Etappensieg für die Neubaupläne der Siedlung Seebahnhöfe

Nach zwanzig Jahren Planung, einer langen Ratsdebatte und Widerstand aus dem linken Lager hat der Gemeinderat am Mittwochabend den Gestaltungsplan für den Ersatzneubau der Seebahnhöfe genehmigt. Bis die Bagger auffahren, wird es trotzdem noch eine Weile dauern.

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Mehr in die Höhe, besser isoliert, doch auch weniger Geschichte: Die Visualisierung der neuen Seebahnhöfe entlang der S2- und S8-Zugstrecke (Bild: Rafael Schmid Architekten, Zürich)

Nach über zwei Jahrzehnten Planung haben ABZ und BEP, die Genossenschaften hinter dem Neubauprojekt Seebahnhöfe, am Mittwochabend einen wichtigen Etappensieg errungen: Mit 100 Ja- zu 11 Nein-Stimmen stimmte der Gemeinderat dem privaten Gestaltungsplan zu. In der Debatte bot sich das seltene Bild, dass sich mit der AL-Fraktion und einer Minderheit der Grünen, ausgerechnet Teile der Linken gegen mehr Wohnraum aussprachen.

Doch auch wenn manche bürgerliche Vertreter:innen das anders sehen: Komplett unerklärlich war die Ablehnung von Links nicht. Bereits im Dezember berichteten wir, dass sich rund um die IG Seebahnhöfe Widerstand gegen die Ersatzneubaupläne für die fast hundertjährigen Arbeiter:innensiedlungen formierte.

Hauptkritikpunkt: Ein Abriss der Gebäude statt des Umbaus sei ökologischer und sozialer Unsinn.

Entsprechend tönte es am Mittwochabend im Gemeinderat.

«Jeder Ersatzneubau rückt das Netto-Null-Ziel in weite Ferne.»

Patrik Maillard, AL-Gemeinderat

Karen Hug (AL) bezeichnete den Gestaltungsplan als «aus der Zeit gefallen» und ihr Parteikollege Patrik Maillard widersprach den Stimmen, die den Neubau als ökologisches Projekt bezeichneten. «Jeder Ersatzneubau rückt das Netto-Null-Ziel in weite Ferne», sagte Maillard.

Yves Henz gehörte der Minderheit der (jungen) Grünen an, die sich gegen die Gestaltungspläne einsetzten. «Verdichten, verdichten, verdichten – ich habe langsam genug von diesem Mantra.» Projekte, wie der neue Gestaltungsplan, stünden für eine Politik, die «eine Schneise der Zerstörung» in der Stadt hinterlasse und bedürftige Menschen aus ihren Quartieren vertreibe.

«Eine Klatsche ins Gesicht der Genossenschaften.»

Nicolas Cavalli, GLP-Gemeinderat

Brigitte Fürer (Grüne) war anderer Ansicht als ihr Parteikollege. Es sei zwar sicher so, dass ein Ersatzneubau und die Vernichtung von grauer Energie nicht im Sinne der Grünen sei. «Auf der anderen Seite braucht es dringend und zwingend neuen Wohnraum.» Die Genossenschaften täten der Stadt hier einen grossen Dienst.

Nicolas Cavalli (GLP) bezeichnete die Ablehnung der Gestaltungspläne als «Klatsche ins Gesicht der Genossenschaften» und bis ins rechte Gemeinderatslager hinein wurde Unverständnis geäussert, warum sich ausgerechnet die Linke auf einmal gegen mehr Wohnungen stellte.

«Das Projekt nach so langer Zeit zu stoppen, ist der falsche Ansatz.»

Reto Brüesch, SVP-Gemeinderat

Und während das Hickhack einige Male die Seiten wechselte, kam der Aufruf zur Vernunft aus der rechten Seite des Saals.

Reto Brüesch, der in Sachen Wohnpolitik manchmal schon fast linke SVP-Gemeinderat, erinnerte an die lange Vorgeschichte des Gestaltungsplans.

«Heutzutage würde man das vielleicht anders machen. Doch das Projekt nach so langer Zeit zu stoppen, ist der falsche Ansatz.» Eine weitere Verzögerung würde das Projekt immer teurer machen, die Stadt brauche aber jetzt günstigen Wohnraum.

Der Gestaltungsplan biete mit Genossenschaftswohnungen und Parkplätzen für das Gewerbe «eine gute Mischung für alle».

«Wenn eine Sanierung im Bestand zu höheren Mietzinsen führt, als ein Neubau, dann hat die Genossenschaft ein Problem.»

André Odermatt (SP), Vorsteher Hochbaudepartement

Der zuständige Stadtrat André Odermatt (SP) berichtete, dass die beiden Genossenschaften auch eine Sanierung im Bestand geprüft hätten.

Aufgrund der alten Bausubstanz, würde das aber Eingriffe mit sich bringen, die «sehr ähnlich wären, wie bei einem Neubau». Und das wiederum hätte finanzielle Folgen. «Wenn eine Sanierung im Bestand am Schluss zu höheren Mietzinsen führt, als ein Neubau, dann hat die Genossenschaft ein Problem und ebenso die Stadt mit ihren wohnpolitischen Zielen.»

Bis die Bagger einst auffahren, wird es allerdings noch eine Weile dauern.

Als nächster Schritt werden die Genossenschaften die Baugesuche einreichen. Auf deren Grundlage entscheidet dann der Stadtrat über die Baubewilligung.

Und während sich die Genossenschaften am Donnerstagmorgen erleichtert zeigten, dass «ein wichtiger politischer Meilenstein» erreicht sei, erwägt der Heimatschutz gemäss Tages-Anzeiger rechtliche Schritte gegen das «ungeheuerliche» Vorhaben.

offene Rennbahn Oerlikon
Alt und trotzdem heiss geliebt: die offene Rennbahn Oerlikon. (Bild: Velosoph/Wikimedia CC BY 2.0)

Gemeinderat fordert langfristigen Schutz für die offene Rennbahn Oerlikon

Wenn der Veloverkehr immer so viel Zuneigung erfahren würde, wie die offene Rennbahn am Mittwochabend im Gemeinderat, wäre vielleicht sogar die Bahnhofstrasse eine Velovorzugsroute.

Eine Motion von SVP, Grünen, AL und weiteren Mitunterzeichnenden verlangte, dass das Areal der offenen Rennbahn in Oerlikon von einer Bau- in eine Erholungszone umgezont wird und die Sportanlage erhalten bleibt.

In der darauffolgenden Diskussion bekannten sich Mitglieder von FDP über Mitte/EVP bis rein ins SP-Lager als grosse Fans und regelmässige Besucher:innen eben dieser Rennbahn.

Gemäss Reto Brüesch (SVP) sei das Ziel der Motion den langfristigen Erhalt der ovalen Rennbahn zu sichern. Als älteste noch in Betrieb stehende Sportanlage sei diese nämlich nicht nur deshalb von Bedeutung, sie sei auch ein wichtiger Treffpunkt für die Bevölkerung von Zürich Nord.

Doch trotz unbestrittener Liebe für die 112-jährige Sportstätte waren sich die Beteiligten über den Sinn des Geschäfts uneinig.

«Wie wenn man Wasser in die Limmat tragen würde.»

André Odermatt (SP), Vorsteher Hochbaudepartement

Die Motion sei, «wie wenn man Wasser in die Limmat tragen würde», sagte André Odermatt (SP), Vorsteher des Hochbaudepartements.

Der Stadtrat habe keinerlei Interesse daran, die Rennbahn abzubauen. Im Gegenteil, er sehe darin ein schützenswertes Objekt von überkommunaler Bedeutung. Die Voraussetzung für den langfristigen Erhalt sei, dass das Grundstück in der Bauzone bleibe, da eine Umwandlung in die Erholungszone die Nutzungsmöglichkeiten einschränken würde.

Michael Schmid (FDP) meinte, der Stadtrat habe überzeugend darlegen können, dass kein Interesse an einem Rückbau der Rennbahn bestünde. Da aber im nächsten Jahr die drei dafür zuständigen Stadtratssitze neu besetzt werden, schlug Schmid vor, die Motion als Postulat dem Stadtrat zu überweisen. Um damit «ein klares Bekenntnis zur offenen Rennbahn» abzugeben.

Dieses Votum überzeugte auch die Motionär:innen. Und so wurde das Geschäft als Postulat ganz nach dem Motto «Nützt’s nüt, so schadt’s nüt» mit 70 Ja- zu 29 Nein-Stimmen dem Stadtrat zur Prüfung überwiesen.

Weitere Themen aus dem Rat

Gemeinderat schliesst Kapitel Lilienberg ab: Vor drei Jahren bestätigte eine Untersuchung des Kantons Zürich Missstände im Asylzentrum Lilienberg in Affoltern am Albis. Das Zentrum, in dem Kinder und Jugendliche leben, die ohne Begleitung in die Schweiz geflohen sind, sei überlastet: Es fehle an Personal, die Situation sei «besorgniserregend». Der Gemeinderat hat gestern den vom Stadtrat verlangten Bericht zur Kenntnis genommen. Darin wurde die Geschäftstätigkeit der Asylorganisation Zürich (AOZ) im Zusammenhang mit dem Betrieb des Zentrums Lilienberg überprüft. Das Geschäft führte im Gemeinderat zu einer kurzen Debatte, bei der sich auch die zuständigen Stadträte zu Wort meldeten. Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) räumte Fehler der AOZ ein und übernahm eine Mitverantwortung dafür. Die Anforderungen an die Unterbringung hätten sich stark verändert und neue Massnahmen seien notwendig. Der Bericht würde diese aufzeigen und im neuen Leistungsauftrag an den AOZ sei unter anderem auch eine neue Aufsichtskontrolle vorgesehen. Schulhaus Kügeliloo kriegt für Umbau 5,5 Millionen – trotz fehlender Produktionsküche: Das Parlament bewilligte einmalige Ausgaben von 5,5 Millionen Franken für den Umbau der Schulanlage Kügeliloo in Zürich Nord. Ein Rückweisungsantrag kam von den Grünen, da die Umbaupläne keine eigene Produktionsküche beinhalteten. Gemäss Balz Bürgisser (Grüne) schmeckt das vor Ort zubereitete Essen nicht nur besser, sondern ist auch billiger, als wenn es angeliefert wird. Der zuständige Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) widersprach und betonte, dass die heutigen Anforderungen an Nahrungsmittelqualität gestiegen seien und verwies darauf, dass die Schule Kügeliloo dazu nicht genügend Platz aufweise. Der Rückweisungsantrag der Grünen fand keine Mehrheit und mit 101 Ja- zu 14 Nein-Stimmen bewilligte der Gemeinderat das Budget für den Umbau. Baubewilligungen für Gastrobetriebe sollen vereinfacht werden: Ein Postulat von FDP und SP, das eine zentrale Anlaufstelle für Gastro-Baugesuche schaffen will, fand am Mittwochabend ebenfalls eine Mehrheit.

Basierend auf den Erfahrungen des «Roten Telefons», einer Helpline bei Fragen zu Baugesuchen, sollen Gastrobetriebe niederschwellige Hilfe erhalten. Flurin Capaul (FDP) berichtete von mehreren Fällen, in denen Gastronom:innen zu lange auf ihre Baubewilligungen hätten warten müssen. Gegen das Postulat war die AL. Sie sah es als unsinnig an, das Angebot für eine Branche auszuweiten, da die Dienstleistung in den Aufgabenbereich von Branchenverbänden falle. Auf einen Textänderungsvorschlag der SVP, der das Postulat auch auf das Gewerbe ausweiten wollte, gingen FDP und SP nicht ein. Ein Pilot solle eng gefasst werden, hiess es.

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2023-05-02 Nina Graf Portrait-13

Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.

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