Dafi Muharemi (SP): «Heute ist es fast ein Wettbewerb, wer am meisten Vorstösse einreicht»

Der 40-jährige SP-Gemeinderat Dafi Muharemi aus Schwamendingen setzt klare Grenzen im politischen Austausch: Mit Gemeinderät:innen, die rassistische oder subtile diskriminierende Haltungen vertreten, würde er nie privat einen Kaffee trinken gehen.

Dafi Muharemi
Plötzlich Gemeinderat: Dafi Muharemi wurde 2022 überraschend zum Gemeinderat gewählt. (Bild: Jenny Bargetzi)

Seit drei Jahren vertritt Dafi Muharemi die SP im Zürcher Gemeinderat für den Kreis 12. Hauptberuflich ist der 40-Jährige bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) tätig – und das seit 16 Jahren. Während seines Studiums in Politikwissenschaften begann er dort als Tram- und Busfahrer, bildete später neue Chauffeur:innen aus und arbeitete im sogenannten Ereignismanagement. «Dass man bei einer Demonstration, wenn Strecken blockiert werden, sofort einen Plan haben muss, wie der Verkehr umgeleitet werden soll und wer welche Rolle übernimmt – das war unglaublich spannend.», erzählt Muharemi.

Mittlerweile leitet er ein Team, das sich um die Anliegen der Mitarbeitenden kümmert – von Konflikten mit Fahrgäst:innen bis hin zu technischen Störungen, die Verspätungen verursachen. Immer wieder sei er dabei auch «undercover» im Einsatz, um sich ein direktes Bild vom Alltag im öffentlichen Verkehr zu machen.

Sein politisches Interesse jedoch reicht weiter zurück. Geboren und aufgewachsen ist Muharemi in Nordmazedonien. «Schon als Kind kam ich viel zu früh in Kontakt mit politischen Fragen.» 2001 kam er in die Schweiz ohne Sprachkenntnisse, ohne soziale Kontakte. «Ich habe versucht, mich zu integrieren, und bin dabei mit Problemen in Berührung gekommen, die mich umgetrieben haben.» 

Besonders das Thema Gleichberechtigung habe ihn früh politisiert. Dabei gehe es ihm nicht nur um die Gleichstellung von Frau und Mann, sondern um eine umfassendere Idee von Chancengleichheit. «Als jemand mit Migrationshintergrund erlebt man viele Dinge noch einmal anders, oft intensiver.»

Warum sind Sie Gemeinderat geworden? Ich bin damals ohne grosse Erwartungen der SP beigetreten. Schon nach eineinhalb Jahren wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, zu kandidieren. Ich war überrascht, doch als Neuling bekommt man ohnehin keinen besonders aussichtsreichen Listenplatz. Also habe ich nicht lange gezögert.

Ich erzähle immer dieselbe Geschichte: Als ich sehr überraschend gewählt wurde, bin ich zu Roger Speck, einem ehemaligen SP-Gemeinderat, aus derselben Sektion gegangen und habe gesagt: «Roger, ich bin gewählt worden – was erwartet mich jetzt?» Und er antwortete: «Die ersten drei Jahre wirst du kaum durchblicken. Danach geht es richtig los.» Heute, drei Jahre später, verstehe ich genau, was er gemeint hat.

Die politischen Abläufe und Strukturen sind komplex – besonders, wenn man vorher keinen direkten Bezug dazu hatte. Es braucht seine Zeit, sich zurechtzufinden.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb der SP?

Ich glaube, man kennt mich als jemand, der nicht einfach Vorstösse macht, nur um aktiv zu wirken. Ich versuche viele Anliegen direkt im Austausch mit der Stadt oder der Verwaltung zu klären. Das geht meistens schneller und bringt mehr. Wenn ich weiss, wer für ein Thema zuständig ist, spreche ich die Person direkt an, bevor ich den formalen Weg gehe.

Leider ist es heute fast ein Wettbewerb, wer am meisten Vorstösse einreichen kann. Aber für mich steht im Zentrum, was wir konkret für die Stadt und ihre Bevölkerung bewirken können.

Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?

Diese Frage finde ich schwierig. Ich habe Mühe mit Politiker:innen, die rassistische Haltungen vertreten, egal ob offen oder subtil. Manchmal ist es nicht sofort erkennbar, ob eine Aussage rassistisch gemeint ist, aber genau das macht es umso gefährlicher. Mit solchen Politiker:innen würde ich nie einen Kaffee trinken gehen. Sondern wenn schon, dann vielleicht zum Austausch und der Person klar zu machen, was meine Meinung dazu ist, aber nicht, weil ich Lust habe, als Amtskolleg:innen freundschaftlich etwas zu trinken.

Haben Sie selbst Rassismus im Gemeinderat erlebt? 

Direkt gegen mich persönlich nicht. Mir geht es aber auch nicht nur um meine eigene Erfahrung, sondern um die Prinzipien, um die Werte, für die Parteien stehen. Und da muss ich leider sagen: Vor allem bei den Bürgerlichen sehe ich oft problematische Haltungen.

Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?

Definitiv die beiden Vorstösse, die ich selbst eingereicht habe. Der erste Vorstoss forderte finanzielle Unterstützung für Familien mit autistischen Kindern, da Autismus nicht als Krankheit anerkannt wird. Das bedeutet: Keine Leistungen der Krankenkasse, kaum Unterstützung von staatlicher Seite. Familien sind oft völlig auf sich allein gestellt. 

Der zweite Vorstoss setzte sich für eine städtische Anlaufstelle ein, die Familien nach einer Autismus-Diagnose berät. Denn anders als bei einer körperlichen Krankheit, bei der dir der Arzt alles erklärt, bleibt man nach einer Autismus-Diagnose oft allein. Niemand sagt dir, was der nächste Schritt ist.

Dass das Parlament diese beiden Vorstösse überwiesen hat, war ein riesiger Erfolg. Umso mehr, weil es um Menschen geht, die politisch kaum Gehör finden, weil sie keine laute Wählerschaft hinter sich haben.

Welche hat Sie am meisten geärgert?

Ein besonders frustrierender Moment war direkt zu Beginn meiner Amtszeit im Juni 2022: das Uetlihof-Areal. Die Stadt hätte die Möglichkeit gehabt, eines der grössten verfügbaren Grundstücke zu erwerben. Ein unglaubliches Potenzial für städtischen Wohnraum. Doch die Mehrheit hat den Kauf abgelehnt.

Ich war erst seit einem Monat dabei, aber ich wusste sofort: Das ist eine verpasste Chance. Klar, es ging um viel Geld, aber langfristig wäre es eine extrem sinnvolle Investition gewesen. Dass die AL damals mit den Bürgerlichen gestimmt hat, hat das Ganze endgültig gekippt. Das hat mich richtig geärgert.

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Sophie Wagner

Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch

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