Gemeinderat will Imbissbuden beim Bellevue retten
Im Stadtparlament ist eine Debatte über Lokalkolorit entbrannt. Eine Mehrzahl will den urchigen Imbiss Riviera und das Bistro & Grill am See am Leben erhalten, obwohl die rechtliche Grundlage fehlt.
Wer mit Kohldampf über die Quaibrücke in Richtung Bellevue spaziert, hat zwei Optionen: Links liegt der Imbiss Riviera, rechts das Bistro & Grill am See. Doch nicht mehr lange: Die Tage der beiden Buden sind gezählt. Die Verträge mit der Stadt laufen Ende 2025 aus, Verlängerungen sind nicht vorgesehen – es fehlt die rechtliche Grundlage für eine Weiterführung.
Das wollen die Gemeinderäte Flurin Capaul (FDP) und Ivo Bieri (SP) nicht kampflos hinnehmen. Um die beiden Gastronomiebetriebe zu retten, haben sie gleich fünf parlamentarische Vorstösse eingereicht, über die der Gemeinderat am Mittwochabend entschieden hat.
«Es geht darum, wie viel Lokalkolorit die Stadt Zürich verträgt», sagte Capaul. Die Imbissbuden seien Teil der Zürcher Gastronomiekultur, auch wegen ihrer Geschichten. Etwa jener von Gaetano Prati.
Prati kam in den 1960er Jahren aus Sizilien in die Schweiz, arbeitete auf dem Bau, bis sein Rücken nicht mehr mitmachte, und eröffnete dann den Imbiss Riviera. Heute, mit 81 Jahren, steht er noch fast täglich zusammen mit seiner Familie hinter dem Tresen.
«Nehmen wir es doch mal etwas lockerer.»
Guy Krayenbühl (GLP)
Capaul betonte, die Stände könnten weiterbestehen, wenn der politische Wille da wäre. Seine Vorstösse sollen die rechtliche Grundlage schaffen – und fanden im Rat breite Unterstützung. GLP-Gemeinderat Guy Krayenbühl erinnerte daran, dass die Stadt schon WC-Häuschen und Marronistände normiert habe: «Nehmen wir es doch mal etwas lockerer».
Karin Stepinski (Die Mitte) erklärte: «Der Mitte/EVP-Fraktion ist eine Wurst nicht Wurst.» Bernhard im Oberdorf, letzte Woche noch bei der SVP und nun parteilos, wetterte: «Zürich verschwindet hinter dem Dickicht der Bürokratie!»
Skepsis kam einzig aus Teilen der Grünen und der AL. Brigitte Fürer (Grüne) sprach sich gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums direkt am See aus – allenfalls könne man andernorts Plätze finden, «zum Beispiel auf Parkplätzen».
«Die Forderungen der Vorstösse sind schlichtweg nicht umsetzbar.»
André Odermatt, Stadtrat (SP)
Bauvorsteher André Odermatt (SP) nannte das Anliegen zwar «sympathisch». Bewilligungsfähig seien die Stände aber nicht: Sie liegen in einer Freihaltezone, haben keinen Richtplaneintrag, erfüllen weder Umwelt- noch Personalvorgaben. «Die Forderungen der Motion und der vier Postulate sind schlichtweg nicht umsetzbar.» Dennoch überwiesen alle Parteien bis einzelne Mitglieder der Grünen und AL die fünf Vorstösse. Was Odermatt nun mit diesen macht, ist offen.
Wie geht es weiter mit Provenienzforschung?
Die Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich soll erneut umfassend untersucht werden – darin waren sich die meisten Mitglieder des Gemeinderats am Mittwoch einig. Ziel ist zu klären, woher die Werke stammen und ob sie jüdischen Sammler:innen während der NS-Zeit verfolgungsbedingt abgekauft wurden.
Uneinigkeit herrschte jedoch über die Rahmenbedingungen dieser Provenienzforschung. Eine Motion von Markus Knauss (Grüne) und Moritz Bögli (AL) verlangte, dass die Untersuchung zwingend unabhängig von der Zürcher Kunstgesellschaft und der Stiftung Sammlung E. G. Bührle erfolgen müsse.
«Wir wollen unabhängige Forschung und die Verantwortung bei Externen, nicht beim Kunsthaus.»
Markus Knauss (Grüne)
Stattdessen solle ein externes Forschungsteam unter der Leitung des Historikers Raphael Gross beauftragt werden, der bereits auf Defizite in der bisherigen Aufarbeitung hingewiesen hat. «Wir wollen unabhängige Forschung und die Verantwortung bei Externen, nicht beim Kunsthaus», sagte Knauss. Für diesen Vorschlag fanden Knauss und Bögli aber keine Mehrheit – weder links noch rechts.
«Auch wir wollen unabhängige Forschung», sagte Maya Kägi Götz (SP), warnte aber vor Zeitverlust durch ein neues Ausschreibungsverfahren. Stefan Urech (SVP) kritisierte: «Der Gemeinderat erteilt immer mehr Forschungsaufträge.» Da bestehe die Gefahr, dass das erwünschte Ergebnis schon feststehe.
Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) stellte sich hinter den Weg, den das Kunsthaus bereits eingeschlagen hat: Die Zürcher Kunstgesellschaft plant eine fünfjährige Untersuchung durch externe Expert:innen und beantragt dafür drei Millionen Franken städtische Unterstützung. Die Unabhängigkeit sei unter anderem durch ein Peer-Review-Verfahren und eine Zusammenarbeit mit der Universität Zürich gewährleistet, so Mauch.
Über den beantragten Kredit wird der Gemeinderat in den kommenden Wochen entscheiden.
Weitere Themen aus dem Rat
Tempo 30 auf dem Heimplatz: Der Platz beim Kunsthaus soll aufgewertet werden – mit 40 neuen Bäumen, entsiegelten Flächen, neuen Bänken sowie besseren Wegen für Velos und Fussgänger:innen. Für die weitere Planung hat der Gemeinderat am Mittwoch 3,2 Millionen Franken bewilligt. Zudem forderte die linke Ratsmehrheit, dass der Stadtrat die Einführung von Tempo 30 auf dem Platz prüft.
«Die Stadt spielt einerseits Weltstadt mit einem renommierten Museum und hat andererseits davor eine Rennbahn mit Tempo 50», sagte Markus Knauss (Grüne), das passe nicht zusammen. Ausserdem soll der Stadtrat prüfen, ob die Tramhaltestelle an der Rämistrasse für eine Verbesserung des Verkehrsflusses nach Osten verschoben werden kann.
9 Millionen für Klimaprojekt im Ausland: Die Stadt Zürich will in grösserem Stil Geld für Klimaschutzprojekte im Ausland bereitstellen. Dafür beantragte der Stadtrat dem Gemeinderat am Mittwoch einen Kredit von 6 Millionen Franken für ein fünfjähriges Pilotprojekt namens «Internationale Klimafinanzierung Zürich». Mit dem Geld sollen ab 2026 ein oder wenige grosse Projekte in Ländern unterstützt werden, die besonders vom Klimawandel betroffen sind. Die linke Ratsmehrheit erhöhte den Beitrag für den Pilot gar auf 9 Millionen Franken.
19 Millionen mehr für den Umbau der Rathausbrücke: «Es ist eine unangenehme Situation, weil die von der Stimmbevölkerung bewilligten 58 Millionen Franken nicht reichen», sagte Markus Knauss (Grüne). Die Sanierung der Brücke und zusätzliche Hochwasserschutzmassnahmen kosten nun 77 statt 58 Millionen Franken. Die Mehrkosten stiessen quer durch die Parteien auf Kritik, doch wegen der «Alternativlosigkeit des Projekts» stimmten am Ende alle Fraktionen ausser der SVP zu.
Amtliche Publikationen nicht nur über das Tagblatt: Bisher erscheinen die amtlichen Mitteilungen der Stadt Zürich im Tagblatt der Stadt Zürich, das Christoph Blocher gehört. Eine Motion von SP- und GLP-Politiker verlangt, dass die Inhalte zusätzlich digital über weitere lokale Medien verbreitet werden können. So sollen mehr Stadtzürcher:innen einfach und niederschwellig erreicht werden. Der Gemeinderat überwies die Motion mit klarer Mehrheit an den Stadtrat.
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Studium der Politikwissenschaft und Philosophie. Erste journalistische Erfahrungen beim Branchenportal Klein Report und der Zürcher Studierendenzeitung (ZS), zuletzt als Co-Redaktionsleiter. Seit 2023 medienpolitisch engagiert im Verband Medien mit Zukunft. 2024 Einstieg bei Tsüri.ch als Autor des Züri Briefings und Berichterstatter zur Lokalpolitik, ab Juni 2025 Redaktor in Vollzeit. Im Frühjahr 2025 Praktikum im Inlandsressort der tageszeitung taz in Berlin.