«Trump is back»: Anleitung für eine wehrhafte Demokratie
Am 20. Januar beginnt Donald Trump seine zweite Amtszeit als Präsident der USA. Die Auswirkungen davon werden auch Stadtzürcher:innen zu spüren bekommen, ist sich Sanija Ameti, Co-Präsidentin von Operation Libero, sicher. In ihrem Gastkommentar zeigt sie deshalb, wie jede:r von uns die Demokratie stärken kann.
2024 war ein sch... – schwieriges Jahr. In vielerlei Hinsicht. Politisch und persönlich. Ich war nah dran, den Kopf in den Sand zu stecken. Doch es wäre falsch gewesen, aufzugeben. Gerade jetzt.
Die politische Grosswetterlage schreit nach zivilgesellschaftlichem Engagement – von dir, mir, von Organisationen wie Operation Libero, als deren Co-Präsidentin ich diese Zeilen schreiben darf. Meine folgenden Zeilen sind Zeilen der Heilung. Zeilen der Hoffnung. Und Zeilen des Widerstands.
Ab heute hat die älteste ununterbrochen bestehende Demokratie der Welt eine offen antidemokratische Regierung. Die Zeit der liberalen Demokratie als vorherrschendes Modell der westlichen Welt ist zu Ende.
Ab heute wird Trump als Präsident der USA wieder Desinformationen streuen, Medien gezielt schwächen, den Rechtsstaat unterwandern, Menschenrechte untergraben, die Wissenschaft attackieren, die Grenzen des Angreifbaren verschieben, Nationalismus befeuern, Populismus normalisieren, Minderheiten ausgrenzen, autoritäre Freundschaften vertiefen, demokratische Freundschaften abbrechen, internationale Partnerschaften und Organisationen kollabieren lassen.
Und es könnte noch schlimmer kommen: Wenn es schlecht läuft, ist die Schweiz schon bald von rechtspopulistisch bis rechtsextrem geführten Ländern umgeben: Weidel, Kickl, Meloni, Le Pen. Die Hoffnung wiederfinden – es fiel mir noch nie so schwer.
Doch es wäre fatal, aufzugeben. Es braucht jetzt einen wehrhaften Liberalismus, der liberale Errungenschaften nicht nur verteidigt, sondern ausbaut. Wir müssen uns also darauf besinnen, was die liberale Demokratie ausmacht und was sie widerstandsfähig macht – international, national, kantonal und lokal. Egal ob hier in Zürich, in Dübendorf, Fislisbach oder Chur.
Hier kommt in fünf Punkten, was du und ich ganz konkret tun können für eine wehrhafte Demokratie.
1. Der Staat bist du
Wir alle haben eine persönliche Verantwortung für die liberale Demokratie. Wenn wir, die Zivilgesellschaft, der demokratischen Schweiz etwas schulden, dann ist es nicht einfach nur Dankbarkeit gegenüber den vorherigen Generationen, dass wir in einer Demokratie leben dürfen, sondern Entschlossenheit.
Die wichtigste Errungenschaft der vorherigen Generationen war nicht, was sie selbst für ihre Generation erreichen konnten, sondern das, was sie den nachfolgenden Generationen ermöglichten, zu erreichen. Es braucht die Entschlossenheit, Demokratie, Freiheitsrechte als Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit von Generation zu Generation wiederzuerlangen und das Feuer von Generation zu Generation neu zu entfachen.
«Autoritäre Herrscher fürchten den Rechtsstaat.»
Sanija Ameti, Co-Präsidentin von Operation Libero
Tragen wir das Feuer weiter. Werden wir selber aktiv, sei es auch nur im Gespräch mit Verwandten, oder indem wir Initiativen unterstützen, flyern, auch mal für die Demokratie auf die Strasse gehen, wie es vor einem Jahr in Deutschland zu Millionen geschah, gehen wir wählen und abstimmen, unterstützen wir die Zivilgesellschaft in ihren Bestrebungen finanziell. Wir können einen Unterschied machen. Denn der Staat sind wir.
2. Rechtsstaat schützen
Autoritäre Herrscher fürchten den Rechtsstaat, weil er politisches Handeln und Zwang durch rechtsstaatliche Prinzipien und individuelle Freiheitsrechte begrenzt. Die individuellen Freiheitsrechte gerade auch als Menschenrechte sind das Fundament der liberalen Demokratie. Autoritärer Machtausbau geht deshalb immer mit der Verachtung und Schwächung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten einher – gegen innen und nach aussen.
Gleich zwei absolut zentrale Urteile, die politischen Zwang eingrenzen, fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) letztes Jahr. Im ersten entschied er, dass die Kontrolle eines schwarzen Mannes am Zürcher Hauptbahnhof diskriminierend war, und forderte neue Gesetze zu Racial Profiling. Im zweiten entschied er, dass die Schweiz mit ihrer unzureichenden Klimaschutzpolitik das Recht auf Privatleben nicht ausreichend schützt.
Das Klima-Urteil ruft uns ins Bewusstsein, dass die individuellen Freiheitsrechte nicht nur für unsere Generation hier und heute, sondern auch für die Zukunft und die künftigen Generationen einen Wert haben.
Dass auch die künftigen Generationen das Recht haben, durch heutige politische Entscheidungen nicht belastet zu werden. Dass der Bundesrat und das Parlament das EGMR-Urteil nicht umsetzen wollen, obwohl es für die Schweiz bindend ist, hat dem Schutz der Menschenrechte enorm geschadet. Jetzt braucht unseren Schutz, was uns schützt: Tragen wir darum diesen rechtsstaatlichen Institutionen – den lokalen, nationalen und insbesondere den internationalen – Sorge.
3. Desinformation bekämpfen
Eine der stärksten Waffen, die auf unsere liberale Demokratie gerichtet ist, ist die Waffe der Desinformation. Trump hat sie erfolgreich eingesetzt. Putin setzt sie weltweit gezielt gegen demokratische Länder ein. Zuckerberg und Musk haben Trump den Hintern geküsst und Fact-Checking-Programme gecancelt. Unsere liberale Demokratie ist darum umso mehr auf eine starke vierte Gewalt angewiesen. Medienpolitik ist darum auch Sicherheitspolitik.
«Freiheit ist wie Fahrrad fahren: Stehen wir still, fallen wir um.»
Sanija Ameti, Co-Präsidentin von Operation Libero
Finden wir lokale und regionale Wege, um unabhängigen Journalismus zu fördern. Unterstützen wir selber seriöse Medien – insbesondere unabhängige Lokalmedien (nein, Blochers-Lokalblatt-Imperium ist nicht mitgemeint) – finanziell. Seien wir alle aufmerksam, um nicht selber in die Desinformationsfalle zu tappen. Und lehnen wir die SRG-Halbierungsinitiative ab, über die wir wohl nächstes Jahr national abstimmen werden.
4. Freiheiten fördern
Freiheit ist wie Fahrrad fahren: Stehen wir still, fallen wir um. Die beste Verteidigung der liberalen Demokratie liegt deshalb darin, dass wir weitere Freiheiten schaffen. Doch ein Viertel der Bevölkerung in der Schweiz ist formal nicht frei. Diese Menschen ohne das Bürgerrecht können nicht mitbestimmen, was sie mitbetrifft. Das ist keine wirklich vollwertige Demokratie. Setzen wir uns also für die Demokratie-Initiative ein und schaffen Freiheit für unsere Mitmenschen.
Doch nur weil ein Mensch das Bürgerrecht hat, ist er noch lange nicht tatsächlich frei: «Gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht», schreibt unsere Verfassung. Wirklich frei ist, wer den Zugang und die Sichtbarkeit im öffentlichen Bereich erhält, zum Beispiel durch die Beteiligung an den öffentlichen politischen Geschäften. Doch die Ausübung politischer Ämter im Schweizer Milizsystem hängt massgeblich von der finanziellen Situation ab.
Für den Grossteil der Frauen ist dieses Modell nicht vereinbar mit ihrem Alltag, der oft das Jonglieren von Beruf, Familie und politischer Freizeitbeschäftigung voraussetzt. Will «frau» ihre öffentliche Freiheit gebrauchen, muss sie entweder kinderlos oder genug vermögend sein, um nicht von einem Einkommen abhängig zu sein.
«Durch die kommunalen Angebote wird die demokratische Dimension unseres Staates erlebbar gemacht.»
Sanija Ameti, Co-Präsidentin von Operation Libero
Darum müssen wir nicht nur die Chancengleichheit fördern, beispielsweise durch die Individualbesteuerung, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Elternzeit, bezahlbare Kita-Plätze, sondern auch die Entschädigung von politischer Arbeit verbessern. Deshalb stimme ich am 9. Februar Ja zur Erhöhung der Entschädigung für Gemeinderät:innen der Stadt Zürich.
5. Menschenrechtsstadt werden
Nirgendwo sonst wird die Begeisterung und das Verständnis für Demokratie, individuelle Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte so sicht- und erlebbar, als in der kleinsten staatlichen Einheit, wo Menschen anhand konkreter Lebenssachverhalte miteinander zu tun haben – der Gemeinde.
Durch die kommunalen Angebote etwa in Zürich wird die menschenrechtliche und demokratische Dimension unseres Staates an die Menschen herangetragen und erlebbar gemacht. Dazu gehören etwa kulturelle und ökologische Angebote, der öffentliche Verkehr, die städtische Unterstützung des Quartierlebens, verbilligter Wohnraum, die Einführung einer Züri City Card, die statistische Erfassung von Hate Crimes, der Runde Tisch gegen Rassismus, die Abkehr von Zwang in der Strategie zur beruflichen und sozialen Integration in der Sozialhilfe und so vieles mehr.
Wir müssen die Entschlossenheit für unsere lebendige liberale Demokratie noch stärker ins Bewusstsein unserer Bevölkerung tragen. Die Motion, die Stadt Zürich zur «Menschenrechtsstadt» zu machen, ist ein konkreter und wichtiger Schritt in diese Richtung.
Nicht nur für die Stadt Zürich, sondern als Vorbild für die Schweiz und die Welt. Denn Demokratien sind nie einfach nur Demokratien für sich selbst: Sie sind immer auch Hoffnungsträgerin für alle Menschen dieser Welt, die sich nach Freiheit sehnen.
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