«Der Zauber ist weg»: Zoff hinter den Kulissen des Theaterspektakels

Das Basar-Verbot prägte das diesjährige Theaterspektakel und wirkte sich auch auf die Einnahmen der Gastro-Betriebe aus. Die Fronten zwischen der Leitung und den Künstler:innen sowie Mitarbeiter:innen bleiben verhärtet.

Zürcher Theaterspektakel
Vom 14. bis zum 31. August fand in Zürich das Theaterspektakel statt. Die Plattformen für Strassenkunst werden dabei immer kleiner. (Bild: Theaterspektakel/ Kira Kynd)

Die 46. Ausgabe des Theaterspektakels ist über die Bühne gegangen. In der Schlussmitteilung zeichnet die Leitung ein positives Bild: 120'000 Gäst:innen hätten die Landiwiese besucht, 23'000 Personen wohnten einer der über 100 kostenpflichtigen Veranstaltungen bei.

Soweit die offizielle Darstellung – hinter den Kulissen gab es jedoch Unmut, vor, während und nach dem «Speki». Auslöser war die überraschende und kurz vorab kommunizierte Entscheidung der Festivalleitung, den traditionellen Basar zu verbieten, an dem Jahr für Jahr Haare-Flechten, Tarotkarten-Lesen, Henna und Akrobatik stattfanden.

In Gesprächen mit Strassenkünstler:innen und Gastro-Arbeiter:innen wird klar: Das Basar-Verbot ist für sie nur die Spitze des Eisbergs. Sie alle üben Kritik am Führungsstil von Matthias von Hartz, der im Jahr 2018 die künstlerische Leitung von Sandro Lunin übernommen hat. 

«Es ist eine grosse Familie, die auseinandergerissen wird»

Olivia Simeon legt seit 20 Jahren Tarotkarten am Theaterspektakel, seit 17 Jahren arbeitet sie auch beim Kinderschminken. «Aktuell kann man nicht mehr von einem Theaterspektakel sprechen, denn das Spektakel und der Zauber sind weg», findet sie. Der Basar sei ein Ort gewesen, der den Austausch zwischen Künstler:innen und Zuschauer:innen ermöglicht hätte; etliche Kund:innen seien frustriert und enttäuscht über dessen Verschwinden.

Die Stimmung im Team sei im Keller, sagt Simeon. Einige Mitarbeiter:innen überlegten sich, ob sie im nächsten Jahr noch einmal dabei sein wollen. «Es ist eine grosse Familie, die auseinandergerissen wird. Alle sind enttäuscht: die Mitarbeiter:innen, die Künstler:innen, die Gastrobetriebe und das Publikum», sagt Simeon.

Gemeinsam mit anderen habe sie Zettel verteilt und Unterschriften der Besucher:innen gesammelt, um den Basar zurückzufordern. Ihr Optimismus unter der aktuellen Leitung hält sich in Grenzen. «Für die künstlerische Leitung war der Basar immer eher störend. Sie versteht nicht, dass diese Attraktionen die Masse anziehen.» Simeon selbst habe mit ihren langjährigen Stammkund:innen trotzdem Termine ausgemacht, um ihnen auf dem Gelände die Karten zu legen.

  • Strassenkünstler Theaterspektakel

    Eric's Magic Show: Dieser Künstler hat auf der Landiwiese noch ein Publikum gefunden. (Bild: Yann Bartal)

  • Strassenkünstler Theaterspektakel

    Viele Strassenkünstler:innen reisen jedoch gar nicht mehr an, weil sie sich nicht mehr willkommen fühlen. (Bild: Yann Bartal)

  • Matthias von Hartz am Theaterspektakel

    Kein Fan von Henna und Tarot: Matthias von Hartz, seit 2018 künstlerischer Leiter des Theaterspektakels. (Bild: Theaterspektakel/Simon Aurel Schwarz)

Leona Birchler, die nur anonym von der Situation berichten möchte, arbeitet seit vielen Jahren beim Theaterspektakel in der Gastronomie. Auch sie teilt Simeons Meinung: «Die interne Kommunikation läuft zu intransparent ab. Das war unter früheren Leitungen klar besser.» Ausserdem sei die Chefetage kaum greifbar und der Austausch oftmals schwierig.

Der Kahlschlag beim Basar und bei den Strassenkünstler:innen schlage sich dabei auch in den Einnahmen der Gastro-Betriebe nieder. «Unsere Einnahmen haben abgenommen. Früher verweilten die Familien länger, die Eltern sassen noch bei einem Getränk, während die Kinder den Künstler:innen zuschauten. Das wird weniger und weniger», so Birchler. Die offiziellen Zahlen zeigen: Mehr als 80 Prozent der Gäst:innen besuchen keine der zahlungspflichtigen Vorstellungen, sondern verbringen ihre Zeit auf dem Gelände – doch dieser Aufenthalt ist inzwischen in den Augen vieler weniger attraktiv.

«Basar wurde immer weiter weggedrängt»

Mireya Suter trat bereits im Alter von sieben Jahren das erste Mal beim Basar auf der Landiwiese auf. Auch sie heisst eigentlich anders. Während ihre Mutter Haarbändel flocht, übte sie sich in Akrobatik. Seit 2017 bot sie auf dem Basar Henna an und war schon voller Vorfreude auf die diesjährige Ausgabe, als ihr zwei Wochen vor Beginn das Aus mitgeteilt wurde.

Ihre schriftliche Nachfrage beim Theaterspektakel blieb unbeantwortet, was Suter wenig erstaunte: «Unter der neuen Leitung wurden wir Strassenkünstler:innen immer weiter weggedrängt und die Hürden wurden immer grösser.»

In vergangenen Jahren habe es für den Basar teils keine Beleuchtung und Wegweiser mehr gegeben; statt auf Paletten mussten die Künstler:innen auf dem Rasen performen und eine Registrierung vorweisen. 

Festivalleitung verteidigt Entscheid

Suter selbst hat dieses Jahr nur an einem Tag das Spektakel besucht: «Im Vergleich zu früher war es praktisch leer, es gibt ja kaum noch Strassenkunst», sagt sie. Zum künstlerischen Leiter Matthias von Hartz sagt sie: «Er ist überall unbeliebt und eckt an, aber kommt damit irgendwie durch. Dieses Jahr gab es am Team-Essen vor Beginn des Festivals sogar einen schweigenden Protest der Mitarbeiter:innen.» Auch andere Mitarbeiter:innen bestätigen die Protestaktion.

Das Theaterspektakel erklärt auf Anfrage, der Basar sei nicht verlängert worden, weil sich das Format nach der Pandemie «nicht wieder so etabliert hat, dass wir es künstlerisch interessant gefunden hätten». Gleichzeitig habe man das Angebot für Kinder in den letzten Jahren erweitert.

Bei einem so lange bestehenden Festival gehöre Veränderung dazu und es sei verständlich, dass es Menschen gibt, die etwas vermissen. Gleichzeitig habe die Organisation mit den Betroffenen das Gespräch gesucht. Die Umsätze der Gastronomiebetriebe seien «ähnlich wie letztes Jahr» gewesen. 

Luftaufnahme Theaterspektakel
Rund 120'000 Besucher:innen kamen dieses Jahr auf die Landiwiese, knapp 20 Prozent von ihnen besuchten eine zahlungspflichtige Vorstellung. (Bild: Theaterspektakel/ Kira Kynd)

Versöhnliches Abschiedsessen

Nach den Protesten und der Kritik hoffen die einen, dass der Basar schon nächstes Jahr zurückkehren kann. Andere setzen ihre Hoffnung in die zukünftige künstlerische Leitung: Gemäss dem Theaterspektakel wird von Hartz noch zwei Ausgaben leiten und Ende 2027 zurücktreten.

Ob dann jemand kommt, der mit Ballonfiguren, Strassenkunst, Henna und Tarot mehr anzufangen weiss?

Das Fazit der Festivalleitung zum Basar-Verbot fällt diplomatisch aus: Die Diskussionen zu den «Veränderungen im Aussenraum-Angebot» würden zeigen, wie verbunden Mitwirkende und Besucher:innen mit dem Festival seien.

Während Mitarbeitende über die schwierige Kommunikation mit der Chefetage klagen, heisst es in dem Statement, kollektive Erfahrungen, gemeinsames Nachdenken und auch das Diskutieren konträrer Meinungen seien «essenziell wichtig».

Eine solch kollektive Erfahrung und gemeinsames Nachdenken hat es zumindest am Montag am Abschlussessen gegeben. Dort habe sich die Leitung für die Unruhen während des Festivals und die Basar-Entscheidung entschuldigt, berichtet Olivia Simeon. Auch gemäss Leona Birchler war das Essen «hoffnungsvoll und positiv geprägt».

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Kommentare

Raphael Schweikert
03. September 2025 um 06:31

Leider erklärt der Artikel nicht, was genau denn dieser Basar war. Mir war nicht aufgefallen, dass sich dieses Jahr am Speki bezüglich Strassenkunst etwas verändert hat verglichen mit den Vorjahren.

Marx Frisch
03. September 2025 um 09:08

Forcierte Zielgruppenveränderung?

Für mich sieht es hier klar so aus, als würde eine Zielgruppenveränderung forciert werden. Weg vom Volkskunstevent hin zu einem Kunstevent der "Eliten". Wenn solche Floskeln wie "künstlerisch interessant" vorgebracht werden ist das bedenklich.

Linda Bucher
03. September 2025 um 11:54

Auf dem Festgelände ist an mehreren Orten auch ein Protest-Gedicht aufgetaucht, zum Teil wurde es dann weggemacht und erschien dann wieder (ich hab Fotos davon) 😁 Von Hartz, du kleiner Wicht Ich geh mit dir ins Gericht Ohne Basar geht es nicht So eine peinliche Geschicht Scheint nicht so beliebt zu sein, dieser von Hartz, und mehr Humor könnte er auch gebrauchen … Als Festbesucherin war ich sehr enttäuscht, es hat dieses Jahr definitiv etwas gefehlt am Speki. Etwas, das zu dieser speziellen Stimmung einfach dazugehört. Hoffentlich suchen die Verantwortlichen gemeinsam mit den Betroffenen einen guten Weg, um diesen Basar allenfalls weiterzuentwickeln, aber unbedingt beizubehalten.