«Macht sie überhaupt etwas?» – Niemand ist zufrieden mit Karin Rykart

Die grüne Stadträtin wird von allen Seiten mit Kritik eingedeckt – selbst von den Linken und aus der eigenen Partei. Das ist neu. Es fehle an Gestaltungswille und Durchsetzungskraft. Karin Rykart selbst sieht dies anders: «Natürlich habe ich Visionen.»

Linke Polizeichef:innen haben es nie leicht. (Bild: Tsüri.ch / Simon Jacoby)

Für einmal sei gendern nicht nötig, sagt Karin Rykart. Nur wenige Minuten später steht die grüne Zürcher Stadträtin in der Kaserne in Birmensdorf vor über dreihundert Armeeangehörigen und hält eine klassische Rede, so wie man es von einer Politikerin erwartet: inhaltlich nichts zu bemängeln, rhetorisch so prickelnd wie ein abgestandenes Glas Prosecco. Bis auf eine einzige Frau besteht das Publikum nur aus Männern. Rykart gendert dann doch. 

Es sei schon eine fremde Welt, sagt sie und meint damit die Welt der Uniformen, wie hier Ende November bei der Entlassungsfeier aus der Militärdienstpflicht. Sie meint auch die Welt der Polizist:innen. Als Sicherheitsvorsteherin, also oberste Chefin und politische Verantwortliche, sollte Rykart nach drei Jahren in dieser Welt Zuhause sein. Zufrieden mit ihrer Arbeit ist kaum jemand aus dem Zürcher Politzirkus und die Polizist:innen klagen über Stress und Überforderung, wie im Tagesanzeiger zu lesen ist. 

Für diesen Artikel haben wir mit rund einem Dutzend Personen aus verschiedenen Parteien, aus dem Gemeinderat und dem Aktivismus gesprochen. Diese Recherche zeigt nun erstmals, wie weit verbreitet die Unzufriedenheit mit der Amtsführung von Karin Rykart auch im linken Lager ist. 

Der Gestaltungswille wird vermisst, Beispiele dafür gibt es einige: Tempo 30 würde nicht mit Konsequenz vorangetrieben, die Velovorzugsrouten sind mangelhaft, die Polizei geht zu heftig gegen Demonstrierende vor, für die Frontpolizist:innen waren Taser budgetiert, obwohl der Gemeinderat genau dies erst kürzlich abgelehnt hat. Nachdem Einsatzkräfte am 1. Mai einem Demonstranten mit Gummischrot ein Auge ausgeschossen haben, blieb es lange still. Es scheint Karin Rykarts beliebteste Strategie in Krisenzeiten: wegducken, abwarten, aussitzen. Nur keine Stellung beziehen, nur keine Fehler machen.

Die Misere mit der Critical Mass

Das am häufigsten genannte Beispiel für den fehlenden Gestaltungswillen ist die Critical Mass. Am Umgang mit der monatlichen Velofahrt lässt sich die ganze Misere festmachen. Alle interviewten Politiker:innen kommen darauf zu sprechen. Von links bis rechts sind fast alle unzufrieden, die fehlende Einflussnahme der Stadträtin wird bemängelt. Linksgrün wünscht sich deutlich weniger Repression, seit die Veloausfahrt vom Statthalteramt als Demonstration eingeschätzt wurde; und die Bürgerlichen wünschen sich ein härteres Durchgreifen.

Und Karin Rykart? Sie geht zwar gegen die Critical Mass vor, allerdings erstickt sie diese weder im Keim, noch lässt sie den Umzug laufen, wie dies teilweise bei anderen nicht-bewilligten Demonstrationen der Fall war. Stattdessen dürfen die Velos zwar fahren, werden dann aber von den Einsatzkräften in grossem Stil angehalten, verzeigt und weggewiesen. So flatterten letzte Woche erste Bussen zu den Velofahrer:innen nachhause: Wer Ende Juli an der Critical Mass erwischt wurde, muss nun 250 Franken bezahlen. 

Es ist das übliche Theater mit linken Polizeichef:innen: Niemand ist zufrieden. Doch auch kommunikativ geht die Stadträtin nicht in die Offensive und erklärt ihre Position, sondern weicht aus und verweist auf die Medienstelle der Stadtpolizei.

Auf die Critical Mass angesprochen sagt sie, es sei ein Witz, dass sie keinen Einfluss nehme: «Der Statthalter hat entschieden, dass die Critical Mass eine bewilligungspflichtige Demonstration ist und der Stadtrat hat diesen Entscheid akzeptiert, weil wenig dagegen einzuwenden ist.» Schon vor dem Entscheid und danach erst recht habe sie sich im Gespräch mit den Organisator:innen bemüht, für eine Bewilligung eine Lösung zu finden. «Mich stört, dass die Bewegung Critical Mass sich nicht um eine Bewilligung bemüht, umso mehr, als sie davon ausgehen könnte, eine solche zu bekommen.»

Eine stille und zurückhaltende Schafferin

Rückblende ins Jahr 2018. Damals eroberte Karin Rykart für die Grünen den zweiten Sitz im Stadtrat zurück. Dabei profitierte sie von der grünen Welle und der Schwäche der SP, die kurz vor den Wahlen auf die amtierende Stadträtin Claudia Nielsen verzichten musste. Es war aber nicht einfach nur gutes Timing von Rykart, sondern auch eine geballte Ladung an Erfahrung: Sie politisierte seit 2006 im Gemeinderat, war Fraktionschefin und Co-Präsidentin ihrer Partei. 

In einem Porträt schrieb der Zürcher Unterländer, sie sei «unauffällig, aber fleissig», angenehm im Umgang und verliere kein böses Wort über ihre Gegner:innen. Sie sei gut vorbereitet und wenn sie unsicher ist, halte sie sich zurück. Schon damals hiess es von Kritiker:innen, sie sei «langweilig und farblos». Darauf angesprochen sagte Rykart zur Zeitung: «Vielleicht bin ich manchmal ein wenig zurückhaltend und könnte noch lockerer sein.»

Eine stille Schafferin als politische Chefin der Polizei – geht das gut?

Uniformen, Waffen und Amtsgelübde stehen für Patriotismus, Kontrolle und klare Hierarchien. In ihrem Departement steht Rykart damit mehrheitlich männlichen Charakterköpfen gegenüber, nur 30 Prozent der Polizist:innen sind weiblich, ausserdem sind drei von vier Direktor:innen männlich.

In linksgrünen Kreisen werden Kollektiventscheide einer Top-Down-Anweisung vorgezogen, man diskutiert, bis man eine gemeinsame Linie hat, die alle vertreten können. Die Verantwortung wird geteilt. Einzelpersonen, die sich zu fest profilieren, sind nicht unbedingt gerne gesehen. Vermutlich war ihr Departement auch darum zu Beginn eine fremde Welt für die Politikerin. 

Doch als Stadträtin und besonders im Sicherheitsdepartement sind genau diese Fähigkeiten gefragt: klare Entscheidungen, Führungsstärke, Durchsetzungsvermögen. 

Dass sich bürgerliche Politiker:innen mit öffentlicher Kritik an einer linken Polizeichefin nicht zurückhalten: geschenkt. Bereits in der Vergangenheit wurde sie in der NZZ kritisiert und auch der Tagesanzeiger hatte keine Freude an ihrer zurückhaltenden Krisenkommunikation. Diese Recherche zeigt nun erstmals, wie weit verbreitet die Unzufriedenheit mit der Amtsführung von Karin Rykart auch im linken Lager ist. 

Es fällt auf, dass nur männliche Politiker mit Namen hinstehen und die Kritik öffentlich machen wollen. Weibliche Politikerinnen äussern sich zwar inhaltlich identisch, wollen aber nicht mit Namen eine andere Frau via Medien angreifen.

Linke sind unzufrieden

Das Verdikt ist happig: Karin Rykart zeige wenig Führungsstärke, habe keine politische Vision. Als Stadträtin müsse sie Verantwortung übernehmen, besonders im Sicherheitsdepartement, man müsse sich Respekt verschaffen, Stärke und Selbstvertrauen ausstrahlen. Alle diese Attribute vermissen die angefragten Politiker:innen bei der Stadträtin. 

AL-Gemeinderat Michael Schmid denkt nach, bevor er mit Bedacht formuliert: «Ich nehme Rykart als zurückhaltend wahr, sie wagt wenig und will keine Fehler machen.» Im Alltagsgeschäft, so der Gemeinderat, «läuft der Laden» dank einer eingespielten, kompetenten Verwaltung.

Die Aufgabe der Stadträtin wäre es, die politisch gewollten Änderungen vorwärtszutreiben, «dies macht sie meiner Wahrnehmung nach zu wenig, oder nimmt überhaupt keinen Einfluss, wie zum Beispiel bei der Critical Mass». Einen offiziellen Anforderungskatalog an das Amt als Sicherheitsvorsteherin gäbe es zwar nicht, so Schmid, doch er wünscht sich von Rykart grundsätzlich «mehr Mut, auch mal etwas falsch zu machen – ohne diesen ist Veränderung unmöglich».

«Wenn die oberste Polizeichefin sagt, sie habe keinen Spielraum, macht mir das Angst.»

Lukas Bühler, grüner Veloaktivist

Einen fehlenden Gestaltungswillen «in alle Richtungen» erkennt auch Sven Sobernheim, Co-Fraktionschef der GLP im Gemeinderat. Er sei mit Rykart weder glücklich noch unglücklich und fragt rhetorisch: «Macht sie überhaupt etwas?» Das Sicherheitsdepartement vertrage eine schwache politische Führung, weil die Strukturen funktionieren.

Die Kritik einer SP-Gemeinderätin, die nicht namentlich genannt werden will, reiht sich nahtlos ein: «Was die Polizei betrifft, hat man nicht das Gefühl, dass es eine politische Führung gibt.» Die Stadträtin nehme ihren politischen Spielraum nicht wahr und agiere auch kommunikativ schlecht. Oftmals beziehe Rykart erst auf Druck von aussen Position, und dann meist zu spät und wenig überzeugend: «Kommunikativ nehme ich ihr das nicht richtig ab», so die Parlamentarierin. Sie erwartet, dass «die politische Führung der Polizei auch mal ohne grosse Vorbereitung auf Kritik reagieren kann». 

«Der FDP-Präsident kritisiert alles, was nicht FDP ist»

Angesprochen auf die Kritik entgegnet Rykart: «Vielleicht sehen manche Leute meinen Willen nicht, weil es ihnen zu langsam geht. Aber natürlich gestalte ich.» Sie habe die Strassenlärmsanierung, also Tempo 30, übernommen und durch den Stadtrat gebracht, und treibe das Dossier Sicher Velofahren als strategischen Schwerpunkt voran. «Gemeinsam mit dem Kommandanten gestalte ich die Stadtpolizei um. So, dass sie ihre Arbeit machen können und wir das hohe Sicherheitsniveau in der Stadt auch mittelfristig halten können.» Wer behaupte, es fehle der Stadträtin an Gestaltungswillen, «will diesen nicht sehen». 

Einer, der sich immer wieder kritisch über Karin Rykart geäussert hat, ist der städtische FDP-Präsident und Gemeinderat Përparim Avdili. «Ihre Politik ist schon schwach», urteilt Avdili. Sie sei mit dem Amt überfordert, dies zeige sich im Umgang mit allen Problemen: Critical Mass, Demonstrationen, Fussballfans. Dass nun auch Kritik von linker Seite an Rykart aufkommt, überrascht den FDP-Präsidenten nicht. Er findet aber auch, dass die linke Mehrheit Rykart mit dieser Amtszuteilung keinen Gefallen tut. Sie müsse sich ernsthaft überlegen, ob sie weiterhin Sicherheitsvorsteherin sein wolle, «wenn man überfordert ist, muss man den Platz räumen». Die FDP sei immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. 

Dazu Karin Rykart: «Der städtische FDP-Präsident kritisiert alles, was nicht FDP ist. Ich nehme es zur Kenntnis.»

Critcial Mass
Wer an der Critical Mass teilnimmt, riskiert eine Busse. (Bild: Tsüri.ch / Noëmi Laux)

Kritik aus der eigenen Partei

Doch selbst Mitglieder aus der eigenen Partei gehen hart mit ihr ins Gericht. Lukas Bühler ist Veloaktivist und ehemaliger Kandidat für den Gemeinde- und Nationalrat – eine aktive und laute Stimme innerhalb der Zürcher Grünen. «Ich nehme Karin Rykart nicht als linksgrüne Vertreterin einer Sicherheitspolitik wahr, hinter der die Grüne Partei stehen kann», argumentiert Bühler. Auch er wiederholt die Kritik der Führungsschwäche: «Sie sagt immer, sie könne nichts gegen die Repressionseinsätze und die täglichen Schikanen gegenüber den Velofahrenden machen. Wenn die oberste Polizeichefin sagt, sie habe keinen Spielraum, macht mir das Angst.»

Die Grünen hätten ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie Rykart für eine dritte Amtszeit nominieren würde, ist Bühler überzeugt und greift damit seine Parteikollegin frontal an. Er könne nicht hinter dieser Politik stehen und habe «über Jahre immer wieder das Gespräch gesucht, doch geändert habe sich nichts, im Gegenteil». Die Critical Mass zum Beispiel habe Rykart mit «dem schärfsten aller Mittel» bekämpft, und damit die Sicherheit von Menschen gefährdet. «Karin Rykart hat einen Ermessensspielraum und wenn sie diesen nicht wahrnimmt und einfach die Hardliner entscheiden lässt, dann will ich dies nicht akzeptieren.»

So streng wie Bühler, sieht es der grüne Gemeinderat Martin Busekros, nicht: «Ich wüsste nicht, wie sie die Critical Mass wie bis anhin hätte gewähren lassen können». Grundsätzlich vermisst aber auch er den Gestaltungswillen und hat das Gefühl, «die Polizei selbst macht zu viel Politik». Ob Rykart im Sicherheitsdepartement bleiben soll, ist für Busekros offen: «Wenn es nach rechts geht, darf es keine Option sein, dass sie das Departement wechselt.»

Die Kritik aus den eigenen Reihen, dass ihre Amtsführung den Werten der Grünen widerspreche, kontert Rykart: «Natürlich ist meine Amtsführung mit den Werten der Grünen vereinbar.» Sie und ihre Werte hätten sich nicht verändert. Aber ihre Rolle sei in der Exekutive eine andere: «Ich bin nicht Stadträtin für die Grünen, sondern für alle Menschen in Zürich.» Wenn jemand bei den Grünen finde, er habe ein Glaubwürdigkeitsproblem wegen Rykart, «darf er mir das gerne sagen».

Rückendeckung gibt es von der Parteipräsidentin Anna-Béatrice Schmaltz. Die Sicherheitspolitik werde bei den Grünen traditionell aufmerksam und kritisch begleitet, woraus sich teilweise Differenzen zur Arbeit des Stadtrates ergeben können. «Karin Rykart leistet sehr kompetente Arbeit als Stadträtin», ist Schmaltz überzeugt. Und: «Als Frau in der Sicherheitspolitik wird ihre Arbeit kritischer beurteilt, als bei einem Mann.» Es scheine noch immer ungewohnt zu sein, wenn Frauen in diesem Bereich politische Arbeit leisten.

1. Mai Gummigeschoss
Als Einsatzkräfte am 1. Mai einem Demonstranten mit Gummischrot ein Auge ausgeschossen haben, blieb es lange still. (Bild: Manuel Lopez)

Zwei Arten der Amtsführung

Die Arbeit der aktuellen Sicherheitsvorsteherin will Richard Wolff (AL) nicht beurteilen. Er selbst war von 2013 bis 2018 politischer Chef der Polizei und in diesem Amt als Alternativer und ehemaliger Aktivist ein Exot.

Dass Linke mit dem Sicherheitsdepartement Mühe haben, ist nicht fast schon logisch. Auch Richard Wolff wurde nach seiner überraschenden Wahl in den Stadtrat zuerst gegen seinen Wunsch zur Polizei geschickt, fand danach aber Gefallen am Amt, bis er wiederum gegen seinen Willen von dort entfernt wurde. Auch er wurde zu Beginn von links bis rechts kritisiert, niemand war zufrieden, man hatte unrealistische Wünsche an den linksaussen Politiker. Erst nach und nach machten sich Veränderungen bemerkbar, die Polizei beispielsweise agierte in vielen Fällen unter Wolff deeskalativ.

Er habe immer etwas erreichen und ein politisches Ziel verfolgen wollen, sagt Wolff. In seiner Zeit als Sicherheitsvorsteher wollte er einen Unterschied machen, Einfluss nehmen und seine politische Position in der Exekutive einbringen. Um den Spielraum nutzen zu können, den man als Stadträt:in hat, brauche es eine Vorstellung darüber, was man mit der Dienstabteilung wolle.

Es gebe aber auch eine andere Möglichkeit, dieses Amt zu führen, nämlich mit dem Fokus auf Stabilität und Kontinuität. Also so zu managen, dass man möglichst wenig anecke. «Dann kann man den Direktor:innen, die ja die Fachleute sind, das Tagesgeschehen überlassen.» Doch auch dann, so Richard Wolff, könne man die politische Verantwortung nicht abgeben und müsse hinstehen, wenn etwas schiefläuft.

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