Emanuel Tschannen (FDP): «Ich bin ein weisser, alter Mann mit auffallender Frisur»
Emanuel Tschannen ist selbständiger Rechtsanwalt und lebt mit seiner Familie im Kreis 7. Im Februar sitzt er seit genau einem Jahr im Gemeinderat. Sein politisches Engagement gilt insbesondere familienfreundlichen Quartieren mit guter Infrastruktur.
Den Entscheid, vor einem Jahr als Gemeinderat nachzurücken, hat Emanuel Tschannen von der FDP bis heute nicht bereut. «Ich war schon immer ein politischer Mensch und möchte mich engagieren, anstatt nur die Faust im Sack zu machen», sagt er. Gleichzeitig gibt er zu: «Das Amt nimmt mehr Zeit in Anspruch, als ich dachte.»
Tschannen hofft, dass man ihn im Parlament als sachlichen und nüchternen Politiker wahrnimmt. Apropos nüchtern: Seit Jahresbeginn verzichtet der FDP-Politiker auf Alkohol und hat den Dry January konsequent durchgezogen – ohne Ausnahme. Einmal habe es sogar eine alkoholfreie Variante von Weisswein gegeben, diese habe ihn allerdings geschmacklich nicht überzeugen können.
Was ihn auch nicht überzeugt, ist der Umgang der Stadt mit finanziellen Ressourcen. «Es stört mich, dass Zürich viel haushälterischer mit seinem Budget umgehen könnte», sagt der Gemeinderat. Der Steuerfuss sei höher, als er sein müsste, «dabei könnte sich die Stadt Zürich eine Senkung problemlos leisten und würde trotzdem gut dastehen – vielleicht sogar besser». Dass die rot-grüne Mehrheit jegliche Massnahmen zur Senkung ablehne und sich weigere, Bürgerinnen und Bürger finanziell zu entlasten, finde er schade.
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In der Abfallpolitik, speziell in der Abschaffung der Entsorgungscoupons, sieht Tschannen ein ideologisches Konzept, das auf dem Rücken des Mittelstands ausgetragen wird. Infolgedessen reicht er mit Beat Oberholzer von der GLP und Benedikt Gerth von der Mitte im Januar 2025 eine parlamentarische Initiative ein, die fordert, auf die Mengengebühr von Sperrgut bis zu einer bestimmten Menge zu verzichten. «Ich wünsche mir eine konsumentenfreundliche und dennoch nachhaltige Lösung für die Entsorgung in Zürich», sagt er. «Sperrgut sollte einfach entsorgt werden können – ohne komplizierte Hürden.»
Dass Menschen ohne Auto ihr Sofa umständlich mit dem Lastenvelo an eine Sammelstelle transportieren sollen, während Autofahrer:innen für die gleiche Dienstleistung zahlen müssen, hält er für eine unlogische und konsumentenunfreundliche Lösung.
Die Abschaffung der Entsorgungscoupons habe die Bevölkerung unvorbereitet getroffen. «Das wurde durch die Hintertür kommuniziert, niemand wusste davon – bis irgendwann einfach eine Pressemitteilung kam», sagt Tschannen. Doch der Widerstand habe sich rasch formiert, und es sei ein parteiübergreifender Konsens entstanden. Nun setzen die FDP, die GLP und die Mitte auf eine parlamentarische Initiative, um eine pragmatische und kostengünstige Lösung für die Sperrgutentsorgung zu ermöglichen.
Tschannen sei sich den Stereotypen bewusst, die er bediene: «Ich bin ein weisser, alter Mann mit auffälliger Frisur, der als Rechtsanwalt arbeitet und sich für KMUs einsetzt, damit bediene ich wohl gängige FDP-Stereotypen.» Doch er hoffe, dass man ihn nicht darauf reduziere, sondern merke, dass ein Mensch dahintersteckt, sagt der 49-Jährige.
Warum sind Sie Gemeinderat geworden?
Ich war immer schon ein politischer Mensch und habe die Möglichkeit gesehen, das Amt zu übernehmen, da ich es gut mit meiner Selbständigkeit als Rechtsanwalt vereinbaren kann. Als Familienvater ist es mir ein Anliegen, mich politisch zu engagieren und Zürich familienfreundlich mitzugestalten.
Mit welcher Ratskollegin oder welchem Ratskollegen der politischen Gegenseite würden Sie etwas trinken gehen wollen?
Ich bin ein sehr offener Mensch und würde mit allen etwas trinken gehen. Wenn ich mir aber überlege, wen ich interessant finde und mir im links rechts Schema gegenübersteht, dann wähle ich Severin Meier. Politisch steht er an einem ganz anderen Ort als ich, aber in der einen persönlichen Interaktion, die ich mit ihm hatte, habe ich ihn als sympathischen Typ wahrgenommen. Es wäre spannend, mit ihm draussen einen Grüntee zu trinken und dabei zu diskutieren.
Welches Abstimmungsergebnis hat Sie am meisten gefreut?
Als Freisinnige haben wir ja nicht so viele Erfolgserlebnisse, das muss man schon sagen. Dass zwei Postulate durchkamen, die ich miteingereicht habe, hat mich auf einer persönlichen Ebene gefreut. Ich habe etwas gemacht, das nicht gleich versenkt wurde: Zum einen die Anpassung der Beleuchtung der Boulevardgastronomie, zum anderen die Forderung von dynamischen Preismodellen mithilfe von digitalen Stromzählern beim Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz).
Welche politische Entscheidung der letzten Jahre würden Sie rückgängig machen, wenn Sie könnten?
Das kann ich zum Glück nicht. Das soll man ja auch nicht können. In der Demokratie geht es schliesslich nicht um richtig oder falsch, sondern darum, ob etwas mehrheitsfähig ist oder nicht. Manchmal ist es auch eine Frage des Zeitgeistes. In den letzten 12 Monaten gab es natürlich schon ein paar Entscheide, die gegen meine persönliche Meinung gingen. Einiges hat mich erstaunt, vielleicht auch weil ich das Problem nicht in gleichem Masse teile. Die genderneutralen Ampelfiguren, die man nun einführen möchte, empfinde ich als Luxusproblem. Aus meiner Sicht machen diese die Welt nicht substanziell besser. Gerade in der heutigen Welt sehe ich andere Herausforderungen.
Natürlich, weil ich auch im Referendumskomitee bin, finde ich die Parkkartenverordnung überhaupt nicht familien- und gewerbefreundlich. Auch wenn der Gewerbeverband der Stadt Zürich die Vorlage mitträgt. Da hätte ich mir eine andere Lösung vorgestellt oder auf eine gehofft, die Familien, die auf ein Auto angewiesen sind, weniger belastet.
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