«Meh als Gmües»: So betreiben Städter:innen solidarische Landwirtschaft

Im Norden Zürichs hat sich mit Meh als Gmües ein solidarischer Landwirtschaftsbetrieb in einer alten Gärtnerei gegründet. Hier bauen Städter:innen ihr eigenes Gemüse an. Manche kommen, weil sie zuhause keinen eigenen Garten haben, manche weil sie neue Leute kennenlernen wollen. Und andere, weil sie unser Ernährungssystem umkrempeln wollen.

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Auf dem Feld von «Meh als Gmües» (Alle Bilder: Steffen Kolberg)

Ein stetes Rauschen erfüllt die Luft im Norden Zürichs. Am Wolfswinkel, dem äussersten Rand von Affoltern, ist die Nähe zum Flughafen hörbar. Am Boden aber geht es ruhiger zu. Unweit des Isengrind-Hochhauses fährt Gartenfachkraft Sven mit einem Elektrobagger am Rand eines Ackers entlang, nur ein leises Surren ist zu hören. Es ist die einzige grössere Maschine, die an diesem Samstagvormittag zum Einsatz kommt. Kein Traktor fährt über das Feld, stattdessen kniet dort eine handvoll Menschen, gräbt kleine Löcher in die Erde und setzt Salatsetzlinge hinein. Ungefähr zehn Leute sind heute vorbeigekommen, manche topfen Erdbeerpflanzen um, einer reinigt Pflanzenkisten mit dem Hochdruckreiniger.

Sie alle sind Mitglieder bei der Solidarischen Landwirtschaftsgenossenschaft (Solawi) Meh als Gmües. Das heisst, sie finanzieren mit einem festen Jahresbeitrag den Betrieb und bekommen dafür einmal in der Woche ihren Anteil an frischem Gemüse. Ausserdem verpflichten sie sich, pro Anteil fünfmal pro Saison vor Ort mitzuarbeiten. Im grossen und ganzen funktioniert diese Mitarbeit ganz gut, erzählt Gartenfachkraft Simon: «Es gibt Leute, die sich sehr verpflichtet fühlen und weitaus mehr machen. Dann gibt es auch jene, die nicht auf ihre fünf Arbeitseinsätze kommen. Wir haben erst kürzlich darüber diskutiert, wie wir damit umgehen wollen, haben aber im Moment noch keine Lösung dafür.» Der Anteil derjenigen, die ihr Soll nicht erfüllen, sei im Moment jedenfalls so gering, dass man das gut verkraften könne.

Insgesamt zählt man bei Meh als Gmües momentan 320 Ernteanteile, fasst Dave zusammen, der an diesem Tag den Einsatz der Mitglieder koordiniert. Die Solawi wachse in 80er-Schritten, weil sich pro 80 neuer Anteile eine neue Gartenfachkraft finanzieren lasse. In der nächsten Saison stehe aber erstmal eine Konsolidierungsphase an, bevor man sich weiter vergrössere. Denn Meh als Gmües ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, hat nach und nach Land dazu gepachtet und baut dieses im Sinne des ökologischen Landbaus um.

2015 wurde das Projekt aus der Baugenossenschaft Mehr als Wohnen heraus gegründet: «Sie hatten damals die Idee, das Quartier mit frisch produziertem, lokalem und saisonalem Gemüse zu versorgen und dafür eine Solawi aufzuziehen. Irgendwann haben sie dann diese ehemalige Zierstaudengärtnerei gefunden, die vor sechs, sieben Jahren den Betrieb eingestellt hat», so Dave. Er arbeitet seit über einem Jahr bei Meh als Gmües und wohnt seit dieser Zeit auch in der Baugenossenschaft in Seebach: «Mit dem Velo sind es nur 15 Minuten Arbeitsweg, alles ohne Autoverkehr am Chatzenbach entlang», erzählt er begeistert.

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Wer auf dem Feld mitanpacken will, ist hier richtig.

Die Arbeit ist anspruchsvoller als bei anderen Betrieben

Zehn helfende Mitglieder sind nicht unbedingt viel, meint er. An manchen Wochenenden seien es auch schon mal 25. Trotzdem hat Dave an diesem Morgen viel zu koordinieren: Mal muss er erklären, wo die Erdbeerpflanzen hinkommen, mal anleiten, in welchen Abständen der Salat gepflanzt wird. Ist das nicht ein ganz schöner Mehraufwand für Angestellte wie ihn? «Absolut», sagt er: «Das gehört auch zum Konzept dazu. Wir verstehen uns ja explizit nicht als Dienstleister, die jemandem ein Produkt verkaufen, sondern als Kollektiv, das gemeinsam einen Betrieb führt. Das erfordert ganz andere Kompetenzen als das Gärtnerische: Den sozialen Umgang und die Wissensvermittlung. Das macht die Arbeit vielseitiger und spannender, aber auch anspruchsvoller.» Drei Gartenfachkräfte und zwei Praktikant:innen sind im Moment bei Meh als Gmües angestellt. Ausser ihnen und den Mitgliedern gibt es noch die Betriebsgruppe. Sie besteht in der Regel aus zehn Leuten, die sich ehrenamtlich um die administrativen Aufgaben im Projekt kümmern und dafür mit Gemüse mitversorgt werden.

So richtig in der Erde graben ist nochmal was anderes als nur ein Hochbeet auf dem Balkon

Edda, Meh als Gmües-Mitglied

Was Dave besonders schätzt, ist die alte Gärtnerei als Zentrum des Projekts. Die meisten Solawis seien aus bäuerlichen Betrieben heraus entstanden, erklärt er. Weil die Bäuer:innen sich für die Planungssicherheit des Solidarmodells gegenüber dem Verkauf auf dem freien Markt entschieden hätten. Auf einem Hof treffe man allerdings in der Regel auf bereits vorhandene Infrastruktur und Routinen, die Angestellten und Mitglieder der Solawi bewegten sich auf dem Gelände der Bäuer:innen und müssten sich mit diesen absprechen. «Hier auf dem Gärtnereigelände können wir dagegen alles von Grund auf nach eigenen Vorstellungen selbst aufbauen», so Dave: «Sie bietet auch eine gewisse Aufenthaltsqualität. Unsere Mitglieder können zum Beispiel am Wochenende vorbeikommen und mit Freund:innen grillieren.»

Seit vielen Jahren gibt es in der Region Zürich Betriebe, die nach den Prinzipien der Solidarischen Landwirtschaft arbeiten. Bekannte Beispiele sind Ortoloco bei Dietikon oder die unweit davon gelegene kooperative Käserei Basimilch. Doch erst in jüngerer Zeit gründen sich immer mehr Solawi-Betriebe in unmittelbarer Stadtnähe wie der Pflanzplatz Dunkelhölzli bei Altstetten, Pura Verdura im Kreis 8 oder eben Meh als Gmües. Sie haben den Vorteil, dass ihre Mitglieder, in den allermeisten Fällen Stadtbewohner:innen, es nicht weit zum Acker haben.

Die meisten Mitglieder von Meh als Gmües wohnen nicht weit entfernt im Zürcher Norden. So wie Edda, die heute mit ihren Kindern da ist. «Ich habe Meh als Gmües entdeckt, als ich mit dem Kinderwagen hier lang spaziert bin», erzählt sie: «Die Arbeit im Garten ist eine gute Alternative zu meinem Bürojob. Zuhause haben wir keinen Garten. Und so richtig in der Erde graben ist nochmal was anderes als nur ein Hochbeet auf dem Balkon.» Zusammen mit Hendrike, die mit ihrem kleinen Sohn da ist, hat Edda eine Elterngruppe gegründet: Auf einem Zettel haben sie Ideen gesammelt, was sie auf dem Gelände für Familien noch gerne umsetzen würden.

Eine Gewöhnungssache

Hendrike ist Informatikerin und findet die Arbeit auf dem Feld eine willkommene Abwechslung von ihrer Zeit am Bildschirm. Sie ist auch ganz grundlegend von der Solidarischen Landwirtschaft überzeugt: «Mich stört die Wegwerfgesellschaft in Bezug auf Lebensmittel», erklärt sie: «Und hier weiss ich, dass nichts weggeworfen wird, nur weil es nicht der Norm entspricht. Auch politisch gesehen macht Solidarische Landwirtschaft für mich wesentlich mehr Sinn als wenn Bauern auf Profit aus sein müssen, damit sie überleben können.»

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Für die Kinder sei es schön, hier mal für ein, zwei Stunden vorbeizukommen und richtig dreckig zu werden. Und auch das Gemüse schmecke ihnen besser: «Die Grosse sagt ganz klar, dass sie die Karotten vom Grossverteiler nicht mag. Sie wartet dann lieber eine Woche, bis es wieder welche von Meh als Gmües gibt.» Ob man denn die ganze Stadtbevölkerung nach dem Solawi-Prinzip ernähren könne? Hendrike ist überzeugt: «Oh ja, definitiv.» Die Biologin Edda ist da etwas zurückhaltender: «Es ist auf jeden Fall eine ideale Ergänzung zu der Landwirtschaft, die wir sonst haben. Vor allem für die, die eher städtisch wohnen.» Draussen im Garten zu arbeiten sei einfach eine Gewöhnungssache: «Ich kenne das noch von meinen Eltern. Die hatten immer einen Schrebergarten, es gehörte zum Alltag. Und das finde ich hier wieder.»

Während der Pandemie wollten wir Leute treffen, und das war hier möglich.

Bojana, Meh als Gmües-Mitglied

Ähnlich geht es Yann, der seit diesem Jahr Mitglied bei Meh als Gmües ist. Seine Mutter war Mitglied bei den Jardins de Cocagne – den Schlaraffengärten. Dieses 1978 gegründete Gartenprojekt bei Genf gilt als erste Solawi in der Schweiz und ganz Europa. «Dort habe ich als Kind schon ein bisschen mitgemacht», erzählt er: «Bei uns zuhause war gutes und nachhaltiges Essen immer ein Thema.» Er und seine Freundin Bojana, beide Architekt:innen, kamen vor drei Jahren nach Oerlikon und haben von Anfang an nach einem solchen Projekt gesucht. Das habe auch mit ihrem Beruf zu tun: «Es war für uns immer ein Thema, wie man nachhaltig in der Stadt leben kann», meint Bojana: «Auch vom Aspekt der Stadtentwicklung her ist es für uns eine spannende Sache, so ein Projekt zu unterstützen.»

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Ausserdem ist den beiden ihre Ernährung sehr wichtig. Bojana erzählt, dass sie vor ein paar Jahren Gesundheitsprobleme hatte und auch aus diesem Grund begonnen habe, sich mit gesunder Ernährung auseinanderzusetzen. Deshalb sei ihnen der ökologische Aspekt des Anbaus sehr wichtig. Und zuletzt gehe es auch um den sozialen Aspekt: «Wir sind beide relativ neu hier», so Bojana: «Während der Pandemie wollten wir Leute treffen, und das war hier möglich.»

Ähnlich geht es Afifa. Auch sie sei während der Corona-Zeit nach Zürich gekommen, erzählt die ETH-Forscherin, die den ganzen Morgen Tomaten- und Kürbistriebe geschnitten hat: «Der Lockdown kam und ich war die ganze Zeit zuhause. Also dachte ich, ich suche mir etwas, wo ich draussen aktiv sein kann. Mir geht es mehr um die Aktivität als um die Qualität des Essens. Es ist schön, die Ernte von hier zu konsumieren, aber das war nicht meine Priorität. Bio-Gemüse könnte ich auch im Laden kaufen. Wenn ich hierher komme, lerne ich neue Leute kennen, es ist einfach eine interessante Community.»

Willst du noch mehr Facetten der Zürcher Landwirtschaft kennen lernen? Auf Zürcher Stadtgebiet gibt es weitere unzählige Beispiele von innovativen und nachhaltigen Landwirtschafts- und Gartenprojekten. Am Urban Farming Day am 25. September stellen wir diese Projekte im Rahmen unseres Fokusmonats Stadt-Landwirtschaft ins Zentrum. Grosse und kleinere Landwirtschaftsprojekte führen an diesem Tag durch ihre Gärten, Bienenhäuser, Felder und Betriebe und bieten Workshops zu Themen wie Gärtnern oder Einmachen an. Kommt mit uns auf den Acker und vergrössere dein Wissen zu Ernährung und nachhaltiger zukunftsfähiger Landwirtschaft.

Mehr Infos dazu findest du hier.

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