nicht einmal lesen und diese direkt im Mülleimer landen würden. «Viele Gewerbetreibenden erkennen daher gar nicht das Potenzial der Menschen, die darauf warten zu arbeiten», meint von Rohr.
Ausserdem dürfe der Inspiration-Effekt nicht unterschätzt werden. Unternehmen, die Lehrlinge ausbilden, könnten sich damit auszeichnen. Von Rohr fragt sich deshalb: Warum gebe es keine Aufkleber mit «Wir geben eine Chance»? Dadurch könnten sich Unternehmen gegenseitig mit positiven Erfahrungsberichten motivieren.
Gülcan Akkaya ist Forscherin und Dozentin an der Hochschule Luzern. Anders als die bisherigen Podiumsteilnehmer:innen beurteilt sie die Zugänglichkeit des Arbeitsmarktes noch immer als schwierig. Nebst der Herausforderung der schweizerdeutschen Sprache würden noch immer Vorurteile existieren, die tief verankert seien.
Akkaya zitiert eine aktuelle Studie der ETH, welche aufzeigt, dass Menschen aus Afrika und Asien auf dem Arbeitsmarkt weniger zugetraut wird. «Es ist enorm wichtig, dass wir von solchen diskriminierenden Denkmustern wegkommen», so Akkaya.
«Schnelle Integration von geflüchteten Personen in den Arbeitsmarkt ist eine Win-win-Situation», sagt Akkaya. Der Wille zu arbeiten sei bei vielen Menschen gross und auch Qualifikationen seien vorhanden. Die Schweiz klage über Fachkräftemangel und benötige dringend Spezialist:innen in den unterschiedlichsten Fachgebieten.
Eine frühzeitige Abklärung der Kompetenzen sei wichtig, denn so könne jede Person direkt mit ihren Fähigkeiten eingesetzt werden.
Dieser Gewinn kann laut Akkaya jedoch nur erzielt werden, wenn die involvierten Ämter zusammenarbeiten. Wenn also Migrations- und Arbeitsvermittlungsstellen im starken Austausch sind und Personen, die Unterstützung benötigen, an der Hand nehmen.
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