Gemeinderats-Briefing #49: Es gibt Geld und niemand ist zufrieden

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Startschwierigkeiten bei neur Kulturförderung, etwas mehr Geld hier und dort durch Nachtragskredite

Vor der Sommerpause gönnen sich die Gemeinderät:innen gerne noch einmal eine Extraportion Ratssitzung und absolvieren meist gleich zwei hintereinander. So auch gestern. Das Sitzungsende verzögerte sich sogar um eine gute Stunde, so dass Gemeinderatspräsidentin Sofia Karakostas (SP) um kurz vor halb eins in der Nacht mitteilte, vor der Tür warteten Taxis und man solle doch bitte den Beleg für die Spesenabrechnung aufbewahren. Ich für meinen Teil teile mit, dass ich an diesem überlangen Abend ein neues Wort gelernt habe (dazu später mehr) und bitte darum, mir den späteren Versand dieses Briefings zu verzeihen.

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Illustration: Zana Selimi (Bild: Zana Selimi)

Beinahe die gesamte zweite Sitzung des Abends ging es nur um ein Thema: Die neu ausgestaltete Kulturförderung für Tanz und Theater der Stadt Zürich. Diese war vonseiten der Stadt komplett überarbeitet und in ein Konzeptförderverfahren umgebaut worden, was bei einer Volksabstimmung von knapp 70 Prozent der Bevölkerung gutgeheissen worden war und von 2024 bis 2029 erstmals zur Anwendung kommen soll.

Neben einem weiterhin durchgängigen und unbefristeten Teil der Kulturförderung gibt es neu den flexiblen Konzeptförderungsteil im Tanz- und Theaterbereich, der unter anderem zu einer stärkeren Kooperation unter den Akteur:innen und Synergien in der freien Szene führen soll. Die dafür in Betracht kommenden Institutionen und Einzelpersonen mussten sich im Vorfeld mit ausgefertigten Konzepten auf die Gelder der ersten sechsjährigen Förderperiode bewerben und wurden von einer Jury bewertet. Dass zwei bisher geförderte Kleintheater, das Theater Stok und der Keller62, dabei leer ausgingen, sorgt bereits seit Wochen für Unmut.

«Es hat im Vorfeld dieser Sitzung gerumpelt, und das gehört dazu.»

Stadtpräsidentin Corine Mauch über die neue Konzeptförderung im Tanz- und Theaterbereich.

So befand auch Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) bei der Vorstellung der entsprechenden Weisung: «Es hat im Vorfeld gerumpelt, und das gehört dazu.» Schliesslich begehe man mit diesem Verfahren Neuland und werde sicherlich zukünftig auch Justierungen vornehmen auf der Basis dieser Erfahrungen. Insgesamt bedeute die Konzeptförderung mit sechsjährigen Förderperioden aber mehr Planungssicherheit für die Geförderten, die davor, wenn überhaupt, befristet auf höchstens vier Jahre gefördert worden seien.

Verschiedene Fraktionen hatten unterschiedliche Lösungsansätze parat, um die Theater Stok und Keller62 doch noch in den Genuss von Fördergeldern statt der vorgesehenen Abfederungsbeiträge für zwei Jahre kommen zu lassen. Moniert wurde von allen Seiten, dass die Fördersumme von knapp 4 Millionen Franken jährlich um rund ein Drittel unter dem Wert liegt, den die geförderten Institutionen für ihre Konzepte beantragt hatten. Auf Unverständnis stiess bei manchen auch die Tatsache, dass unter den geförderten Institutionen auch das Zirkusquartier Zürich auftaucht, obwohl – Achtung, hier kommt das neue Wort! – die zirzensischen Künste nicht Tanz und Theater zuzuordnen seien. Stadtpräsidentin Mauch entgegnete, dass diese Zuordnung schon länger gang und gäbe sei.

Die GLP stellte einen Antrag, die Weisung zurückzuweisen, die Zirkussparte herauszunehmen und durch das so freiwerdende Geld allen Institutionen inklusive den beiden Kleintheatern mehr Mittel zuzusprechen. Fraktionsmitglied Ann-Catherine Nabholz meinte, man sei davon ausgegangen, dass die bisher geförderten Institutionen die Möglichkeit erhalten würden, ihre Zukunftsentwürfe zu gestalten. Stattdessen seien flexible Häuser nun in einem eher unflexiblen Förderkorsett gefangen und der Rahmenkredit lasse keine Zukunftsentwürfe zu. Maya Kägi Götz (SP) entgegnete, ein Rückweisungsantrag verzögere das Verfahren zu sehr und verkleinere so den Gestaltungsspielraum der Institutionen vor dem Jahreswechsel erheblich. Die Debatte über eine Auslagerung des Zirkusschaffens könne man gerne führen, nur nicht in dieser Ausgangslage.

Die FDP hatte einen ähnlichen Lösungsvorschlag parat wie ihre grünliberalen Ratskolleg:innen. Sie wollte das Zirkusquartier direkt aus der Weisung streichen und durch die Theater Stok und Keller62 ersetzen, die Gelder für die einzelnen Institutionen erhöhen und forderte per Postulat die Schaffung eines eigenen Kulturressorts für das Zirkusschaffen. Fraktionsmitglied Yasmine Bourgeois sprach davon, dass die Vielfalt der kleinen Bühnen abgewürgt werde, die zusammen zehnmal weniger Geld bekämen als das Schauspielhaus alleine. Zudem bemängelte sie, dass der Publikumserfolg anscheinend kein Kriterium gewesen sei, da der Keller62 beispielsweise eine Auslastung von 70 Prozent habe.

Maya Kägi Götz befand, die Änderungsvorschläge der FDP seien rechtlich nicht zulässig, da der Jury-Entscheid und die Weisung des Stadtrats auf der Basis eines Volksentscheids stünden und der Gemeinderat nicht die Aufgabe habe, die Ergebisse zu verändern. Dem hielt Michael Schmid (FDP) entgegen, es sei nach den Sommerferien direkt umsetzbar und die einzige Lösung. Er erinnerte daran, dass die von Walter Angst (AL) initiierte Drittelslösung für Geschäftsmieten in der Corona-Pandemie auch innerhalb kürzester Zeit als Postulat durch den Gemeinderat gebracht wurde.

Urs Riklin (Grüne) und Roger Föhn (EVP) wiederum hatten noch einen dritten Vorschlag zur Förderung der beiden Kleintheater: Per Postulat forderten sie den Stadtrat auf, diese so zu unterstützen, dass ihr Betrieb bis zum Ende der sechsjährigen Förderperiode aufrechterhalten werden kann. Dazu sollten die bereits bewilligten Abfederungsbeiträge voll ausgeschöpft und weitere Mittel geprüft werden. Corine Mauch erklärte, man prüfe das gerne, sehe aber erhebliche rechtliche Fragestellungen aufgrund der Basis auf einem Volksentscheid. Ähnlicher Meinung war auch Maya Kägi Götz, die mittels Textänderung die «weiteren Mittel» aus dem Postulat gestrichen sehen wollte, was die Postulanten allerdings ablehnten. Moritz Bögli (AL) wiederum argumentierte gegen alle drei Vorschläge gleich: «Es liegt nicht am Gemeinderat, kulturpolitisches Mikromanagement zu betreiben.»

Schlussendlich war der Vorschlag von Urs Riklin und Roger Föhn der einzige, der eine Mehrheit fand. Gegen die Stimmen von SP, AL und SVP votierten 62 gegen 56 Parlamentarier:innen dafür. Der Rückweisungsantrag der FDP überzeugte sonst nur die GLP, die Änderungsanträge der FDP wurden vom Rest des Rates abgelehnt, wobei sich die Mitte/EVP der Stimme enthielt. Einem automatischen Teuerungsausgleich bei den Fördermitteln stellte sich eine Minderheit von SVP und FDP entgegen. Gegen die obligatorische Kompromiss-Klausel, dass die Förderung von Kulturinstitutionen gekürzt werden soll, sollte das Eigenkapital der Stadt auf unter 100 Millionen Franken fallen, wehrte sich eine Minderheit aus AL und Grünen. «Kultur ist nicht das erste, an dem man sparen sollte», erklärte dazu Moritz Bögli.

Mehrere Fraktionen haben bereits in der Sitzung neue Vorstösse angekündigt, die Verbesserungen für die nächste Förderperiode nach 2029 bringen sollen.

Ein bisschen mehr Geld hier und dort

Auch die erste Sitzung des Abends wurde von einem Grossthema dominiert: den Nachtragskrediten. «Alle Jahre wieder», eröffnete der Präsident der Rechnungsprüfungskommission, Florian Utz (SP), seine Vorstellung der Weisung des Stadtrats und des Antrags der Kommission, diese anzunehmen. Regelmässig beantragt der Stadtrat zusätzliches Geld, das nicht budgetiert worden war, um neue und unvorhergesehene Ausgaben zu schultern.

In diesem Jahr ging es unter anderem um Mehrkosten von 300'000 Franken für gebührenfreie Covid-Tests, die durch ein Postulat von Anna Graff (SP) und Andreas Kirstein (AL) gefordert worden waren. Sie wurden nur von einer knappen Mehrheit aus SP, Grünen und AL mit 61 zu 58 Stimmen genehmigt. Mehrkosten für die Durchführung der Rad-WM 2024 in Höhe von 2 Millionen Franken wurden gegen die Stimmen von AL und SVP gutgeheissen. Den grössten Posten machten die Zusatzkosten für Lehr- und Verwaltungspersonal an den Schulen aus, insbesondere für die Betreuung in Tagesschulen und für Klassenassistenzen. Den knapp 5,8 Millionen Franken wurde ohne Gegenstimmen zugestimmt.

Generell befand Johann Widmer (SVP), bei den alljährlichen Nachtragskrediten handle es sich um eine Unsitte: «Ein Budget ist ein Budget. Wie beim Jassen muss man das, was man ansagt, auch einhalten.» Insbesondere die Posten für Stadtentwicklung und Kultur seien aufgebläht. Përparim Avdili (FDP) widersprach Widmer: Selbstverständlich habe seine Fraktion einen kritischen Blick auf die Ausgaben, aber: «Nicht das ganze Leben ist wie das Jassen.» Nachtragskredite könnten durchaus vorkommen. Sven Sobernheim (GLP) erinnerte daran, dass sich der kantonale Finanzvorsteher Ernst Stocker, seines Zeichens SVPler, zuletzt um eine Milliarde beim Budget verrechnet habe, und befand: «Ich habe lieber viele Nachtragskredite als ein aufgeblähtes Budget.»

Weitere Themen der Woche

  • Infrastruktur für Seebach I: Der Gemeinderat stimmte einer Weisung des Stadtrats über Ausgaben von 3,8 Millionen Franken für die Erschliessung von acht Parzellen an der Seebacherstrasse mit Fernwärmeanschlüssen einstimmig zu. Bis zum Jahr 2031 entstünden in dem neuen Areal bis zu 330 Wohnungen, so Kommissionspräsident Johann Widmer (SVP). Damit sich die Investition rechne, müssten sechs der acht Bauherr:innen einen Anschluss beantragen, drei hätten dies bereits getan. Vonseiten der Grünen und der GLP wurde Bedauern geäussert, dass man nicht in Betracht gezogen habe, lokale Wärmequellen wie Erdwärme oder Grundwasser zu nutzen.
  • Infrastruktur für Seebach II: Nicht ganz einstimmig war die Unterstützung für eine Weisung über einen Projektierungskredit für eine Fuss- und Velounterführung zwischen dem Areal Grubenacker- und Thurgauerstrasse und dem Seebacherplatz. Auf dem Areal, das durch SBB-Gleise vom Rest des Quartiers getrennt ist, seien bald ein neues Schulhaus und der Quartierpark fertiggestellt, so Heidi Egger (SP). Die bisherigen beiden Unterführungen seien zu wenig zentral gelegen. Derek Richter und Stephan Iten (beide SVP) befanden, diese Unterführungen seien ausreichend. Zudem sei es ein Widerspruch, dass die Stadtregierung und die linke Ratsmehrheit an anderen Orten der Stadt wie der Rosengartenstrasse und dem Zehntenhausplatz Unterführungen zuschütten wollten, auch wenn es sich dabei notabene um Strassen- und nicht um Gleisunterführungen handelt. Als einzige Fraktion lehnte die SVP den Kredit ab.
  • David Garcia Nuñez (AL) stellte dem Gemeinderat einen Antrag aus der Geschäftsleitung vor, nach dem man gegen einen Entscheid des Baurekursgerichts vor das kantonale Verwaltungsgericht ziehen wolle. Das Baurekursgericht hatte einen Rekurs der Pensionskasse der Credit Suisse gegen einen Entscheid des Gemeinderats im Herbst 2021 gutgeheissen. Bei diesem Geschäft hatte der Gemeinderat eine Gestaltungsplanpflicht für das Areal Brunaupark/Uetlihof, das im Besitz der Pensionskasse ist, durchgesetzt und einen Mindestanteil von preisgünstigem Wohnraum bei einer geplanten Überbauung festgesetzt. Garcia Nuñez wies darauf hin, dass es kein einstimmiges Urteil des Rekursgerichts gewesen sei und dass die Rechtsberaterin der Geschäftsleitung das Urteil nicht nachvollziehen könne. Martin Bürki (FDP) erklärte, ein Weiterzug bedeute, auf die derzeit geplanten 162 Wohnungen zu verzichten und die Wohnungskrise so weiter zu verschärfen. SP, Grüne und AL sprachen sich mit 62 zu 55 Stimmen aber für einen Weiterzug aus.
  • Der Gemeinderat hat gestern eine neue Datenschutzbeauftragte für den Rest der Amtsdauer 2022 bis 2026 gewählt. Durchgesetzt als Nachfolgerin des zurückgetretenen Marcel Studer hat sich mit 68 Stimmen Patrizia Schwarz. Ihr Mitbewerber Tobias Näf erhielt 48 Stimmen. In der Ersatzwahl für die zurückgetretene Brigit Tognella-Geertsen (SP) in der Schulkommission war Sarah Tresch (SP) die einzige Kandidatin und wurde ohne Gegenstimme gewählt.
  • «Ich habe fertig», sagte Walter Angst (AL) gestern in seiner Rücktrittsrede im Gemeinderat. Als er vor 21 Jahren in den Rat gekommen sei, sei er ein bunter Vogel gewesen und habe, letztlich unbegründet, Schiss gehabt, dass man ihn ignorieren und ausgrenzen würde. Er ging noch einmal auf sein Kernthema, die Wohn- und Baupolitik ein: «Die Wohnungskrise und die sich verbreitende Angst, sein Zuhause zu verlieren, kann zu einer grossen Katastrophe für diese Stadt werden.» Die «Monacoisierung» von Zürich nehme ihren Lauf und die aktuelle Realität sei die Folge einer vor 30 Jahren eingeleiteten Stadtentwicklungspolitik. Was es brauche, sei eine Regulierung der Mietzinsen und eine Beschränkung der «absurd hohen» Bodenpreise. Auch Gemeinderatspräsidentin Sofia Karakostas ging auf das Wohn- und Bauthema ein und befand, dass der kürzlich beschlossene Wohnraumfonds auch ein wenig auf Angsts Mist gewachsen sei. Parlamentarier:innen von AL, Grünen und SP würdigten ihn mit Standing Ovations. Ein Portrait von Walter Angst ist gestern auf Tsüri.ch erschienen.
  • Reto Brüesch (SVP) gab in einer persönlichen Erklärung bekannt, dass die SBB sich nun endgültig entschieden habe, die nächsten 20 Jahre im Neugass-Areal zu bleiben. In Richtung der linksgrünen Ratsmehrheit erklärte er, dies zeige auf, dass man nicht zum Ziel komme, wenn man nicht bereit sei, Kompromisse zu suchen. SP, Grüne und AL hatten einen letztlich erfolgreichen Volksentscheid unterstützt, der in einer geplanten Neuüberbauung des Areals deutlich mehr kostengünstigen Wohnraum forderte als ursprünglich geplant und die SBB in der Folge Abstand von dem Projekt nehmen liess.

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