Nach AHV-Sieg: Frauen mit Kindern weiterhin von Altersarmut bedroht
Der AHV-Ausbau ist beschlossen – ist dies die sozialpolitische Wende? Soweit sind wir noch nicht. Demnächst steht der Abwehrkampf gegen die BVG-Reform bevor. Besonders Frauen würden darunter leiden. Ein Kommentar von Simon Jacoby.
Zum allerersten Mal hat das Schweizer Stimmvolk einen von den Gewerkschaften forcierten Sozialausbau angenommen: Die Pensionär:innen erhalten fortan eine 13. Rente ausbezahlt. Die Finanzierung ist noch nicht geklärt, realistisch ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und auch der Lohnbeiträge.
Dass die Initiative angenommen worden ist, ist ein grosser Erfolg für die gewerkschaftlichen Bewegungen und stoppt den jahrelangen und schrittweisen Abbau von Sozialleistungen. Weit über ihre eigene Wähler:innenbasis hinaus konnten die linken Parteien mobilisieren – auch auf dem Land und bis weit in rechtskonservative Kreise hinein sprachen sich die Menschen für den AHV-Ausbau aus.
Symbolisch ist der Sieg riesig und er dürfte eine neue Dynamik für zukünftige Abstimmungsvorlagen geben. Dennoch ist die Altersarmut mit diesem Abstimmungssieg alleine noch nicht gebodigt. Für viele Rentner:innen reicht das Geld weiterhin nicht aus, um ihr Leben zu bestreiten – obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben. Nicht nur, aber insbesondere Frauen leiden unter dem aktuellen Schweizer Rentensystem.
Noch in diesem Jahr steht eine weitere entscheidende Rentenabstimmung an: Die BVG-Revision liegt auf dem Tisch, gegen welche ebenfalls Linke und Gewerkschaften das Referendum ergriffen haben. Aufgrund der Überalterung der Gesellschaft droht eine Finanzierungslücke in der beruflichen Vorsorgen. Damit das Geld also länger hält, soll der Umwandlungssatz von heute 6,8 auf 6 Prozent gesenkt werden. Je tiefer dieser Umwandlungssatz, desto tiefer die Renten. Deshalb haben der Gewerkschaftsbund und seine Verbündeten das Referendum ergriffen.
Wer aufgrund Care-Arbeit oder anderen unentgeltlichen Tätigkeiten grösstenteils nur Teilzeit gearbeitet hat, wird im Alter bestraft: Gemäss einer Studie des Bundes bekommen Frauen insgesamt 37 Prozent weniger Rente als Männer. Bei der AHV liegt der Gendergap bei nur 3 Prozent, in der beruflichen Vorsorge bei über 60 Prozent. Oder in anderen Worten: Frauen mit Kindern sind im Alter von Armut bedroht, weil Care-Arbeit nicht zählt.
Diese Betreuungsstrafe hätte in der BVG-Reform von Bundesrat und Parlament aufgehoben werden können. Doch weil dies nicht geschehen ist, wurde das Referendum ergriffen, über welches wir noch im Jahr 2024 abstimmen werden.
Die Annahme der AHV-Initiative ist also nur ein erster Schritt. Solange Care-Arbeit sich nicht in der beruflichen Vorsorge widerspiegelt oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht flächendeckend gegeben ist, ist weder die Altersarmut, noch der Renten-Gendergap gelöst.
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