Christian Häberli: «Die AL hat mich verstanden»
Christian Häberli ist über die Überbauung der Thurgauerstrasse in Seebach zurück in die Politik gekommen. Früher war der AL-Gemeinderat bei den Grünen aktiv.
Christian Häberli ist mit 18 Jahren den Grünen beigetreten. Heute, fast 50 Jahre später, politisiert er für die Alternative Liste (AL) im Gemeinderat. Wie kam es dazu?
Aufgewachsen ist der studierte Geograf und Klimatologe in einer Kleinbauernfamilie im Thurgau. Dort habe er seine politische Heimat zunächst bei den Grünen gefunden. «Politik hatte einen grossen Einfluss darauf, wie wir in der Landwirtschaft arbeiten», sagt er. «Wir mussten uns ständig gegen irgendetwas wehren.» Deshalb habe er sich lange bei der Kleinbauernvereinigung und bei der Partei politisch engagiert.
«Ich hatte den Eindruck, dass die AL die einzige Partei ist, die uns und unsere Anliegen versteht.»
Christian Häberli, AL-Gemeinderat
Eine knapp verlorene Abstimmung über die Kleinbauerninitiative dämpfte die politische Euphorie des jungen Häberli allerdings. Bei den Grünen stieg er irgendwann aus. «Ich begann an der etablierten Politik zu zweifeln und setzte mich fortan in der Verwaltung für eine Veränderung ein.» Lange arbeitete er als Meteorologe bei Meteo Schweiz und als Klimaforscher. Vor allem seien ihm «eine Verbesserung der Unwetterwarnungen und die verständliche Kommunikation der Klimaänderung» wichtig gewesen. Mittlerweile ist er in der Privatwirtschaft tätig. Bis Häberli wieder zurück in die Politik fand, brauchte es über 20 Jahre. Auslöser waren abermals Grünflächen.
2014 plante die Stadt an der Thurgauerstrasse im Quartier Seebach eine Überbauung, um mehr Wohnungen zu schaffen. «Bei der Bevölkerung hat das viel Unmut ausgelöst, weil dadurch Freiflächen verschwinden sollten, während auf der anderen Strassenseite grosse Teile der Bürogebäude leer standen», erinnert sich Häberli, der selber seit zwei Jahrzehnten im Quartier wohnt. «Deshalb haben wir uns mithilfe eines Referendums für eine bessere Lösung eingesetzt, welche auch die bestehende Siedlung einbezieht.» Unterstützt wurden sie dabei von der Alternativen Liste. «Ich hatte den Eindruck, dass die AL die einzige Partei ist, die uns und unsere Anliegen versteht.» Deshalb sei er der Partei beigetreten.
«Die AL gehört eigentlich zur zweiten Hälfte meines politischen Lebens», sagt der 64-Jährige.
Einsatz an der Thurgauerstrasse
Weil der Vorschlag der Stadt die Quartieranwohner:innen nicht überzeugte, beauftragten sie selbst einen Stadtplaner damit, eine Alternativlösung ohne Hochhäuser zu planen. «Das ist mein Naturell, nach einer besseren Lösung zu suchen, wenn mir etwas nicht passt», sagt Häberli.
Das Referendum hätten sie schlussendlich zwar verloren, Häberli aber meint: «Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Einsatz zu einer im Quartier besser akzeptierten Genossenschaftssiedlung beigetragen haben.»
Noch immer ist die Überbauung an der Thurgauerstrasse und die «achtsame Stadtentwicklung», wie er sagt, eines seiner wichtigsten politischen Themen. So habe er sich etwa sehr genervt, als später die Kinder beim Schulweg des Schulhauses Thurgauerstrasse nicht mitgedacht worden seien. «In solchen Situationen kann ich mir Nächte um die Ohren schlagen, um Plakate zu malen und aufzuhängen, damit die Autofahrer:innen darauf aufmerksam werden, dass da Kinder über die Strasse müssen», sagt Häberli.
Nebst seinem Amt im Gemeinderat und der Thurgauerstrasse brennt Häberli vor allem für eines: Sein Velo. Dieses sei mittlerweile etwa 1.7 Mal um die Welt gefahren. Vor allem die Balkanländer haben es ihm dabei angetan. «Ich bin ein grosser Fan von den Balkanländern, war schon mehrmals in Kosovo, Montenegro und Serbien», sagt er. «Die flächendeckenden Protestbewegungen in Serbien, zum Beispiel dort wo Lithium Mienen gebaut werden, haben mich stark beeindruckt.»
Sofie David: Sie sind jetzt fast ein Jahr im Gemeinderat, wie gefällt es Ihnen?
Christian Häberli: Ich finde spannend, was alles diskutiert wird. Vor allem, mit welcher Tiefe manche Themen besprochen werden.
In der Kommissionsarbeit bin ich oft nahe bei den Klimaschutzthemen und der Energieversorgung. Das sind Bereiche, die mir nicht zuletzt wegen meines beruflichen Hintergrunds am Herzen liegen und bei denen ich mich gut einbringen kann.
Aber ich mache keinen Hehl daraus, ein Gemeinderatsamt gibt viel zu tun und manchmal ist es auch anstrengend.
Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?
Ich freue mich sehr darüber, dass wir uns im Gemeinderat dafür eingesetzt haben, dass die Entsorgungscoupons wieder eingeführt werden sollen. Sicher, bis das Projekt der mobilen Recyclinghöfe abgeschlossen ist. Dann haben wir auch wieder eine Infrastruktur, die einerseits die Kreislaufwirtschaft unterstützt, aber auch jene Menschen nicht benachteiligt, die ein weniger gut gefülltes Portemonnaie haben.
Welche hat Sie am meisten geärgert?
Dass der Pilotversuch des Grundeinkommens keine Mehrheit gefunden hat. Es wäre ja nur ein Pilotprojekt gewesen. Alles was unser jetziges Wirtschaftssystem ansatzweise hinterfragt, wie man aus diesem Lohn- und Konsumabhängigkeiten herauskommt, ist eine gute Sache.
2021 haben Sie mit uns mal sehr transparent über Geld gesprochen und wurden als jemand porträtiert, der gut verdient. Sind sie immer noch Hochverdiener?
Wenn ich rundherum schaue, bin ich immer noch privilegiert. Mittlerweile habe ich mein Arbeitspensum reduziert. Das sehe ich auch ein Stück weit als meine Verpflichtung an. In der übrigen Zeit engagiere ich mich mit Gemeinwesenarbeit in verschiedenen Projekten, zum Beispiel in unserer kleinen Wohnbaugenossenschaft für mehr preisgünstige Wohnungen an der Thurgauerstrasse.
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Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.