«Der Zauber ist weg»: Zoff hinter den Kulissen des Theaterspektakels
Das Basar-Verbot prägte das diesjährige Theaterspektakel und wirkte sich auch auf die Einnahmen der Gastro-Betriebe aus. Die Fronten zwischen der Leitung und den Künstler:innen sowie Mitarbeiter:innen bleiben verhärtet.
Die 46. Ausgabe des Theaterspektakels ist über die Bühne gegangen. In der Schlussmitteilung zeichnet die Leitung ein positives Bild: 120'000 Gäst:innen hätten die Landiwiese besucht, 23'000 Personen wohnten einer der über 100 kostenpflichtigen Veranstaltungen bei.
Soweit die offizielle Darstellung – hinter den Kulissen gab es jedoch Unmut, vor, während und nach dem «Speki». Auslöser war die überraschende und kurz vorab kommunizierte Entscheidung der Festivalleitung, den traditionellen Basar zu verbieten, an dem Jahr für Jahr Haare-Flechten, Tarotkarten-Lesen, Henna und Akrobatik stattfanden.
In Gesprächen mit Strassenkünstler:innen und Gastro-Arbeiter:innen wird klar: Das Basar-Verbot ist für sie nur die Spitze des Eisbergs. Sie alle üben Kritik am Führungsstil von Matthias von Hartz, der im Jahr 2018 die künstlerische Leitung von Sandro Lunin übernommen hat.
«Es ist eine grosse Familie, die auseinandergerissen wird»
Olivia Simeon legt seit 20 Jahren Tarotkarten am Theaterspektakel, seit 17 Jahren arbeitet sie auch beim Kinderschminken. «Aktuell kann man nicht mehr von einem Theaterspektakel sprechen, denn das Spektakel und der Zauber sind weg», findet sie. Der Basar sei ein Ort gewesen, der den Austausch zwischen Künstler:innen und Zuschauer:innen ermöglicht hätte; etliche Kund:innen seien frustriert und enttäuscht über dessen Verschwinden.
Die Stimmung im Team sei im Keller, sagt Simeon. Einige Mitarbeiter:innen überlegten sich, ob sie im nächsten Jahr noch einmal dabei sein wollen. «Es ist eine grosse Familie, die auseinandergerissen wird. Alle sind enttäuscht: die Mitarbeiter:innen, die Künstler:innen, die Gastrobetriebe und das Publikum», sagt Simeon.
Gemeinsam mit anderen habe sie Zettel verteilt und Unterschriften der Besucher:innen gesammelt, um den Basar zurückzufordern. Ihr Optimismus unter der aktuellen Leitung hält sich in Grenzen. «Für die künstlerische Leitung war der Basar immer eher störend. Sie versteht nicht, dass diese Attraktionen die Masse anziehen.» Simeon selbst habe mit ihren langjährigen Stammkund:innen trotzdem Termine ausgemacht, um ihnen auf dem Gelände die Karten zu legen.
Eric's Magic Show: Dieser Künstler hat auf der Landiwiese noch ein Publikum gefunden. (Bild: Yann Bartal)
Viele Strassenkünstler:innen reisen jedoch gar nicht mehr an, weil sie sich nicht mehr willkommen fühlen. (Bild: Yann Bartal)
Kein Fan von Henna und Tarot: Matthias von Hartz, seit 2018 künstlerischer Leiter des Theaterspektakels. (Bild: Theaterspektakel/Simon Aurel Schwarz)
Leona Birchler, die nur anonym von der Situation berichten möchte, arbeitet seit vielen Jahren beim Theaterspektakel in der Gastronomie. Auch sie teilt Simeons Meinung: «Die interne Kommunikation läuft zu intransparent ab. Das war unter früheren Leitungen klar besser.» Ausserdem sei die Chefetage kaum greifbar und der Austausch oftmals schwierig.
Der Kahlschlag beim Basar und bei den Strassenkünstler:innen schlage sich dabei auch in den Einnahmen der Gastro-Betriebe nieder. «Unsere Einnahmen haben abgenommen. Früher verweilten die Familien länger, die Eltern sassen noch bei einem Getränk, während die Kinder den Künstler:innen zuschauten. Das wird weniger und weniger», so Birchler. Die offiziellen Zahlen zeigen: Mehr als 80 Prozent der Gäst:innen besuchen keine der zahlungspflichtigen Vorstellungen, sondern verbringen ihre Zeit auf dem Gelände – doch dieser Aufenthalt ist inzwischen in den Augen vieler weniger attraktiv.
«Basar wurde immer weiter weggedrängt»
Mireya Suter trat bereits im Alter von sieben Jahren das erste Mal beim Basar auf der Landiwiese auf. Auch sie heisst eigentlich anders. Während ihre Mutter Haarbändel flocht, übte sie sich in Akrobatik. Seit 2017 bot sie auf dem Basar Henna an und war schon voller Vorfreude auf die diesjährige Ausgabe, als ihr zwei Wochen vor Beginn das Aus mitgeteilt wurde.
Ihre schriftliche Nachfrage beim Theaterspektakel blieb unbeantwortet, was Suter wenig erstaunte: «Unter der neuen Leitung wurden wir Strassenkünstler:innen immer weiter weggedrängt und die Hürden wurden immer grösser.»
In vergangenen Jahren habe es für den Basar teils keine Beleuchtung und Wegweiser mehr gegeben; statt auf Paletten mussten die Künstler:innen auf dem Rasen performen und eine Registrierung vorweisen.
Festivalleitung verteidigt Entscheid
Suter selbst hat dieses Jahr nur an einem Tag das Spektakel besucht: «Im Vergleich zu früher war es praktisch leer, es gibt ja kaum noch Strassenkunst», sagt sie. Zum künstlerischen Leiter Matthias von Hartz sagt sie: «Er ist überall unbeliebt und eckt an, aber kommt damit irgendwie durch. Dieses Jahr gab es am Team-Essen vor Beginn des Festivals sogar einen schweigenden Protest der Mitarbeiter:innen.» Auch andere Mitarbeiter:innen bestätigen die Protestaktion.
Das Theaterspektakel erklärt auf Anfrage, der Basar sei nicht verlängert worden, weil sich das Format nach der Pandemie «nicht wieder so etabliert hat, dass wir es künstlerisch interessant gefunden hätten». Gleichzeitig habe man das Angebot für Kinder in den letzten Jahren erweitert.
Bei einem so lange bestehenden Festival gehöre Veränderung dazu und es sei verständlich, dass es Menschen gibt, die etwas vermissen. Gleichzeitig habe die Organisation mit den Betroffenen das Gespräch gesucht. Die Umsätze der Gastronomiebetriebe seien «ähnlich wie letztes Jahr» gewesen.
Versöhnliches Abschiedsessen
Nach den Protesten und der Kritik hoffen die einen, dass der Basar schon nächstes Jahr zurückkehren kann. Andere setzen ihre Hoffnung in die zukünftige künstlerische Leitung: Gemäss dem Theaterspektakel wird von Hartz noch zwei Ausgaben leiten und Ende 2027 zurücktreten.
Ob dann jemand kommt, der mit Ballonfiguren, Strassenkunst, Henna und Tarot mehr anzufangen weiss?
Das Fazit der Festivalleitung zum Basar-Verbot fällt diplomatisch aus: Die Diskussionen zu den «Veränderungen im Aussenraum-Angebot» würden zeigen, wie verbunden Mitwirkende und Besucher:innen mit dem Festival seien.
Während Mitarbeitende über die schwierige Kommunikation mit der Chefetage klagen, heisst es in dem Statement, kollektive Erfahrungen, gemeinsames Nachdenken und auch das Diskutieren konträrer Meinungen seien «essenziell wichtig».
Eine solch kollektive Erfahrung und gemeinsames Nachdenken hat es zumindest am Montag am Abschlussessen gegeben. Dort habe sich die Leitung für die Unruhen während des Festivals und die Basar-Entscheidung entschuldigt, berichtet Olivia Simeon. Auch gemäss Leona Birchler war das Essen «hoffnungsvoll und positiv geprägt».
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!
Bachelorstudium in Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich, Master in Kulturanalyse und Deutscher Literatur. Während des Masters Einstieg als Redaktionsmitglied in der Zürcher Studierendenzeitung mit Schwerpunkt auf kulturellen und kulturkritischen Themen. Nebenbei literaturkritische Schreiberfahrungen beim Schweizer Buchjahr. Nach dem Master Redaktor am Newsdesk von 20Minuten. Nach zweijährigem Ausflug nun als Redaktor zurück bei Tsüri.ch