Die Zürcher Wohnkrise für Dummys
Hohe Mieten, kaum freie Wohnungen: Die Wohnkrise ist die grösste Sorge der Zürcher Bevölkerung. Sechs zentrale Gründe zeigen, warum die Lage so angespannt ist – einfach erklärt.
1. Zürcher Boden als Parkplatz für Geld
Im Jahr 2008 krachte es an den Finanzmärkten. Aktien eigneten sich nicht mehr, um Geld zu vermehren, also suchten Investor:innen, Fonds und Versicherungen nach Alternativen. Wer in einer boomenden Stadt Boden kauft, hat einen sicheren Parkplatz für sein Geld gefunden.
Der Investitionsdruck grosser Firmen (und einigen reichen Privatpersonen) führte seit der Finanzkrise 2008 zu einem massiven Anstieg der Bodenpreise in Zürich. Und wo die Bodenpreise hoch sind, sind es auch die Mieten.
Massiv verstärkt wurde der Druck auf den Schweizer Boden, weil die «Lex Koller» aufgeweicht wurde. Dieses Gesetz beschränkt den Verkauf von Schweizer Land an Personen und Firmen, die ihren Sitz nicht in der Schweiz haben.
Diese Grafik zeigt: Bis 2008 waren die Bodenpreise vergleichsweise stabil, danach änderte sich die Richtung steil nach oben.
Die Bodenpreise haben einen grossen Einfluss auf die Höhe der Mieten. Als Faustregel gilt: Rund 70 Prozent der Miete wird vom Bodenpreis verursacht. Oder im Umkehrschluss: Die Baukosten sind für die Höhe der Miete viel weniger entscheidend, als der Preis, der für das Land bezahlt wurde.
2. Zürich wächst schneller als das Wohnungsangebot
Die Lebensqualität in Zürich ist top, die Menschen leben gerne hier. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Gute Ausbildungsmöglichkeiten, Arbeitsplätze, hochwertige Infrastruktur, Gesundheitsversorgung, ein vielfältiges Kultur- und Gastronomie-Angebot.
In Zürich wohnen aktuell fast 450’000 Personen, so viele wie noch nie. Und die Prognosen zeigen weiter nach oben. Selbst im zurückhaltendsten Szenario der Stadt Zürich wohnen im Jahr 2045 490’000 Personen in Zürich, im obersten Szenario sind es fast 556’000.
Auf der anderen Seite steht die langsame Bautätigkeit: Im Jahr 2024 wurden gerade mal 1790 Wohnungen gebaut. Dass wenig gebaut wird, liegt beispielsweise an steigenden Zinsen und Baukosten oder daran, dass die Stadt fast vollständig bebaut ist (es wird zwar gebaut, aber dafür müssen meistens Häuser abgerissen werden). Dieses Bautempo reicht nicht einmal aus, um das langsamste Bevölkerungswachstums-Szenario abzudecken.
Das Fazit: In Zürich gibt es eine viel grössere Nachfrage nach Wohnraum, als das Angebot decken kann. Fehlendes Bauland und langsame Bewilligungsprozesse führen dazu, dass weiterhin kaum Wohnungen leer stehen. Im Sommer 2024 lag die Leerwohnungsziffer bei 0,07 Prozent.
3. Zu wenig gemeinnützige Wohnungen
Würden plötzlich viel mehr Wohnungen gebaut, wäre die Wohnkrise dadurch aber nicht automatisch gelöst, denn ebenso wichtig ist, dass ein grosser Anteil dieser Wohnungen für die Mehrheit der Bevölkerung bezahlbar sein muss. Die wichtige Frage ist also: Wer baut diese Wohnungen, und für wen?
Auf dem Wohnungsmarkt wird üblicherweise zwischen drei Anbieter:innen unterschieden:
1. Institutionelle Anleger (Banken, Versicherungen, Pensionskassen)
2. Privatpersonen
3. Gemeinnützige (Stadt, Stiftungen, Genossenschaften)
Die gemeinnützigen Vermieter:innen erwirtschaften keinen Gewinn, sondern bieten die Wohnungen zur Kostenmiete an. Anders gesagt: Die Miete setzt sich aus den Kosten für Boden, Bau und Unterhalt zusammen.
Deshalb sind die Mieten für gemeinnützige Wohnungen rund ein Viertel günstiger als für kommerziell vermietete Wohnungen. Die Zürcher Stimmbevölkerung hat im Jahr 2011 mit überwältigender Mehrheit dafür gestimmt, dass bis im Jahr 2050 jede dritte Mietwohnung gemeinnützig vermietet werden muss (sogenanntes Drittelsziel).
Seither versuchen Stadt und Genossenschaften aktiv, mehr Boden zu kaufen und Wohnungen zu bauen. Doch trotz grosser Bemühungen stagniert der Anteil gemeinnütziger Wohnungen bei rund einem Viertel, hat seit 2011 sogar leicht abgenommen. Es ist zwar zusätzlicher gemeinnütziger Wohnraum entstanden, aber in der gleichen Zeit haben die Institutionellen mehr und schneller gebaut. Dass das Drittelsziel bis 2050 erreicht werden kann, ist unwahrscheinlich.
4. Keine Renditekontrolle
Eigentlich gibt es in der Schweiz keinen freien Markt beim Vermieten von Wohnungen, sondern eine Kostenmiete plus Renditedeckel: Neben den Investitionen und anfallenden Kosten (Boden, Bauen, Renovieren, Verwalten) darf ein Zuschlag von maximal 2 Prozent über dem Referenzzinssatz verrechnet werden. Weil dieser Referenzzins aktuell bei 1,5 Prozent liegt, ist eine totale Rendite von 3,5 Prozent erlaubt.
Das Problem ist, dass niemand diesen Renditedeckel überprüft und es als Mieter:in fast unmöglich ist, das eigene Recht einzuklagen. Denn: Woher kann ein:e Mieter:in wissen, wie viel die Eigentümer:innen für den Landkauf, den Bau der Liegenschaft und deren Unterhalt bezahlen?
5. Politischer Stillstand
Die Stadtzürcher Bevölkerung will mehr gemeinnützigen Wohnungsbau. Diese Haltung bestätigen die Zürcher:innen regelmässig an der Urne, indem sie alle entsprechenden Abstimmungsvorlagen mit deutlicher Mehrheit annehmen – beispielsweise das Drittelsziel oder den Wohnraumfonds.
Das Problem ist aber, dass die Stadt vieles nicht selber entscheiden darf und oft auf das Wohlwollen von Kanton oder Bund angewiesen ist. Um die Kompetenzen der Gemeinden auszuweiten, sind aktuell zwei Volksinitiativen im Kanton Zürich hängig (Vorkaufsrecht und Wohnschutz).
«In den neu renovierten Wohnungen leben Personen, mit einem 3623 Franken höheren Haushaltseinkommen.»
Die Stadt Zürich ist links dominiert, bei Kanton und Bund haben die Bürgerlichen das Sagen. Diese unterschiedlichen politischen Mehrheiten führen dazu, dass politische Lösungen oft blockiert werden können.
6. Vertreibung nach der Sanierung
Spätestens seit den Sugus-Häusern weiss die ganze Stadt, was sogenannte Leerkündigungen sind: Wenn ganze Liegenschaften oder Siedlungen abgerissen oder total saniert werden, wird dafür allen Mieter:innen gekündigt. Danach schiessen die Mieten in die Höhe.
Eine Studie der ETH Zürich zeigt, dass die vorherigen Mieter:innen sich die neuen Wohnungen meist nicht mehr leisten können: «In den neu renovierten Wohnungen leben Personen, die über ein durchschnittlich 3623 Franken höheres monatliches Haushaltseinkommen verfügen, als die Personen, die früher darin gelebt haben.» Dies führt dazu, dass nach einer Renovation nur 6,1 Prozent der Mieter:innen weiterhin im gleichen Haus wohnen.
Gemäss der Studie hat dies zur Folge, dass Anwohner:innen ihr Quartier verlassen müssen und mehrheitlich in die Kreise 11 und 12 «oder in die Umgebung der Stadt, zum Beispiel nach Regensdorf, Bülach, Schlieren, Dietikon oder Adliswil» ziehen müssen – klassische Gentrifizierung also.
Nun könnte man einwenden, dass bei Sanierungen oft verdichtet wird und danach mehr Personen auf der gleichen Fläche wohnen. Doch wenn Personen aus ihrem Quartier wegziehen müssen, hat dies einerseits soziale Folgen, andererseits trifft diese Art der Verdrängung oft Menschen mit geringem Einkommen, welche in der Grundversorgung der Stadt arbeiten (Pflege, Reinigung usw.). Da sich deren Arbeitsplätze aber weiterhin in der Stadt befinden, nimmt die Mobilität zu, was wiederum ökologische Folgen hat.
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.