Podium: Zirkuläres Bauen in der Praxis
Um Netto-Null zu schaffen, müsste die Baubranche zirkulär werden und grosse Mengen an grauer Energie einsparen. Wie aber soll das in der Praxis aussehen? Unsere Podiumsgäst:innen diskutierten.
Am Mittwochabend fand im Betonrecyclingwerk der Firma Spross der dritte Anlass im Rahmen des Fokusmonats Kreislaufwirtschaft statt. Nach den vollends ausgebuchten Führungen durch die Anlage waren auch die Räumlichkeiten für das anschliessende Podium gefüllt. Die zentrale Frage des Abends: Wie kann durch den Ansatz der Kreislaufwirtschaft die Menge grauer Energie in der Baubranche gesenkt werden?
Zur Debatte fanden sich Martin Neukom (Regierungsrat (Grüne) und Baudirektor des Kantons Zürich), Natalie Spross (Spross Gruppe), Marloes Fischer (C33 Schweizer Koordinationsstelle für zirkuläres Bauen), Martin Keller (Sika Schweiz AG) und Pascal Angehrn (Baubüro In Situ) auf dem Podium ein.
Wie kann die Baubranche umdenken?
«Wir müssen eine Möglichkeit schaffen, Zirkularität messbar zu machen», erklärte Martin Neukom. Nur so könnten Fortschritte sichtbar gemacht werden. Während sich die Betriebsenergie leicht erfassen lässt, fehlt es an klaren Messmethoden für die graue Energie von Baumaterialien. Zudem stehe nachhaltiges Bauen noch in den Kinderschuhen. Es gibt zu wenig Erfahrungswerte, auf die man sich bei neuen Projekten stützen kann.
Entsprechend wies Marloes Fischer darauf hin, dass Perfektionismus fehl am Platz sei: «Man muss einfach anfangen und experimentieren.» Pascal Angehrn fügte hinzu, dass wir uns eine Fehlerkultur aneignen müssten, um schneller Wissen zu gewinnen. Martin Neukom stimmte zu und ergänzte: «Wir dürfen nicht alle denselben Fehler machen. Das Wissen muss geteilt werden.»
Doch wie leicht ist es, Risiken einzugehen und neue Wege zu beschreiten?
Wirtschaftliche Anreize für nachhaltiges Bauen fehlen
Pascal Angehrn meinte, ein grosses Hindernis, solche Wege einzuschlagen, sind Bauvorschriften. Diese erschweren das Bauen im Bestand, und der Einsatz nachhaltiger Materialien birgt aufgrund fehlender Erfahrungswerte oft ein Restrisiko. Zudem sei Arbeit teurer als Material, weshalb es kaum ökonomische Anreize gebe, nachhaltig zu bauen. Um diese Hürden zu überwinden, sei es nötig, in Forschung und Anwendung zu investieren, um diese im Markt attraktiv anbieten zu können.
Ausserdem könnten klimafreundliche Vorschriften Bauherr:innen dazu verpflichten, auf nachhaltige Materialien zu setzen oder das Bauen im Bestand dem Neubau vorzuziehen. Bei diesem Punkt hakte Martin Neukom ein und meinte, dass solche Vorschriften politisch jedoch kaum mehrheitsfähig seien.
Natalie Spross machte darauf aufmerksam, dass Vorschriften bereits jetzt innovative Ansätze der Investor:innen blockieren. Mindestgrössen für Zimmer, Schallschutz, Wärmedämmung, Brandschutz und Erdbebensicherheit würden den Handlungsspielraum erheblich einschränken.
Niemand auf dem Podium wollte die Wichtigkeit solcher Vorschriften bestreiten, doch die Frage, inwiefern solche Regularien der richtige Weg sind, blieb im Raum stehen.
Klimasteuer als Lösung?
Ein Vorschlag aus dem Publikum brachte einen weiteren Ansatz ins Spiel: Anstelle neuer Vorschriften eine CO2-Steuer. Wenn klimaschädliche Materialien im Bauwesen billiger sind, zahlt letztlich das Klima die Differenz. Pascal Angehrn lobte den Vorschlag und betonte, dass CO2-Emissionen in der Bauwirtschaft aufgrund der niedrigen Kosten oft ignoriert werden. Martin Neukom schloss sich an und meinte, eine CO2-Steuer wäre ökonomisch die beste Lösung und potenziell einfacher umzusetzen als Vorschriften. Allerdings sei der Emissionshandel kompliziert und erfordere weitreichende, einheitliche Regelungen.
Martin Keller warnte jedoch davor, eine «Insellösung» zu schaffen: «Das ist ein globales Problem. Wenn die Schweiz auf Netto-Null geht, ist das Problem nicht gelöst.» Neukom ergänzte, dass ein Grenzschutz erforderlich sei, damit günstigere Angebote aus dem Ausland nicht den lokalen Markt unterbieten.
Ein gesellschaftlicher Wandel ist nötig
Neben gesetzlichen Änderungen braucht es auch ein gesellschaftliches Umdenken, meinten sowohl Angehrn und Keller. Verzicht könnte eine effizientere Raumplanung ermöglichen, doch diese Ideen sind nicht immer gesellschaftsfähig. Viele Eltern bleiben in grossen Wohnungen, auch nachdem die Kinder ausgezogen sind, weil sie an ihrem Zuhause und der Nachbarschaft hängen – obwohl das nicht nachhaltig ist. Solche sozialen Aspekte beeinflussen die Entscheidungen vieler Akteur:innen tiefgehend.
Am Ende des Abends war klar: Es gibt keine einfache Lösung. Der Konsens blieb, dass der Wissensstand zur langfristigen Nachhaltigkeit im Bauwesen noch unzureichend ist. Es braucht mehr Forschung, mehr Experimente und vor allem einen Paradigmenwechsel: weg vom Perfektionismus und hin zu pragmatischeren Lösungen.
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Veranstaltungspartner: Spross Gruppe
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