Bodenbesitz der Swiss Life: Der Aufstieg des Zürcher Immo-Giganten
Der Versicherungskonzern Swiss Life ist die grösste Immobilienbesitzerin der Schweiz, und auch in der Stadt Zürich. Unsere Recherchen zeigen die Dimensionen und den Aufstieg der Firma erstmals auf. Besonders pikant: Seit der Finanzkrise verdoppelte die Swiss Life ihre Macht.
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Recherchenetzwerk Reflekt entstanden.
Text & Recherche: Simon Jacoby / Christian Zeier (Reflekt) / Esther Banz
44 Jahre arbeitete Stella Bogoni als Kindergärtnerin in der Stadt Zürich. Sie wuchs im Seefeld-Quartier auf und lebte dort ihr ganzes Leben – bis sie 2016 wegen einer Renovation ausziehen musste. Ihre Rückkehr war nicht vorgesehen: Laut einer ehemaligen Nachbarin kostete die renovierte Wohnung neu mehr als das Doppelte.
Für die damalige Aufwertung war der Versicherungskonzern Swiss Life verantwortlich – das Unternehmen also, das mit Abstand am meisten Wohnungen in der Stadt Zürich besitzt. Stella Bogoni fand ein neues Zuhause an der Allenmoosstrasse in Oerlikon, in einem für sie unbekannten Quartier. Nur die Vermieterin war eine Altbekannte: Wieder gehörte das Gebäude der Swiss Life, wieder wurde es von der unternehmenseigenen Immobilienverwaltung Livit verwaltet.
Weil die pensionierte Kindergärtnerin im Treppenhaus Löcher und andere Mängel entdeckte, fragte sie bei der Verwaltung nach, ob sie ganz sicher nicht wieder wegen eines Umbaus ausziehen müsse. «Nichts in der Pipeline», lautete die Antwort. Also sagte sich Stella Bogoni: «Das ist das letzte Mal, dass ich umziehe.» Doch keine vier Jahre später, im September 2020, erhält sie einen eingeschriebenen Brief: Die Kündigung. Alle acht Mehrfamilienhäuser der Siedlung werden abgerissen. Alle Mieter:innen der Swiss Life müssen raus. Stella Bogoni, die ihr ganzes Leben in Zürich verbracht hat, muss die Stadt nun ganz verlassen. Sie lebt heute im Kanton Aargau.
Ähnliche Schiksale dürfte es tausende geben. Die Swiss Life Gruppe besitzt landesweit nämlich mehr als 1360 Liegenschaften. Gemäss eigener Website ist das Unternehmen damit «Eigentümerin des grössten privat gehaltenen Immobilienportfolios der Schweiz». Zu mehr Transparenz fühlt sich der Konzern deswegen nicht verpflichtet: Anders als etwa die grössten Konkurrenten UBS und CS gibt die Swiss Life Gruppe nicht bekannt, welche Liegenschaften oder wie viele Grundstücke sie in Zürich besitzt. Auf Anfrage heisst es lediglich, dass es aktuell rund 5000 Wohnungen seien. Und: «Wir kommentieren unser Portfolio nicht bis auf die Stufe einzelner Liegenschaften und Standorte.»
Erst das Bezirksgericht hilft
Will man mehr über den Besitz der wichtigsten Immobilienfirma der Stadt erfahren, bleibt also nur der mühsame Gang zu den Grundbuchämtern. Elf davon gibt es in der ganzen Stadt, von Altstetten bis Riesbach und von Oerlikon bis Enge. Alle funktionieren autonom und blocken die ersten Anfragen nach den Besitztümern der Swiss Life und deren Tochterfirmen ab.
Denn sogenannte «serielle Abfragen» darf das Grundbuchamt gemäss Gesetz nicht beantworten, geschweige denn Anfragen nach den konkreten Besitztümern von Firmen oder Personen («personenbezogene Daten»). Bereits bei der Analyse der Lang- und Weststrasse half erst das öffentliche Interesse als Argument, bei der Swiss Life gestalteten sich die Abfragen noch schwieriger.
Im Gesetz über die Auskünfte aus dem Grundbuchamt heisst es aber (Art. 970 Abs. 1 ZGB): «Wer ein Interesse glaubhaft macht, hat Anspruch darauf, dass ihm Einsicht in das Grundbuch gewährt oder dass ihm daraus ein Auszug erstellt wird.»
Also legten wir den Grundbuchämtern unser journalistisches Interesse dar und bestärkten dieses mit einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2000. Zehn Ämter reagierten positiv, nur das Grundbuchamt Enge weigerte sich. Erst eine Beschwerde beim Bezirksgericht konnte die Herausgabe der Informationen erzwingen. In seinem Entscheid vom Juni 2021 bestätigt das Gericht, dass personenbezogene und serielle Anfragen möglich sind.
Rund acht Monate dauert es von der ersten Anfrage beim Grundbuchamt bis zum vollständigen Erhalt der Daten. Über 1100 Franken haben die Anfragen gekostet. Diese Recherche von Tsüri.ch und Reflekt zeigt nun erstmals auf, wie viele Grundstücke die Swiss Life in der grössten Stadt der Schweiz besitzt, in welchen Notariatskreisen sie liegen und auch, wann die Vermögensverwalterin angefangen hat, in grossem Stil in den Besitz von Boden zu investieren.
Die ganze Stadt Zürich besteht aus 39’945 Grundstücken, wozu auch Strassen, Flüsse, Wiesen und Wälder gehören. Mit 9104 Grundstücken gehört der öffentlichen Hand fast ein Viertel der Stadt. Betrachtet man nur die Fläche des Baulandes, also ohne Strassen, See und ähnlichem, so kommt die Stadt auf rund 36 Prozent, die privaten Gesellschaften auf gut 24 Prozent.
Der Anteil der Wohnungen, welche sich im Besitz von privaten Gesellschaften, also Firmen wie die Swiss Life, befinden, nimmt stetig zu. Im Zeitraum von 1956 bis 2016 hat sich dieser von 21 auf 28 Prozent gesteigert.
Der rasante Auftieg der Swiss Life
Nun zu den Zahlen und Fakten der Grossgrundbesitzerin Swiss Life und deren Unterfirmen. In der ganzen Stadt Zürich gehören exakt 369 Parzellen zur Firma, was ziemlich genau einem Prozent aller Grundstücke entspricht. Auf diesen sind total 596 Adressen (sprich: Hauseingänge) registriert. Zum Vergleich: Die grösste Genossenschaft der Stadt, die ABZ, nennt 58 Liegenschaften ihr eigen.
So sind die Grundstücke der Swiss Life auf die Grundbuchämter verteilt: Die meisten Parzellen besitzt der Konzern in den Quartieren Enge und Oerlikon:
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Interessant sind auch die Jahreszahlen der sogenannten Handänderungen, sprich der Jahre, in welchen die Swiss Life ihre Grundstücke erworben hat. Ein erster Peak ist im Jahr 1954 festzustellen, als 32 Parzellen gekauft worden sind. Die grossen Investitionen in den Besitz von Boden folgten aber viel später. Nach den sehr ruhigen Jahren 2003 bis 2007 stieg die Anzahl der gekauften Grundstücke massiv an.
Diese folgenden Datenpunkte bezeichnen nur die Mindestanzahl der Käufe pro Jahr – die Grundbuchämter geben nur die letzte Handänderung pro Grundstück heraus. Es kann also zum Beispiel sein, dass eine Parzelle mehrmals pro Jahr die Eigentümerschaft wechselt, dies wäre hier nicht ersichtlich.
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Warum ist das so? Warum kaufte die Swiss Life plötzlich derart viele Grundstücke? Gemäss Frédéric Papp, dem Immobilienexperten von Comparis, ist diese rasante Entwicklung in den vergangenen Jahren keine Überraschung. Die Zinsen würden bereits seit den 1990er-Jahren sinken, nach der Finanzkrise 2008 habe sich dies noch verstärkt: «Die Notenbanken weltweit haben die Zinsen teils in den negativen Bereich gedrückt, mit dem Ziel, Wirtschaftsrezessionen abzuwenden beziehungsweise das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.»
Dies habe dazu geführt, dass es für Investor:innen, namentlich Versicherungen und Pensionskassen, immer schwieriger werde, Gewinne auf Anleihen zu erwirtschaften, so Frédéric Papp. Zudem seien Immobilien attraktiv, weil die Kursschwankungen gering und die Renditen stabil seien.
Gemäss Frédéric Papp von Comparis wird diese Entwicklung bei der Swiss Life weitergehen: «Solange Bargeld zu null oder weniger verzinst wird, stehen andere Anlageklassen im Fokus der Investor:innen. Deshalb wird auch die Swiss Life ihr Immobilienengagement weiter ausbauen.»
Jede 50. Wohnung gehört Swiss Life
Der Konzern selber bestätigt dies: «Diese Strategie möchten wir auch in den kommenden Jahren fortsetzen», heisst es von der Pressestelle. Der Fokus liege dabei auf «zentralen Lagen in grösseren Schweizer Städten» und immer zugunsten einer sehr langfristigen Investitionsstrategie.
Diese Strategie macht sich nicht nur im Zuwachs von Grundstücken, sondern auch beim Zuwachs der Wohnungen im Besitz der Swiss Life bemerkbar. Recherchen von Reflekt zeigen: «In nur elf Jahren (seit 2009, A.d.R.) konnte der Versicherungsriese sein Immobilienportfolio um 2700 Einheiten erweitern und auf hohem Niveau mehr als verdoppeln.» Total sind es derzeit rund 5000 Wohneinheiten, welche die Firma alleine in der Stadt Zürich besitzt.
Damit, so die Recherchen von Reflekt, ist Swiss Life deutlich vor UBS und Credit Suisse die grösste Wohnraum-Eigentümerin unter den kommerziellen Anbieter:innen und besitzt circa jede 50. Wohnung in der Stadt. Die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) kommt auf ungefähr 5100 Wohnungen, wie es auf Anfrage heisst. Alle Genossenschaften zusammen kommen auf 41’256 Einheiten, die öffentliche Hand auf 15’578.
Der Mieterinnen- und Mieterverband Zürich (MV) ist über die Anzahl der Grundstücke und Wohnungen im Besitz der Swiss Life nicht überrascht. «Dramatisch ist nicht die nackte Zahl, sondern das starke Wachstum seit 2006», so Walter Angst vom Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband. Mit dieser ausgebauten Macht sei der Konzern ein Treiber auf dem Wohnungsmarkt. Dies führt zu Kritik seitens MV: «Zusammen mit der ihr gehörenden Verwaltung, der Livit, definierte Swiss Life die neuen Standards: 100 Prozent Fokus auf Kapitalertrag, 0 Prozent auf die soziale Dimension des Wohnens».
Immer wieder kaufe die Swiss Life Mehrfamilienhäuser, um diese «abzureissen und mehr grössere und teurere Wohnungen für ein völlig anderes Klientel zu erstellen». Somit können die Mieteinnahmen und damit auch der Wert der Liegenschaft vervierfacht werden, so Walter Angst im Gespräch.
Die Sanierungen werden weitergehen
Aber wer trägt denn nun die Verantwortung für diese steigenden Boden- und Mietpreise? Für den Mieterinnen- und Mieterverband Zürich ist diese auf verschiedenen Schultern verteilt: «Der Akteur SwissLife? Ja sicher. Politik und (Stadt-)Planer:innen? Sicher auch, weil der politische Wille nicht sehr ausgeprägt ist, die grossen Player in die Pflicht zu nehmen.»
Die grösste kommerzielle Vermieterin der Stadt Zürich selber ist sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst, wie es auf Anfrage heisst. Die Swiss Life setze auf «eine langfristige und nachhaltige Nutzung von Immobilien». Da die Versicherung Rentenverpflichtungen habe, «die weit in das zweiundzwanzigste Jahrhundert hineinreichen», sei Swiss Life auf Anlagen angewiesen, die langfristig nachhaltige Erträge generieren. «Deshalb sehen wir uns auch in der Verantwortung, regelmässig in den Erhalt und die Erneuerung unseres Portfolios zu investieren.» Sprich: Ältere Liegenschaften sanieren und dann teurer wieder vermieten.
Einigermassen Einigkeit besteht zwischen der Swiss Life und dem Mieterinnen- und Mieterverband bei der geteilten Verantwortung für Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse. Denn auch Florian Zingg, Sprecher der Swiss Life, bezeichnet das Bedürfnis nach Verdichtung und mehr urbanem Wohnraum als gemeinsame Herausforderung: «Hier müssen alle Beteiligten Wege finden, wie die gewünschte Verdichtung erreicht und gleichzeitig auch die Bedürfnisse der bestehenden Mieter:innen bestmöglich berücksichtigt werden können.»
Walter Angst möchte zum Schluss noch anmerken, dass die privaten Vermieter:innen nicht einfach die Guten und die Immobilienfonds die Bösen seien. Beide Sorten von Bodenbesitzenden würden auf ihre Art Wertsteigerungen realisieren. Im Falle der Swiss Life und Livit geschehe dies immer wieder mit Leerkündigungen. Walter Angst: «Wenn saniert und neu gebaut wird bedeutet das, dass Knall auf Fall die Kündigung eintrifft und die Siedlung ein Jahr später abgerissen ist. Mieter:innen können dem nur etwas entgegensetzen: Sich frühzeitig organisieren.»
Redaktionelle Mitarbeit: Elio Donauer, Emilio Masullo
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