Xenix-Macherinnen zum Jubiläum: «Auch Nischen haben ihre Existenzberechtigung»
Das Programmkino Xenix gehört zu den Errungenschaften der Achtziger-Jugendunruhen – und feiert dieses Jahr sein 40-Jahr-Jubiläum. Wir haben mit den Macherinnen des Xenix über die legendären Filmplakate, Frauen in der Filmszene, Lieblingsfilme und die schönsten Xenix-Momente gesprochen.
«Filmtheater allein, das wollte das Xenix nie sein», schrieb Tanja Hanhart in ihrem Beitrag für das Buch «Xenix – Kino als Programm». Es soll deshalb bereits im Autonomen Jugendzentrum Zürich (AJZ), dem Geburtsort des Kinos, Lasagne-Abende gegeben haben. Im besetzten Abbruchhaus am Tessinerplatz wurde eine erste kleine Bar gezimmert – erst in der hölzernen Baracke auf dem Kanzlei-Areal entstand eine fest installierte Bar. Mit der festen Bleibe kam laut Hanhart allmählich die Professionalisierung: Auf Stühle selber mitbringen folgten Sofas vom Brocki. Alle packten überall mit an: zum Filmbeginn mussten die Besucher*innen das Licht der Ständerlampe im Kinosaal eigenhändig ausknipsen, sobald die Vorstellung fertig war, wechselte der Operateur direkt an die Bar.
Aus dem leidenschaftlichen und ehrenamtlichen Engagement von filmbegeisterten Jugendlichen aus der politischen Jugendbewegung der 80er-Jahre hat sich ein professionell geführter Betrieb entwickelt, der in der Stadt Zürich zu einer wichtigen kulturellen Institution für nichtkommerzielles Kino geworden ist. Diesen Sommer feiert das Sofakino auf dem Kanzleiareal, als eines der wenigen verbleibenden analog ausgerüsteten Kinos der Schweiz, sein 40-Jahr-Jubiläum. Am 8. Juni darf es nach dem Corona-Lockdown zum ersten Mal wieder seine Türen öffnen mit dem Programm «Lieblingskino» und den Filmen Soul Kichen und Lazzaro felice.
Wir haben zur Feier des Tages mit den beiden Frauen des Xenix, Jenny Billeter, Mitglied der Geschäftsleitung und Programm-Kuratorin sowie Hausgrafikerin Cornelia Diethelm gesprochen.
Jenny Billeter hat unter anderem mehrere Jahre bei Visions du Réel, Nyon und dem Locarno Filmfestival gearbeitet und war Kommissionsmitglied der Zürcher Filmstiftung. Seit 2017 ist sie Co-Programmleiterin des Kino Xenix und Mitglied der Geschäftsleitung.
Ihr Geburtstagswunsch fürs Xenix:
«Diese Nische eines programmierten, kuratierten Kinos hat Zukunft. Ich wünsche mir, dass das soziale Ereignis, gemeinsam einen Film zu schauen und das auf einer grossen Leinwand, wieder stärker anerkannt wird als Ergänzung zu Netflix und Co.»
Rahel Bains: Gemeinsam mit René Moser bist du beim Xenix hauptsächlich für die Programmation zuständig. Welches Programm lag dir bisher besonders am Herzen?
Jenny Billeter: Bevor ich im Xenix angefangen habe, war länger keine Frau mehr für die Programmation zuständig gewesen. Viele aus der Filmszene freuten sich deshalb, dass «endlich eine Frau» kommt. Dies löste bei mir eine Art Gegenreaktion aus, denn ich wollte keine Quotenfrau sein. In einem meiner ersten Programme «What a Man» ging es deshalb um Männer – mit einer Prise Humor und natürlich aus einer weiblichen Perspektive. Ich mag dieses Programm, weil es mir die Möglichkeit bot zu erforschen, wie Männlichkeit in Filmen dargestellt wird.
Ein weiteres Programm, das ich sehr mag, ist jenes über die französische Regisseurin Céline Sciamma. Sie hat zwar bislang nur fünf Filme gemacht, aber genau deswegen war es schön, dass ich ihr durch das Programm eine Visibilität geben konnte. Dass ich entscheiden konnte, dass Sciammas Schaffen als Ganzes sichtbar werden soll.
Einmal haben wir freudig eine 35-mm-Kopie mit Fedex aus den USA bestellt und dann gemerkt, dass der ganze Spass über 1000 Franken gekostet hat. Das passiert allen einmal.
Co-Programmleiterin Jenny Billeter
Gibt es ein Programm, das besonders schwierig umzusetzen war oder das gar nicht erst entstanden ist?
Es gibt schon Themen, die ich schon lange mit mir herumtrage und noch nicht verwirklichen konnte. Was ich bis jetzt weniger gemacht habe, sind Programme, die eine tiefe Archiv-Recherche erfordern, die historisch sind, bei denen die Filme nicht gleich gut zur Verfügung stehen und wo es schwierig, kompliziert und teuer ist, an Archiv-Kopien ranzukommen.
Ich möchte zum Beispiel schon lange ein Programm über den US-amerikanischen Regisseur, Drehbuchautor, Produzenten und Schauspieler John Cassavetes machen. Ich habe mich aber noch nicht daran gewagt, weil die Kopienlage schwierig ist und ich sein Werk gern zusätzlich mit aktuellen Filmen in Bezug setzen möchte.
Welche Hürden gilt es beim Erschaffen eines Programms zu überwinden?
Das eine ist, an Filme zu denken, sie zu schauen und die Rechte dazu zu klären. Das andere, diese Filme dann auch physisch zu finden. Bei neueren Filmen ist das weniger schwierig, bei älteren kann dies oftmals sehr kostspielig werden. Einmal haben wir freudig eine 35-mm-Kopie mit Fedex aus den USA bestellt und dann gemerkt, dass der ganze Spass über 1000 Franken gekostet hat. Das passiert allen einmal (lacht).
Sonst sind es eher die eigenen Ansprüche an sich. Wenn ich etwa alles rund und koherent hinbringen möchte. Zum Glück geniesse ich die Freiheit, Anpassungen vorzunehmen. Ich bin niemandem verpflichtet, dass ein Programm genau so aussehen muss, wie ich mir das zuerst gedacht habe. Das ist ein grosses Privileg.
Wie gross ist die Konkurrenz in der Stadt mittlerweile?
Das Xenix befindet sich in einem Nischenbereich. Wir haben – wie die meisten Kinos – tiefe Besuchszahlen. Aber auch Nischen haben ihre Existenzberechtigung. Ich bin der Meinung, dass eine Vorführung auch dann wertvoll ist, wenn nur 15 Leute kommen. Ich lade häufig Regisseur*innen oder Schauspieler*innen an die Vorstellungen ein. Dieses Gäste-Konzept klappt meistens gut. Wenn du einen Gast hast, kommen die Leute gerne ins Kino, weil du das beim Streamen nicht bekommst.
Hast du ein Lieblings-Genre?
Was Genres anbelangt bin ich ziemlich offen, solange sie überzeugend sind. Ich habe sieben Jahre für das Filmfestival Visions du Réel in Nyon gearbeitet und bin daher dem Dokumentarfilm stark verbunden. Ich mag Filme, die Fiktion und Dokumentarisches mischen. Diese Hybridformen zwischen real und nicht real, die sind toll.
Gibt es ein Genre, das deiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit erhält?
Eigentlich habe ich zu klassischen Genrefilmen wie Horrorfilmen nicht so den Draht. In den vergangenen Jahren haben aber sehr viele Filme mit Genre-Elementen gearbeitet. Plötzlich habe ich gemerkt, wie komplex, spannend und auch wertvoll es sein kann, wenn Filme mit Übersinnlichem, Fantastischem, Surrealem und Schrägem spielen. Diese Art von Filmen erhalten zwar in der Festival-Szene bereits sehr viel Aufmerksamkeit, könnten im Indie-Kino aber noch viel mehr Anerkennung bekommen.
Filme, die als besonders weiblich gelten, müssen extra verteidigt werden.
Co-Programmleiterin Jenny Billeter
Gibt es viele Frauen in der Kino-Programmleitung und wie sieht es bei den Festivals aus?
Bei den Filmfestivals ist in den letzten zehn Jahren viel passiert. Etwa, als Seraina Rohrer mit 33 Jahren Direktorin des Solothurner Filmfestivals wurde. Seither sind viele Frauen an die Spitze gelangt – etwa bei den Filmfestivals Locarno und Nyon. Bei Programmkinos sind mehrere Männer-Frauen-Duos an der Spitze, was ich cool finde. So wie bei uns im Xenix, wo René Moser und ich uns die Monatsprogramme aufteilen.
Muss man sich als Frau mehr beweisen, indem man zum Beispiel ein besonders taffes Programm auf die Beine stellt?
Ich habe ein Programm gemacht, das nur aus Werken von Regisseurinnen bestand. Es hiess «Bodies and Souls» und in diesem Rahmen habe ich ganz bewusst ein paar Filme gezeigt, von denen man hätte sagen können: «Was für fragile Frauenfilme». Filme, die als besonders weiblich gelten, müssen extra verteidigt werden. Ich will diese Werke aber bewusst zeigen im Wissen, dass es immer mehr Frauen gibt, die andere Geschichten erzählen und neue Bilder erschaffen wollen. Auch wenn die Filme nicht immer gleich gut funktionieren, will ich sie trotzdem unterstützen. Denn es ist eine Tatsache, dass Regisseurinnen bislang viel weniger Sichtbarkeit hatten und dass ihre Sicht auf die Welt aber sehr, sehr wichtig ist. Es geht nicht nur um Frauen, sondern auch um andere unterrepräsentierte soziale Gruppen, die es mehr zu vertreten gilt, damit es nicht vor allem «alte weisse Männer» sind, deren Filme gezeigt werden. Es gibt noch immer viele Männer, die sich nicht bewusst sind, dass auch sie geprägt sind und keine neutrale Instanz darstellen. Dagegen müssen wir alle noch kämpfen.
Auch wenn die Besucher*innenzahlen grundsätzlich zurückgehen, glaube ich noch immer, dass die Liebe zum Kino und diese Community, die sich während der Dauer eines Films bildet, etwas Schönes ist.
Co-Programmleiterin
Wie lebendig ist die Zürcher Film- und Kinoszene?
Zürich hat – obwohl keine Grossstadt – eine extrem vielseitige Kinokultur. Hier hast du alles vom Multiplex bis zum Kino im Kochareal. Im Sommer gibt es diverse Openairs. Und auch wenn die Besucher*innenzahlen grundsätzlich zurückgehen, glaube ich noch immer, dass die Liebe zum Kino und diese Community, die sich während der Dauer eines Films bildet, etwas Schönes ist – gerade in Zeiten wie diesen.
Spürt ihr die Auswirkungen von Netflix und anderen Streamingdiensten?
Das spüren alle Kinos. Ich glaube aber, dass die Möglichkeit, alles jederzeit sehen zu können, die meisten überfordert. Der Wunsch, dass jemand eine Auswahl macht, bleibt. Deshalb haben Plattformen wie zum Beispiel Mubi, bei denen Menschen und kein Algorithmus Filme kuratieren, so einen grossen Erfolg. Die Kinos machen das schon lange.
Dein Lieblingsfilm?
Thelma & Louise, ein Roadmovie, das ich als Teenager mit einer guten Freundin im Kino gesehen habe. Der Film hat uns damals sehr bewegt, weil es um eine Frauenfreundschaft ging. Leider müssen die beiden Protagonistinnen am Schluss für ihre Unabhängigkeit sterben, das wäre heute nicht mehr so.
Cornelia Diethelm sagt: «Früher wäre meine offizielle Jobbeschreibung Hausgrafikerin gewesen. Ich weiss nicht, ob man dem heute noch so sagt, ich finde es aber eine schöne Bezeichnung.» Die 39-Jährige arbeitet seit 2012 für das Sofakino und koordiniert dort unter anderem die Gestaltung der berühmten Plakate für die jeweiligen Filmreihen sowie der Programmhefte. Sie war es auch, die das Buch «Kino Xenix Plakate: 1981 - 2013» zusammen mit Sabina Albanese gestaltet hat.
Ihr Geburtstagswunsch fürs Xenix:
«Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, uns liebevoll zu erneuern. Uns ist natürlich schon bewusst, dass das Xenix ein wenig in die Jahre gekommen ist, dafür hat es den Status eines Klassikers, der sich nicht jeden Tag verändern soll. Ich glaube, wenn das Xenix wegen der Corona-Krise hätte schliessen müssen, wäre das wirklich heftig gewesen.»
Rahel Bains: Wie muss man sich die Arbeit im Xenix-Büro vorstellen, seid ihr eine Art kleine Familie?
Cornelia Diethelm: Ich finde schon. Ich bin zu 40 Prozent fest angestellt und daneben freischaffende Grafikerin und Illustratorin. Am Anfang war das Engagement im Xenix einfach ein Nebenjob. Dann kam aber plötzlich der Moment, an dem es gedreht hat. Ich sagte nicht mehr «die vom Xenix» sondern «wir».
Die Xenix-Plakate werden jeweils von verschiedenen Zürcher Grafiker*innen gestaltet und zelebrieren und reflektieren in ihrer knapp 40-jährigen Geschichte mal Interpretation, mal politisches Statement, mal reinen Schönheitssinn. Welches ist dein Lieblingsplakat, das du gestaltet hast?
Ich dachte, du fragst bestimmt, welches mein Lieblings-Xenix-Plakat ist. Das wäre einfach gewesen (lacht). Aber eines, das ich gestaltet habe? Jene der Programme «Bodies and Souls» und «Waldrausch», das waren zwei ganz tolle Filmreihen und die Arbeit dazu hat extrem viel Spass gemacht. Die Xenix-Plakate haben sich mittlerweile als etwas Eigenständiges etabliert, dass ohne irgendwelche Auflagen funktionieren darf.
Das Xenix gilt als feste kulturelle Instanz – gibt es in Zürich etwas Vergleichbares?
Wahrscheinlich nicht, wir haben auch schon darüber gesprochen, was man verändern könnte, ob man etwa das Programmheft digitalisieren müsste. Es war aber am Ende für alle klar: Das braucht es weiterhin, denn es ist extrem wertvoll – und ein Stück Zürcher Kultur.
Liebevoll und sorgfältig gestaltete Programmhefte inspirieren ja bekanntlich...
Ja, wir haben auch schon gehört, dass sie zum Beispiel in den Badezimmern von WGs rumliegen. Vielleicht als Inspiration für den nächsten Filmabend? (lacht). Wenn du am Ende etwas Gedrucktes in der Hand hast, ist das so ein schönes Gefühl. Deshalb gehen Jenny und ich sobald das Heft fertig ist, feierlich ein Bier trinken. Denn davor ist es stets intensiv, letzte Korrekturen und Entscheidungen werden getroffen, man arbeitet sehr eng zusammen.
Was ist von der Aufbruchstimmung der Anfänge während der 80ger-Jahre noch vorhanden?
Hm... gute Frage. Die Impulsivität, die zwischenzeitliche Aufregung, der Tatendrang und der Glaube daran, dass es besser wird.
Was hast du durch das Xenix Neues entdeckt?
Ich kannte das Xenix vor allem vom Kiesplatz, ich war viel in der Bar, weniger im Kino. Durch meinen Job habe ich – was Filme anbelangt – noch einmal sehr viel dazugelernt. Ich kenne inzwischen nicht nur die Namen vieler Filmschaffenden, sondern auch die ihrer Held*innen.
Ich liebe gute Filme, besonders im Kino. Aber Serien nehme ich gerne mit ins Bett.
Grafikerin Cornelia Diethelm
Ganz ehrlich: Serie oder Film?
Film, ah warte nein, fiese Frage. Ich liebe gute Filme, besonders im Kino. Aber Serien nehme ich gerne mit ins Bett.
Dein Lieblingsfilm?
«La Strada». Dieser Film hat mich als Kind geprägt, den könnte ich immer wieder schauen.
Deine Xenix-Lieblingsgeschichte?
Eine Amerikanerin, die schon viele Jahre in Zürich lebt, sagte mir einst: «Weisst du, wenn man ins Xenix will, dann muss man sich zu Hause mental erst etwas vorbereiten. Denn man weiss, man wird ein bisschen arschig behandelt. Aber wenn man es geschafft hat, ist man stolz, denn man hat das Gefühl zum richtigen Zürich dazuzugehören.» (lacht). Das finde ich so liebenswert auf den Punkt gebracht.
Dieser Artikel wurde automatisch in das neue CMS von Tsri.ch migriert. Wenn du Fehler bemerkst, darfst du diese sehr gerne unserem Computerflüsterer melden.
Das mache ich bei Tsüri:
Schreiben, recherchieren, hinterfragen, spannende Menschen porträtieren und euch von Dingen erzählen, von denen ihr noch nie gehört habt.
Das mache ich ausserhalb von Tsüri:
Zeit mit meiner Familie verbringen, Freunde am langen Holztisch in meiner Küche zum z‘Nacht versammeln.
Über diese Themen schreibe ich am liebsten:
Das Schöne an meinem Job ist es, dass ich mich nicht auf ein Thema festlegen muss.
Darum bin ich Journalistin:
Ich liebe es, Geschichten zu erzählen, Hintergründe transparent zu machen und Puzzleteile des Welt- bzw. Stadtgeschehens zusammenzufügen und in Worte zu fassen.
Das mag ich an Züri am meisten:
Die Sommerkonzerte an der Bäckeranlage, die über hundertjährige Siedlung, in der ich wohne und dass wir See und gleich zwei Flüsse haben, yeah!