Gemeinderats-Briefing #84: Keine Quittung für die Polizei

Die AL wollte mit Quittungen bei Personenkontrollen gegen Racial Profiling bei der Polizei vorgehen. Das Anliegen wurde zwar aus formellen Gründen fallengelassen. Die dazugehörige Rassismus-Debatte trug der Gemeinderat trotzdem aus.

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Illustration: Zana Selimi

Zu Beginn seiner Amtszeit vor wenigen Wochen führte Gemeinderatspräsident Guy Krayenbühl (GLP) eine Neuerung ein: Immer am Anfang der Sitzung weist er die Parlamentarier:innen darauf hin, wie viele Tagesordnungspunkte sie an diesem Abend abarbeiten sollten, um keine Zusatzsitzung an einem Samstag zu riskieren. Jene droht nämlich, wenn eingereichte Vorstösse länger als ein Jahr unbearbeitet auf der Traktandenliste verweilen.

In den ersten von Krayenbühl geleiteten Sitzungen funktionierte das noch recht gut. Die Gemeinderät:innen beeilten sich, die ältesten Vorstösse noch vor Sitzungsende abzuhandeln. Gestern aber geriet das Krayenbühl'sche Modell an seinen Endgegner: Die regelmässig im Rat hochkochende Debatte um Rassismus und Polizeiarbeit.

Anlass war die Abschreibung einer Parlamentarischen Initiative (PI) der AL. Diese hatte die Abgabe von Quittungen bei Personenkontrollen durch die Polizei gefordert und verlangte hierfür eine entsprechende Ergänzung der Allgemeinen Polizeiverordnung. Mittels der 2022 eingereichten PI hatte die AL eine Behandlung des Themas durch die Gemeinderatskommission durchgesetzt. Mitglieder der Fraktion hatten bereits 2015 ein Postulat dazu eingereicht, das aber aus ihrer Sicht beim Stadtrat ungehört verhallt war.

Enge - Stadtpolizei Zürich
Einmal mehr diskutiert der Rat über die Polizei. (Quelle: Tsüri.ch)

Die Abgabe von Quittungen solle gegen Fälle von Racial Profiling bei der Polizei wirken, führte Michael Schmid (AL) aus: «Sie können einen Beitrag dazu leisten, dass Polizist:innen sich bewusst werden, warum sie eine Kontrolle durchführen.» Andreas Egli (FDP) sah darin vor allem einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand und wies unter anderem auf die Datenschutzbedenken bei der Aufnahme von Personendaten hin, die während der Kommissionsberatungen aufgetaucht seien.

Abgeschrieben werden sollte die PI jedoch nicht aufgrund ihres Inhalts, sondern allein aus formellen Gründen. Denn sowohl der Stadtrat als auch die Geschäftsleitung des Gemeinderats hatten Rechtsgutachten zur Umsetzung des Vorhabens in Auftrag gegeben. Und beide waren zum Schluss gekommen, dass die Stadt Zürich nicht die Kompetenz habe, die Polizeiverordnung in diesem Sinne zu ändern.

Trotzdem nutzten linke und rechte Parlamentarier:innen den Anlass, um sich gegenseitig hitzige Vorwürfe zu Rassismen und Polizeifeindlichkeit an den Kopf zu werfen. Auch die mehrmaligen Mahnungen des sichtbar genervten Gemeinderatspräsidenten, beim Thema zu bleiben und die Redezeiten zu beachten, half wenig bei der Beschleunigung des Geschäfts.

Am Schluss enthielten sich die AL, SP und die Hälfte der Grünen bei der Abstimmung, die ansonsten zugunsten der Abschreibung ausfiel. Vertreter:innen der linken Parteien machten deutlich, dass das Thema für sie damit noch nicht vom Tisch sei. So reichten Severin Meier und Reis Luzhnica (beide SP) noch am selben Abend ein Postulat ein, das den Stadtrat aufruft, weitere Massnahmen gegen Racial Profiling zu prüfen. Ob es demnächst zu einer Samstagssitzung kommt, ist indessen noch unklar.

Unsere CO2-Emissionen landen bald im Meer

«Wir schreiben mit dieser Vorlage auch ein bisschen Klimageschichte», freute sich Stadträtin Simone Brander (SP) gestern über eine Weisung zur Klärschlammverwertungsanlage (KVA) Werdhölzli. In dieser wird aktuell der Klärschlamm, der kantonsweit bei der Abwasserreinigung anfällt, «verwertet», das heisst: verbrannt.

Künftig soll aus dem Klärschlamm zum einen Phosphor zurückgewonnen werden, der in der Landwirtschaft gebraucht wird. Zum anderen soll das bei der Verbrennung entstehende CO2 abgeschieden, also herausgefiltert und gespeichert werden. Gestern stimmte nun eine grosse Mehrheit des Gemeinderats dafür, diese CO2-Abscheidung in einem Pilotprojekt anzugehen.

Das Besondere an dem knapp 35,5 Millionen Franken teuren Projekt erläuterte Beat Oberholzer (GLP): Durch die Abscheidung werde nicht nur CO2 vermieden, sondern es würden Negativemissionen generiert. Denn weil das Treibhausgas aus biogenen, also nachwachsenden Stoffen komme, werde es tatsächlich aus dem Kreislauf entfernt. Diese Technologie brauche es, um das Netto-Null-Ziel, das sich die Stadt gesetzt hat, tatsächlich bis 20240erreichen zu können. Denn damit liessen sich unvermeidbar anfallende Restemissionen kompensieren.

CO2-Abscheidung Werdhölzli
Warst du gut in Chemie? Dann hilft dir diese Darstellung des Abscheidungsprozesses vielleicht weiter. (Quelle: Screenshot Stadtrat)

Das Verfahren kommt beim Werdhölzli zum ersten Mal in der Schweiz zum Einsatz. Das CO2 wird verflüssigt und mit Lastwagen abtransportiert. Dann soll die Hälfte davon in der Schweiz in Recyclingbeton gebunden werden, die andere Hälfte mit Lastwagen und Zug nach Dänemark transportiert und in der Nordsee unter dem Meeresboden verpresst werden.

Letzteres führte zu einigen kritischen Voten im Rat. Emanuel Tschannen (FDP) fand, die Nachhaltigkeit eines solchen Transports durch halb Europa sei zu hinterfragen. Auch Matthias Probst (Grüne) erklärte, sinnvoller als dieser Transportweg wäre eine Lösung vor Ort in der Schweiz gewesen: «Wir versuchen hier in Zürich unsere Bilanz zu optimieren, aber wir haben es mit einem globalen Problem zu tun.» Das Geld für dieses Projekt könne deutlich mehr bewirken, wenn es in internationalen Projekten zur Vermeidung von CO2-Emissionen eingesetzt werde.

Probst war neben der SVP der Einzige, der gegen die Ausgaben für das Projekt votierte. Einig waren sich die Parlamentarier:innen in einem anderen Punkt: Eine grössere Herausforderung wird eine solche Anlage zukünftig beim Kehrichtheizkraftwerk Hagenholz, das deutlich grösser ist und viel mehr CO2 emittiert.

Weitere Themen

  • Reto Brüesch und Michele Romagnolo (beide SVP) hatten ein Postulat eingereicht, um gegen die Personalengpässe bei den Zürcher Blaulichtorganisationen vorzugehen. Demnach solle der Stadtrat Massnahmen prüfen, um ältere Mitarbeitende zu unterstützen, damit sie nicht in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Unterstützt wurde der Vorstoss von allen Fraktionen ausser der AL und den Grünen.
  • Einstimmig hat der Gemeinderat die Ausgaben von 2,1 Millionen Franken für einen Projektwettbewerb und die Ausarbeitung eines Bauprojekts für die Neugestaltung des Kasernenareals bewilligt. Stadträtin Simone Brander sprach anlässlich der Weisung von einem «Happy End für Kaserne und Zeughäuser» und von einem Moment, auf den viele Gemeinde- und Stadträt:innen in den letzten 50 Jahren gewartet hätten.
  • Ohne Gegenstimme überwies der Gemeinderat ein Postulat von Nicolas Cavalli (GLP), Deborah Wettstein (FDP) und Nadina Diday (SP). Mit ihm wird der Stadtrat aufgefordert, am kantonalen Pilotprojekt «Hospital at Home» teilzunehmen. Damit wird als Alternative zum Spital eine Hospitalisierung zu Hause getestet. Das soll die Genesung fördern und die Ansteckung mit Spitalkeimen reduzieren.
  • Stephan Iten verlas eine Fraktionserklärung der SVP, die das Ende des Pilotprojekts «Brings uf d'Strass» begrüsste. Die SVP habe «die wahren Absichten des Stadtrates von Anfang an» durchschaut, heisst es darin. Es sei nämlich nicht um die Schaffung von «Naherholungsgebieten» auf gesperrten Parkplätzen gegangen, sondern «einzig um die Vertreibung des Autos aus der Stadt». Flurin Capaul (FDP) übte in einer persönlichen Erklärung etwas differenzierte Kritik: Man habe von Begegnungszonen geredet, doch vor allem gähnende Leere und aufgebrachte Gewerbler:innen erhalten. Mit dem gleichen Budget, das für das Projekt ausgegeben worden sei, würden die Quartiervereine der Stadt hunderte kulturelle Anlässe im Jahr schaffen.
  • Andreas Kirstein (AL) wurde gestern aus dem Rat verabschiedet. Mit ihm verlasse «der letzte Silberrücken der AL» den Rat, erklärte Ratspräsident Guy Krayenbühl. Kirstein sei ein Politiker, der verstanden habe, was die Aufgabe eines Gemeinderats sei. Krayenbühl erinnerte an seine Verdienste insbesondere um die Rekommunalisierung von Betrieben und an sein literarisches Wissen, das er auch schon mit einem Bonmot der Schriftstellerin Sibylle Berg, «kaufe nichts, ficke niemanden», zum Besten gegeben hatte. «Sollte ich manchen mit meiner spitzen Zunge verletzt haben, so tut mir das leid», erklärte Kirstein in seinem Rücktrittsschreiben: «Es ging mir aber fast nie um die Person.»

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