Mietstreit im Kreis 7

Leerkündigung aus Rache? Wie ein FDP-Politiker seine Mieter:innen loswerden will

In einem Mehrfamilienhaus am Zürichberg kommt es zum Streit zwischen Mieter:innen und ihrem Vermieter – einem ehemaligen FDP-Kantonsrat. Nach einer erfolgreichen Mietzins-Anfechtung folgen acht Kündigungen.

Haus am Zürichberg im Kreis 7
Überhöhter Anfangsmietzins, geringer Unterhalt: Das Vorgehen eines Vermieters am Zürichberg sorgt für scharfe Kritik. (Bild: Kai Vogt)

Im Quartier Hottingen am Zürichberg steht ein Mehrfamilienhaus, vor dessen Eingang zu Halloween mehrere geschnitzte Kürbisse leuchten. Ihr traditioneller Zweck: Mit ihren Fratzen sollen sie böse Geister vertreiben. Doch für die Mieter:innen des Hauses kommt dieser Schutz zu spät.

Vor einem halben Jahr haben acht der neun Parteien die Kündigung erhalten. Bis im September 2026 müssen sie ausziehen. Der Eigentümer plant, die Liegenschaft umfassend zu sanieren und dort, wo heute der Gemeinschaftsgarten liegt, ein zweites Gebäude zu errichten. Dabei handelt es sich um keinen Unbekannten: Antoine Berger sass bis 2018 insgesamt acht Jahre für die Zürcher FDP im Kantonsrat und ist heute Mitglied der Baukommission in Kilchberg.

Nur einer Mietpartei durfte Berger nicht kündigen – der Familie Hofmann, die hier nicht mit ihrem echten Namen auftreten möchte. Sie hat sich gegen die Maschen ihres Vermieters gewehrt.

Miete um 41 Prozent erhöht

Die Hofmanns sind in der Vergangenheit berufsbedingt mehrfach umgezogen und haben längere Zeit im Ausland gelebt. Bei ihrer Rückkehr nach Zürich suchten sie Ende 2023 dringend nach einer dauerhaften Wohnung, ruhig gelegen und nahe einer Schule für ihre Kinder. Fündig wurde die Familie bei «Berger Immobilien AG», wo sie für eine viereinhalb Zimmer grosse Wohnung in Hottingen einen unbefristeten Mietvertrag zu einem monatlichen Mietzins von 4950 Franken unterzeichnete.

Doch das Formular zur Mitteilung des Anfangsmietzinses, in das Tsüri.ch Einsicht hatte, offenbarte, dass die Vormieter:innen für dieselbe Wohnung lediglich 3500 Franken pro Monat bezahlt hatten. Berger hatte die Miete also um 41 Prozent höher angesetzt.

Zwar wurden die Küche sowie Teile des Badezimmers vor ihrem Einzug leicht saniert. Eine nachvollziehbare Begründung für den Anstieg des Mietzinses um fast 1500 Franken konnte der Vermieter aber auf mehrfache Anfrage nicht liefern. Die Familie Hofmann zog deshalb vor die Schlichtungsbehörde und focht den Anfangsmietzins an.

Drei Jahre Kündigungsschutz

Vor dem Termin unterbreitete Berger Vergleichsvorschläge: Zunächst bot er eine Reduktion des Mietzinses um 200 Franken an, später um 650 Franken. «Doch wir hielten daran fest, die Schlichtungsbehörde für eine Beurteilung anzufragen», sagt Samuel Hofmann.

Gleichzeitig verschärfte sich der Ton. Plötzlich wurden Nebensächlichkeiten im Haus beanstandet, der Kinderwagen im Gang, eine mit Erlaubnis der Verwaltung temporär abgestellte Waschmaschine im Waschraum. Berger soll sich über das rechtliche Vorgehen der Familie verärgert gezeigt und mündlich angekündigt haben, sie wieder loswerden zu wollen.

Antoine Berger bestreitet dies. Sein Anwalt schreibt, der Kinderwagen habe den Zugang zu einer Kellertüre blockiert, das Abstellen der Waschmaschine sei nicht erlaubt gewesen. Druck auf die Familie, wieder auszuziehen, habe es nie gegeben.

Vor der Schlichtungsbehörde erhielt die Familie Hofmann recht: Die Mietzinserhöhung fiel deutlich zu hoch aus. Im Urteilsvorschlag heisst es, der Mietzins sei rückwirkend ab Mietbeginn auf 3950 Franken festzusetzen – also 1000 Franken tiefer als ursprünglich von Berger verlangt. Den Mieter:innen wurde zudem ein Kündigungsschutz von drei Jahren zugesprochen. Sanktionen gegen den Vermieter, etwa in Form einer Busse, sieht das Gesetz nicht vor.

Bergers Anwalt kommentiert dazu: Die Herabsetzung durch die Schlichtungsbehörde sei lediglich auf einen «formellen Mangel» im Mitteilungsformular zurückzuführen. Die Wohnung sei zudem nicht nur «leicht», sondern «umfassend» saniert worden. Der Entscheid der Schlichtungsbehörde sei «falsch». Aus prozessualen Gründen habe man jedoch auf einen Weiterzug des Rechtsfalls verzichtet. 

Anfechtung des Anfangsmietzinses sind selten

Walter Angst, Mediensprecher des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich, kennt die Mechanismen des städtischen Wohnungsmarkts im Detail. Das Vorgehen der Familie Hofmann bezeichnet er als Ausnahme. Missbräuchlich hohe Anfangsmieten würden in Zürich nur selten angefochten. «Das Haupthindernis besteht darin, dass der Ausgang solcher Verfahren schwer abzuschätzen ist», sagt er.

«Die Vermieter:innen verfügen immer über mehr Daten als die Mieter:innen. Das ist eine strukturelle Benachteiligung.»

Walter Angst, Mediensprecher des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich

Die Beweislast liege bei den Vermieter:innen, die in der Regel über deutlich mehr Daten verfügten als die Mieterschaft. «Das ist eine strukturelle Benachteiligung der Mieter:innen», sagt Angst. Er beobachte aber auch eine grundsätzliche Hemmung, eine Anfechtung einzureichen – obwohl es ein explizites Recht gibt, hohe Aufschläge bei Weitervermietung anzufechten.

Dieses Recht gilt jedoch nur während der ersten 30 Tage nach der Wohnungsübernahme. Hinzu kommen weitere Hürden: Eine Anfechtung kann das Verhältnis zu den Vermieter:innen strapazieren und für die Mietenden sowohl psychisch als auch zeitlich eine erhebliche Belastung darstellen.

Der Familie Hofmann ist die Anfechtung mithilfe eines Anwalts gelungen. Doch blieb es nicht beim einen Verfahren.

Auch Garagenbox gekündigt

Vier Monate nach Abschluss des Prozesses erhielten die übrigen acht Parteien im Haus die Kündigung, insgesamt 19 Personen. Begründet wurde sie offiziell mit einer geplanten Kernsanierung. Im Erdgeschoss sollen neue Wohnungen entstehen, im Innenhof ein zweites Gebäude.

Laut Informationen von Tsüri.ch deutete Berger gegenüber Mieter:innen an, dass die Anfechtung der Familie Hofmann der Auslöser für die Kündigungen gewesen sei. Zudem soll er Hofmann gedroht haben, ihm die Leerkündigung in die Schuhe zu schieben, sollte die Familie im Rechtsstreit nicht nachgeben. «Eine Mietpartei hat tatsächlich eine Bemerkung gemacht, wir hätten Unruhe ins Haus gebracht», sagt Hofmann. «Dabei hatten wir ein gutes Verhältnis mit allen Nachbar:innen.»

Antoine Berger bestreitet den Vorwurf. Die Projektarbeiten der Sanierung seien deutlich vor Einzug der Familie Hofmann gestartet, heisst es im Schreiben des Anwalts. Die Leerkündigung sei deshalb schon länger in Planung gewesen.

Parallel zur Leerkündigung wurde der Familie auch die Garagenbox gekündigt, für den sie einen separaten Vertrag hatte. Erneut zog sie vor die Schlichtungsbehörde – und erhielt abermals recht. In einem Vergleich willigte Berger ein, der Familie einen gleichwertigen Garagenplatz zum selben Preis unbefristet anzubieten. 

Weitere Mieter:innen wehren sich

Auch andere Mietparteien im Haus haben sich dazu entschieden, sich zu wehren, beispielsweise Selina Peter, die eigentlich anders heisst. Sie hat ebenfalls ihre Kündigung angefochten. «Ich wohne seit fast zwei Jahrzehnten hier», sagt sie. «Und nun will man mich einfach loswerden.» Mithilfe eines Anwalts strebt sie eine Verlängerung der Mietdauer an, um mehr Zeit für die Wohnungssuche zu gewinnen. Das Verhalten des Vermieters empfindet sie als «überaus dreist».

Auch sonst verliert Peter kein gutes Wort über die Immobilienfirma und ihren Chef: Es sei stets nur zögerlich in den Unterhalt des Hauses investiert worden, Arbeiten seien häufig erst nach wiederholtem Nachfragen erfolgt. Ähnliche Erfahrungen machten zwei weitere Mietparteien, die jahrelang im selben Haus wohnten. Genannt werden etwa ein wochenlang nicht ersetzter defekter Kühlschrank oder Schimmelbefall im Kinderzimmer. 

Auch diese Vorwürfe werden von Bergers Anwalt zurückgewiesen. Er schreibt: «Es liegen keine entsprechenden Reklamationen der Mieter:innen vor, die nicht umgesetzt wurden.» Im Fall des Schimmelbefalls sei «ungenügendes Lüftungsverhalten der Mieterschaft» ausschlaggebend gewesen, beim Kühlschrank habe es «Lieferverzögerungen» gegeben.

FDP-Plakat im Garten

Berger soll zudem im Garten ein FDP-Wahlplakat aufgestellt und die Mieterschaft schriftlich dazu aufgefordert haben, seine Partei zu unterstützen. Eine Partei berichtet ausserdem von abfälligen Bemerkungen des Eigentümers gegenüber Bewohner:innen, wobei Bergers Anwalt auch diesen Vorwurf zurückweist.

Trotz des belasteten Verhältnisses zum Vermieter wollen Samuel Hofmann und seine Familie in der Liegenschaft bleiben. Sie hätten die Absicht, die Kinder hier durch die obligatorische Schulzeit zu bringen. «Die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre hier zu bleiben, wäre ideal», sagt Hofmann.

Offen bleibt aber, zu welchem Preis. Die Umbauarbeiten in der Liegenschaft sollen im Herbst 2026 beginnen, der Kündigungsschutz gilt bis Ende 2027. Danach werde man weitersehen. «Seine Rechte wahrzunehmen ist immer mit einem Aufwand verbunden, den viele Mieter:innen nicht leisten können oder wollen», sagt Hofmann. Aufgeben kommt für die Familie jedoch nicht infrage.

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