Hannah Locher (SP): Von Baden über Sizilien in den Kreis 3
Hannah Locher sitzt seit 2022 für die SP im Zürcher Gemeinderat. Politisiert wurde sie durch einen dreimonatigen Aufenthalt in einem Flüchtlingscamp in Süditalien.
Hannah Locher ist eine typische Zürcherin, denn sie kommt eigentlich gar nicht von hier. Locher ist in Baden aufgewachsen, erst vor acht Jahren zog es sie limmataufwärts. Und dort, im Aargau, wurde sie auch politisiert – über einen damals schon bekannten jungen Sozialdemokraten.
«Ich war etwa zwanzig, als Cédric Wermuth gemeinsam mit anderen Jusos im Bäderquartier ein leer stehendes Hotel besetzte, um auf die Wohnungsnot in Baden hinzuweisen», erzählt die 35-Jährige. Eine Aktion, die im bürgerlich-geordneten Baden für Aufsehen sorgte und Locher auf die Jungpartei aufmerksam machte. Kurze Zeit später kandidierte sie für den Einwohnerrat Baden, wo sie dann auch sechs Jahre lang amtete und Erfahrungen in einem bürgerlichen Parlament sammelte.
Die zweite prägende Erfahrung für ihr politisches Schaffen machte Hannah Locher auf Sizilien. Drei Monate verbrachte sie für ihre Masterarbeit in einem der Camps, in welchem Menschen, die nach Italien flüchteten, untergebracht wurden. Das war 2016, die grossen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen übers Mittelmeer waren auf dem medialen Höhepunkt.
«In den Flüchtlingscamps habe ich mit den geflüchteten Menschen gesprochen, ihre Geschichten erfahren und gleichzeitig habe ich gesehen, wie die Behörden die Menschen zu Nummern machte», erzählt Locher. «Es ist ein unmenschliches System, welches in keinster Form auf Integration setzt.» Diese Erfahrung prägte Locher.
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Als sie 2018 nach Zürich in den Kreis 3 zieht, engagiert sie sich bei «map-F». Der Verein ist eine Monitoring- und Anlaufstelle für vorläufig aufgenommene Personen in der Schweiz. Und auch beruflich beschäftigt sie sich mit sozialpolitischen Themen. Locher arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Kinderrechte bei der UNICEF: «Bei meiner Arbeit bin ich immer wieder damit konfrontiert, dass nicht alle die gleichen Chancen im Leben bekommen und viele Menschen auch bei uns in der reichen Schweiz unter schwierigen Umständen leben.»
In ihrer politischen Arbeit wolle sie gezielt darauf hinarbeiten, solche Missstände zu überwinden, sagt Locher. 2022 wurde sie für die SP Kreis 3 in den Gemeinderat gewählt und ist seither Mitglied der Sachkommission Sozialdepartement. Zuletzt forderte sie in einem Postulat den Stadtrat dazu auf, konkrete Massnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut in der Schweiz zu prüfen.
Warum sind Sie Gemeinderätin geworden?
Es gibt verschiedene Wege, wie man sich in der Gesellschaft einbringen kann, aber mich hat der politische Weg schon immer interessiert. Ich bin in einem politischen Haushalt gross geworden. Meine Eltern haben schon immer mit mir über Politik diskutiert und beide haben sich auch aktiv im Stadtleben eingebracht, meine Mutter beispielsweise beim Aufbau einer Kita und Tagesschule in Baden.
Ich erachte das als grosses Privileg, dass ich so aufwachsen durfte und bin meinen Eltern sehr dankbar dafür. Mit meinem politischen Engagement will ich darum ermöglichen, dass unsere Demokratie für alle Menschen zugänglich wird. Darum ist es für mich auch klar, dass es ein Ausländer:innen Stimmrecht braucht.
Mit welcher Ratskollegin oder welchem Ratskollegen der politischen Gegenseite würden Sie etwas trinken gehen wollen?
Ich bin ein offener Mensch und suche den Austausch mit allen Ratsseiten, das gehört einerseits zum politischen Amt dazu, ich bin aber auch im Privaten offen und interessiert an neuen Kontakten. Heute nach der Ratssitzung gehe ich an einen verspäteten Neujahrsapéro der Interessensgemeinschaft Frauen Gemeinderat.
Ich finde es toll, dass es solche Aktionen gibt, die spezifisch Frauen über die Parteigrenzen hinweg miteinander verbinden. Aber wenn sie mich nach einem konkreten Namen fragen, vielleicht mit Selina Frey von der GLP? Wir beide sind zur gleichen Zeit in den Gemeinderat eingetreten, sind beruflich in ähnlichen Feldern aktiv, hatten aber noch nie miteinander zu tun.
Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?
Mit der links-grünen Mehrheitssituation, wie sie jetzt aussieht, kann ich mich im Gemeinderat immer wieder über Ergebnisse freuen. Letzte Woche beispielsweise bei der Legalisierung der Strassenprostitution an der Langstrasse, das ist ein wichtiger Schritt, damit sich die Situation der Sexarbeiter:innen verbessert. Solche Ergebnisse freuen mich: Wenn wir es schaffen, im Rat für die Interessen von marginalisierten Gruppen einzustehen.
Und welches Ergebnis hat Sie am meisten geärgert?
Ich will hier jetzt nicht auch den Uetlihof nennen, nachdem das viele meiner Kolleg:innen schon gemacht haben. Aber das war wirklich eine verpasste Chance, Wohnraum in der Stadt zu sichern, bei der es dringend mehr Weitsicht gebraucht hätte. Zermürbend finde ich oft Entscheide auf kantonaler Ebene, weil im bürgerlichen Kanton sozialpolitische Themen einen schlechten Stand haben.
Besonders geärgert hat mich letzten Herbst, als die Mehrheit der Stimmbevölkerung gegen die Abschaffung der Wartefrist bei Stipendien für vorläufig aufgenommene Personen stimmte.
Solche Entscheide verstehe ich nicht: Warum verweigert man diesen Menschen solche Zugänge zu unserer Gesellschaft? 90 Prozent der vorläufig aufgenommenen Personen bleiben langfristig in der Schweiz und solche Entscheide sind eine verpasste Chance, ihnen schnellstmöglich Zugang zu einem eigenständigen Leben zu geben.
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Nina musste als Kind mit ihrer Familie zu oft umziehen und wahrscheinlich ist das der Grund, warum sie sich dem Lokaljournalismus verschrieben hat. Sie schrieb als freie Journalistin für die Zürichsee Zeitung, Bajour und jetzt für Tsüri.ch. Nina studierte Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft in Fribourg und Basel und verbrachte kurze Zeit in der Medienforschung, wo sie unter anderem auch wieder Lokaljournalismus untersuchte. Seit 2021 ist Nina Mitglied der Geschäftsleitung bei We.Publish.
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Weil Lokaljournalismus Herzenssache ist (und natürlich demokratierelevant).
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