SVP und SP machen gemeinsam Wohnpolitik
Das Stadtparlament will künftig Zürcher:innen bei der Vergabe von städtischen Wohnungen bevorzugen. Dabei kam es zu einer ungewöhnlichen Allianz.
Die grösste mediale Aufmerksamkeit erhielten an der gestrigen Gemeinderatssitzung ein Anliegen, das nicht behandelt wurde, und eine Politikerin, die nicht anwesend war.
Pinke Plakate wurden gestern vor dem Rathaus Hard geschwenkt. Sie gehörten zur AL, die damit auf ihre Parlamentarische Initiative für fünf Wochen Ferien für städtische Angestellte aufmerksam machte. Das Thema stand gleich zweimal auf der Traktandenliste, einmal mit der Initiative der AL und einmal wegen einer Motion der Grünen.
«Es wäre ein Armutszeugnis für die Stadt, wenn sie auch nur in Erwägung ziehen würden, diese eine Woche Ferien mehr nicht zu akzeptieren», sagt Elvira Klay, Mitglied der Gewerkschaft Vpod und Fahrdienstmitarbeiterin bei der VBZ. «Das wäre eine Ohrfeige für alle Schichtarbeiter:innen der Stadt.»
Doch die städtischen Angestellten müssen sich noch etwas gedulden, denn gestern kam es in Sachen Ferien zu keiner Entscheidung. Die Parlamentarische Initiative der AL kam nicht auf die notwendigen Stimmen und der Dringlichkeitsantrag der Grünen, ihre Motion vorgezogen zu besprechen, auch nicht.
Weil bei einer Parlamentarischen Initiative keine Voten möglich sind, war Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) der einzige, der mit einer persönlichen Erklärung dazu Stellung nahm. Leupi kritisierte die Initiative als ungenau formuliert und unklar im Ziel – die Motion der Grünen hingegen werde vom Stadtrat unterstützt. «Ich kann ihnen sagen, wir werden nicht die zwei Jahre Frist ausnutzen, sondern sie so bald wie möglich behandeln», so Leupi.
Tele Züri wiederum blieb gar nicht erst, bis die Entscheidung um die Ferienfrage gefallen war. Der anwesende Journalist hatte seine Kamera auf den einen leeren Sitz in den GLP Reihen gerichtet. Doch Sanija Ameti, deren Biografie auf der Gemeinderatsseite bereits auf parteilos aktualisiert wurde, blieb dieser Sitzung fern.
Und während noch offen ist, ob und in welcher Partei Ametis politische Zukunft liegt, entgegnet die Juristin den Spekulationen mit einem Augenzwinkern. Ihren Instagrampost «Parteie sind wie Unterhose. Sie klemmed alli zwüsched de Füdlibacke. Mis Füdli gnüsst es jetzt emal für de Moment» darf man wohl so deuten, dass sie sich für die Entscheidung noch etwas Zeit nimmt. Im Gemeinderat kann sie auf jeden Fall auch als Parteilose politisieren.
Zürcher Wohnungen den Zürcher:innen
Wenn die SVP Wohnpolitik macht, geschehen sonderbare Dinge.
Die Partei mit der Sonne forderte in einem Postulat, dass die städtische Bevölkerung einen vorrangigen Anspruch auf preisgünstige Wohnungen in stadteigenen Liegenschaften haben soll.
«Ein Dach über dem Kopf zu haben, ist kein Privileg, sondern ein Recht.»
Reto Brüesch (SVP)
Erstunterzeichner Reto Brüesch erklärte in seinem Votum, die Wohnungsnot nehme in Zürich seit Jahren zu und bezahlbarer Wohnraum sei Mangelware. Jedes Jahr würden mehr Menschen aus anderen Städten, Kantonen oder Ländern kommen und diese seien auch bereit, einen immer steigenden Mietpreis zu zahlen. Leidtragende seien die alteingesessene Quartierbevölkerung, die sich ein Zuhause in ihrem Quartier nicht mehr leisten könnten. «Ein Dach über dem Kopf zu haben, sollte kein Privileg sein, sondern ein Recht», meint Brüesch.
«Dass Menschen die Stadt verlassen müssen, ist der hemmungslosen Profitgier von privaten Investor:innen geschuldet.»
Patrik Maillard (AL)
Die AL hatte den Ablehnungsantrag für das Postulat gestellt. Die Forderung suggeriere einen Zusammenhang zwischen der Zuwanderung und der Wohnungskrise in der Stadt Zürich, doch dies sei falsch, meinte Patrik Maillard (AL): «Dass Menschen die Stadt verlassen müssen, weil sie sich die Mieten hier nicht mehr leisten können, ist der hemmungslosen Spekulations- und Profitgier von privaten Investor:innen und Immobilienbesitzer:innen.»
Eine Verbündete fand die SVP dafür in der SP.
«Mit dem Postulat wird kein Skandal behoben, sondern eine bestehende Praxis bestärkt.»
Patrick Tscherrig (SP)
Patrick Tscherrig meinte zwar, das Postulat fordere etwas, das heute bereits umgesetzt würde. Gemäss Angaben des Finanzdepartements würden bereits 90 Prozent der städtischen Wohnungen an die Stadtbevölkerung vergeben. Die SP fände es aber richtig, wenn das städtische Mietregelment um diesen Passus ergänzt werde, deswegen unterstützte sie das Postulat. «Mit dem Postulat wird kein Skandal behoben, sondern eine bestehende Praxis bestärkt», meinte Tscherrig.
Und mit der Stimmmacht der SP kam das Anliegen dann auch durch und wurde mit 67 Ja- zu 42 Nein-Stimmen dem Stadtrat zur Prüfung überwiesen.
Weitere Themen:
- Pumptrack für Witikon: Ein Highlight der Gemeinderatssitzung war, als Balz Bürgisser (Grüne) in die Runde fragte: «Wüssed ihr, was ä Pumptrack isch?» Nach gut gelaunten Zwischenrufen aus dem Plenum, trug der pensionierte Mathematiklehrer dann dem Rat die diversen Vorteile eines Pumptracks vor. Weil es Witikon an Begegnungsorten für Kinder und Jugendlichen fehle und ein Pumptrack (eine Rundbahn für Velos, BMX, lnlineskates) auch zur allgemeinen Gesundheit der Jungen beitrage, solle der Stadtrat baldmöglichst eine solche Bahn errichten. Und er war erfolgreich: Das Postulat wurde mit einer Textänderung der GLP ohne Gegenstimmen an den Stadtrat überreicht.
- SVP und SP finden sich bei Markthallen: Die SP verhalf der SVP gestern gleich zweimal, dass sie ein Postulat durch brachten. Der Stadtrat soll nun prüfen, ob auf dem Schlachthofareal einst eine Markthalle untergebracht werden kann. In vier Jahren laufen die Mietverträge mit dem Schlachthof aus. Anmerkung: Die Stadt überprüft bereits in einer schon laufenden Testphase verschiedene Nutzungsmöglichkeiten für die 50’000 Quadratmeter Fläche. Erste Ergebnisse gibt es im August (wir berichteten).
- Rüge an FCZ-Fans, die Stadt und auch den Club: In einer Interpellation kritisierte die SVP den Umgang des Stadtrats im Zusammenhang mit einer «Ballaktion», bei der Mitglieder der Südkurve auf Pausenplätzen und in Klassenzimmern Fussbälle verteilt haben. Stefan Urech (SVP) bemängelte die seiner Meinung nach zu lasche Reaktion des Stadtrats sowie die ausbleibenden Konsequenzen. Der zuständige Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) schloss sich der grundsätzlichen Kritik an und betonte, dass die bisherigen Massnahmen im Zusammenhang mit Fangewalt nicht ausreichen würden. Allerdings hob er hervor, dass der Stadtrat alleine das Problem nicht lösen könne und Unterstützung der Clubs unabdingbar sei. «Es wäre durchaus angebracht, wenn der Präsident mit dem Megafon vor die Kurve tritt und sagt: So geht es nicht», erklärte Leutenegger.
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Nina musste als Kind mit ihrer Familie zu oft umziehen und wahrscheinlich ist das der Grund, warum sie sich dem Lokaljournalismus verschrieben hat. Sie schrieb als freie Journalistin für die Zürichsee Zeitung, Bajour und jetzt für Tsüri.ch. Nina studierte Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten in Fribourg und Basel und verbrachte kurze Zeit in der Medienforschung, wo sie unter anderem auch wieder Lokaljournalismus untersuchte. Seit 2021 ist Nina Mitglied der Geschäftsleitung bei We.Publish.