Leerkündigungen im Kreis 5: Zürichs «Little Sri Lanka» unter Druck
Das Haus an der Josefstrasse 137 im Kreis 5 wird kernsaniert. Damit verlieren weitere tamilische Läden im Quartier ihren zentralen Standort. Ein unersetzbarer Verlust für die Community in Zürich.
Es ist laut im «Maneez». Im Take-Away an der Josefstrasse vermischen sich das metallene Klackern aus der Küche mit Musik einer tamilischen Radiosendung. Es riecht intensiv nach Curryblättern, angebratenem Knoblauch und Chili. Seit etwa 15 Jahren kocht das Maneez im Kreis 5 authentische Streetfood-Gericht aus Sri Lanka. Es gibt Currys, Biryani und die grosszügige Portion Kottu Roti reicht für zwei.
Damit könnte im Herbst 2026 Schluss sein. Zusammen mit weiteren knapp 40 Mietparteien erhielten die Betreiber:innen im März die Kündigung. Aufgrund umfassender Sanierung müssen alle raus.
Die Zahl der Wohnungen soll gleich bleiben, doch Gebäudehülle, Haustechnik und Innenausbau werden modernisiert, schreibt die Immobilienbesitzerin Allreal auf Anfrage. Geplant seien bessere Dämmung, Fernwärme, Solaranlage, neue Bäder und Balkone sowie ein barrierefreier Zugang.
Wie es für das Maneez weitergeht, sei unklar, ruft der Koch aus der Küche. Einen neuen Standort gibt es bislang nicht.
Little Sri Lanka in Zürich
Auch in der angrenzenden Boutique im selben Gebäude herrscht ein reges Treiben. Ayurvedische Kosmetik, vergoldeter Messingschmuck und das beruhigende Plätschern eines Zimmerspringbrunnens in Form einer hinduistischen Gottheit.
Das Haus an der Josefstrasse aus dem Jahr 1984 ist fünfgeschossig und trägt die Modefarbe der frühen 1980er-Jahre: Braun. Es ist unscheinbar, doch es erzählt viel über städtische Umbrüche, Migration und Urbanität in einer Phase, die Zürich bis heute prägt.
Die Josefstrasse 137 sei ein typisches Verdichtungsprojekt der 70er- und 80er-Jahren in Zürich, erzählt Christian Schmid, Stadtforscher an der ETH Zürich.
Dabei würden Erdgeschosse konsequent für Läden, Lokale oder kleine Gewerbebetriebe genutzt, während in den oberen Etagen gewohnt werde. «Das schafft eine enorme Dichte an Erdgeschossflächen, die sich als Restaurant, Laden, Atelier oder Dienstleistung bespielen lassen», so Schmid.
Als das Haus gebaut wurde, lebten laut Schmid im Kreis 5 vor allem Arbeiter:innen, Migrant:innen, Studierende. Zeitgleich kamen 1982 die ersten tamilischen Flüchtlinge in die Schweiz.
Die günstigen Gewerbeflächen im Industriequartier ermöglichten es den Neuankommenden, mit wenig Startkapital einen kleinen Laden oder ein Restaurant zu eröffnen. Die hohe Dichte an Tamil:innen in der Umgebung sorgte für eine stabile Nachfrage, aber auch für soziale Netzwerke, auf die man sich stützen konnte. Viele Migrant:innen suchten nach vertrauten Produkten und Speisen aus ihrer Herkunftsregion. Currypulver, Reiskocher, religiöse Figuren.
«Das ist praktisch unersetzbar»
Doch diese zentralen Strukturen stehen vermehrt unter Druck. Am Röntgenplatz gab es zwei prominente tamilische Lebensmittelläden.
An den Wochenenden stauen sich um den Platz regelmässig Autos mit Kennzeichen aus Schwyz, Aargau oder Zug. Die tamilische Community fährt aus der ganzen Schweiz in den Kreis 5, um ihren Wocheneinkauf zu erledigen. Seit Ende Mai ist einer der beiden Läden weg.
Stattdessen gibt es dort mit dem «Coucou» ein modernes Café für die junge, urbane Quartierbevölkerung. Kaffee und Scones statt Pappadums und Makrelen.
Dass tamilische Läden zunehmend aus dem Kreis 5 verschwinden, bestätigt Stadtforscher Christian Schmid: «Das ist praktisch unersetzbar. Diese Läden sind soziale Knotenpunkte, Orte des Austauschs, der Information und der Nachbarschaft. Wird so etwas an zentraler Lage zerstört, lässt es sich nicht einfach an einem anderen Ort wieder aufbauen.»
Denn an peripheren Lagen wie Altstetten fehle es an Laufkundschaft, am sozialen Netz, an Sichtbarkeit. Viele kleine Läden nebeneinander schaffen Schmid zufolge eine kritische Masse: Zehn Spezialitätengeschäfte funktionieren besser als eines allein.
Daher hofft auch das Maneez, nach dem Umbau wieder einziehen zu können. Doch angesichts der steigenden Mieten rund um die Langstrasse könnte das schwierig werden. Dann müssten die kleinen Läden doppelt so viele Kund:innen anziehen, während ihr Handlungsspielraum begrenzt bleibt.
Die Immobilienfirma Allreal meldet sich mit dem üblichen Mantra: «Die Mieten werden sich im Rahmen der marktüblichen Mietpreise des Quartiers bewegen.»
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!
Yann hat an der Universität Zürich einen Master in Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie abgeschlossen. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er bei 20Minuten, Tsüri.ch und der SRF Rundschau. Beim Think & Do Tank Dezentrum war Yann als wissenschaftlicher Mitarbeiter und in der Kommunikationsleitung tätig. Seit 2025 ist er Teil der Tsüri-Redaktion. Nebenher ist er als Freelancer im Dynamo Zürich und bei Dachsbau Sounds unterwegs.