Gemeinderats-Briefing #88: Kleiner Stern, grosse Wirkung

Die Debatte um die Genderstern-Initiative führte im Gemeinderat zu viel Kopfschütteln. Schliesslich lehnte die linke Mehrheit die Initiative der SVP ab. Nun muss im Herbst die Stimmbevölkerung entscheiden.

Kaum zurück aus den Ferien, durften sich die Politiker:innen an der ersten Sitzung nach der Sommerpause mit einem Geschäft befassen, das die Gemüter erhitzt.    Über eine Stunde widmete sich der Rat eingehend dem Genderstern. Anlass dazu war die «Tschüss Genderstern!»-Initiative der SVP, die eine Änderung in der Gemeindeordnung verlangt: Die städtischen Behörden sollen eine klare, verständliche und lesbare Sprache verwenden und auf die Verwendung von Sonderzeichen innerhalb einzelner Wörter verzichten (Tsüri.ch berichtete bereits).    Eigentlich ist es keine neue Sache: Schon seit 1994 besitzt die Stadt Zürich ein Reglement über die sprachliche Gleichstellung. Doch die überarbeitete Version im Jahr 2022 hat es der SVP angetan. Damals wurde das Binnen-I in Begriffen wie «MitarbeiterInnen» gestrichen und durch die Verwendung von «Mitarbeitende» oder «Mitarbeiter*innen» ersetzt. Dies störte die damalige Gemeinderätin und heutige Kantonsrätin Susanne Brunner (SVP), die am Mittwochabend auf der Besuchertribüne das Geschehen verfolgte. Noch 2020 wehrte sie sich erfolgreich beim Bezirksrat gegen die Ablehnung eines Antrags von ihr im Gemeinderat, weil dieser nicht geschlechtergerecht formuliert gewesen war. Daraufhin lancierte sie die Initiative. 

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Illustration: Zana Selimi

In der gestrigen Ratsdebatte war es Stefan Urech (SVP), der als einer der ersten das Wort ergriff und seinen Job als Deutschlehrer in den Vordergrund stellte: «Es geht darum, dass es kein korrektes Deutsch ist», sagte er und verwies auf Begriffe wie «Bäuer*innen» und «Ärzt*innen». Und er fragte provokant: «Was ist ein Bäuer? Was ein Ärzt?». Die SVP ist sich sicher: Die grammatikalische Schreibweise macht keinen Sinn. Das zweite bürgerliche Argument, das im Ratsaal am Bullingerplatz mehrmals wiederholt wurde, war jenes der Diskriminierung der Mehrheit. Man spreche im Alltag nicht so. Es handle sich beim Reglement der Behörden um ein «wokes, spaltende Sprachdiktat», so Urech.   Besonders viel Kopfschütteln auf der linken Seite löste der dritte Punkt der SVP aus: Sonderzeichen würden Menschen diskriminieren, die Leseschwächen haben oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Anstatt die Doppelmoral zu erklären, gab Tamara Bosshardt (SP) der SVP ironischerweise recht. «Eine verständliche, inklusive und barrierefreie Kommunikation ist elementar, um die politische und gesellschaftliche Partizipation von allen Menschen zu ermöglichen.» Sie zog aber in Zweifel, dass es der SVP tatsächlich um eine klare und verständliche Sprache geht. Vielmehr sei es die Ausgrenzung von Personen, die in der Gesellschaft schon ständig auf Barrieren stossen würden, die mit der SVP-Initiative vorangetrieben werde. Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) doppelte nach: «Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass alle angesprochen werden.» Bosshardt kündigte am Mittwochabend noch ein Postulat an, das sie mit  Schmaltz und Leah Heuri (SP) auf den Weg gebracht hat und das Anfang September im Rat besprochen werden soll. Darin enthalten sind Vorschläge zur Verbesserung der Barrierefreiheit und Verständlichkeit von Behördentexten. 

«Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass alle angesprochen werden.»

Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne)

SP, Grüne, AL und GLP positionierten sich am Mittwochabend geschlossen gegen die Initiative. SVP, FDP und Mitte/EVP befürworten dagegen das Volksbegehren.    Vielleicht am eindringlichsten war das Votum von David Garcia Nuñez, Co-Fraktionspräsident der AL. Allein schon seine Erscheinung fiel auf: Er trat in einem hellen Kurzarmhemd vor die Politiker:innen, das mit schwarzen Sternen bestickt war. «Für die SVP und ihre rechtsradikalen Satelliten macht die Initiative durchaus Sinn», sagte er. Es werde über den Genderstern gesprochen, gemeint sei aber etwas anderes. Zudem liess Nuñez die Gelegenheit nicht aus, gegen die Positionierung der FDP zu schiessen. «Die antifaschistische Mauer mag viele Farben haben, blau ist sie in diesem Land nicht.» Daraufhin wurde er von FDP-Präsident Përparim Avdili als «grenzwertig» getadelt.   Mit 68 zu 44 Stimmen lehnte der Gemeinderat die SVP-Initiative schliesslich ab. Das letzte Wort wird hier jedoch die städtische Stimmbevölkerung haben. Die Volksabstimmung dürfte im kommenden November stattfinden.

Weitere Themen der Woche:

  • Es war vergleichsweise kurz Thema im Rat, doch der Entscheid hat Gewicht. Am Mittwochabend haben sich die linken Parteien und die Grünliberalen mit 69 zu 40 Stimmen bei der Teilrevision der städtischen Kitaverordnung durchgesetzt. Das heisst zum Beispiel, dass in Zukunft private Kitas in der Stadt finanziell stärker unterstützt werden, damit diese ihren Mitarbeitenden höhere Löhne zahlen können. Bei den Löhnen zwischen den städtischen Kinderbetreuenden und den Privaten gibt es heute noch einen Lohn-Gap von monatlich 1120 Franken. Diese Lücke soll nun geschlossen werden, und zwar in Form eines Gesamtarbeitsvertrags. Ausserdem soll den Kitas mehr Geld für Weiterbildungen ihrer Mitarbeiter:innen zur Verfügung stehen.   
  • Die FDP hat nun ihre angekündigte Motion eingereicht, die fordert, dass die Stadt das Kleingewerbe entschädigt, das von Baustellen auf öffentlichem Grund betroffen ist. Ein Beispiel dafür ist die Traditionsbäckerei Oski Kuhn, über die Tsüri.ch geschrieben hat. Berechtigt sollen alle KMUs sein, die unter 50 Mitarbeitende haben und länger als drei Monate eine Baustelle vor der Türe hatten. Die Höhe der Entschädigung soll dann 50 Prozent der Umsatzeinbusse während der entsprechenden Zeit betragen.   
  • In Zürich könnte bald jeder Haushalt und kleine Gewerbebetriebe eine einmalige Zahlung von 340 Franken erhalten, wenn ein Vorschlag der Alternativen Liste (AL) umgesetzt wird. Die AL fordert in einer parlamentarischen Initiative, die am Mittwoch eingereicht wurde, dass 80 Millionen Franken aus den Gewinnen des städtischen Elektrizitätswerks (EWZ) an die Stadtbevölkerung verteilt werden. Das EWZ erzielte 2023 erhebliche Überschüsse, die laut AL teils als «Volksdividende» zurückfliessen sollten. Besonders einkommensschwache Haushalte würden davon profitieren.   
  • Die Grünen wollen im Rat eine neue Debatte über die Einführung einer städtischen Krankenkasse lancieren. Am Mittwoch gaben die Grünen-Politiker Matthias Probst und Yves Henz ein entsprechendes Postulat ab, das den Stadtrat dazu auffordert zu prüfen, inwiefern eine solche Krankenkasse neben dem privaten Angebot möglich wäre. Aktuell würde der Wettbewerb der Krankenkassen auf Kosten der Versicherten gehen sowie falsche Anreize setzen, heisst es im Schreiben. Mit einem staatlichen Angebot wollen sie dies beheben. 

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