Es wird eng in Zürich: Wo bleibt die dritte Eingemeindung?

Die Stadt Zürich ist längst über ihre Grenzen hinausgewachsen, aber keine Gemeinde im Kanton will dazugehören. Architektur-Studierende ergründen, was für und was gegen eine dritte Eingemeindung spricht.

Botschaft der Postkarte: Grüsse von Elisabeth mit freundlichem Gruss A. Rust. Poststempel 23.6.1923
Oerlikon vor seiner Eingemeindung um 1920 herum. (Bild: ETH-Bildarchiv)

Dieser Text entstand im Rahmen eines Gaststudios am Institut für Entwurf und Architektur an der ETH Zürich, in dem der Verein ZAS* mit Studierenden zusammenarbeitet.

Im Mai dieses Jahres hat der Regierungsrat das Projekt «Wachstum 2050» lanciert, um die Herausforderung des prognostizierten Bevölkerungswachstums von 450’000 zusätzlichen Einwohner:innen im Kanton Zürich zu bewältigen. Die Attraktivität der Metropolitanregion als Wohn- und Arbeitsort ist ungebrochen. Betrachtet man die Stadt Zürich als bevölkerungsreichste Gemeinde, so hat diese ihr Verdichtungspotenzial innerhalb der Gemeindegrenzen nahezu ausgeschöpft: Industrieareale wurden umgenutzt, Gartenstadtsiedlungen meist durch Ersatzneubauten neu entwickelt.

Inzwischen sind es nur noch Einzelbauten, die durch Aufstockung, Erweiterung oder Neubau marginal mehr Wohnraum auf städtischem Boden versprechen. Es stellt sich aber die Frage, inwiefern die Stadt Zürich unter den heutigen Rahmenbedingungen überhaupt noch einen Beitrag zum anstehenden kantonalen Wachstum leisten kann: Ist Zürich nicht längst zu klein für Zürich? 

Früher wollte man dazugehören

Rückblickend gesehen waren die beiden Eingemeindungen in den Jahren 1893 und 1934 das entscheidende Mittel, um die Stadtentwicklung zu steuern und die wachsende Bevölkerung aufzunehmen. Eine zentrale Stadtverwaltung erleichterte die Planung und die erweiterten Stadtgrenzen schufen mehr Spielraum für eine koordinierte Umsetzung über alle Stadtkreise hinweg.

Daraus entstanden die zeittypischen Stadterweiterungen: Das dichte Gründerzeitquartier Aussersihl um die Jahrhundertwende und die Gartenstadtsiedlungen im Norden und Westen Zürichs in den 1930er-Jahren.

Die Eingemeindungen verliefen damals nicht reibungslos: Die Zustimmung der einzelnen Gemeinden erfolgte vor allem aus finanzieller Not und organisatorischer Überforderung mit dem Wachstum. Die Angst der Dorfgemeinden vor der Eingemeindung in die ausufernde Grossstadt Zürich dauerte bis weit ins 20. Jahrhundert.

Das Blatt hat sich gewendet 

Heute reicht der Stadtraum Zürichs weit über die Gemeindegrenzen hinaus. Ein neues Verständnis der Stadt und eine koordinierte Planung könnten angesichts der Bevölkerungsprognosen heute wieder sinnvoll sein: Stehen wir also vor einer dritten Eingemeindung?

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Plakate vom ersten Abstimmungskampf zur 2. Eingemeindung aus dem Jahr 1929. (Bild: Bildarchiv Stadt Zürich)
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Tagblattannonce von 1881: Bereits vor der ersten Eingemeindung war man nicht einer Meinung. (Bild: ETH-Bildarchiv)

Die ehemalige Direktorin der Stadtentwicklung, Brigit Wehrli-Schindler, prognostizierte 2009 in einem SRF-Audiointerview eine mögliche Diskussion über eine dritte Eingemeindung in zehn Jahren: «Raumplanerisch macht eine Eingemeindung Sinn.»

15 Jahre später beurteilt sie heute eine weitere Eingemeindung als «Übergriff» der Stadt Zürich. Auch Anfragen bei den umliegenden Gemeindeverwaltungen zeigen, dass eine dritte Eingemeindung undenkbar, ja sogar eine Provokation wäre. Die heutige wirtschaftliche Stärke der Gemeinden mit ihrem tiefen Steuerfuss, die politische Ausrichtung und das Festhalten an ihrer Autonomie sprechen klar dagegen.

Und doch wirkt der Wachstumsdruck des Kantons auch auf alle Gebiete rund um die Stadt Zürich. Dabei stellt sich die Frage, wie trotz statischer Gemeindegrenzen eine übergreifende Siedlungsentwicklung sichergestellt werden kann.

Gesetzsartikel prägt 50 Jahre Zusammenarbeit

Bereits vor mehr als 50 Jahren wurde erkannt, dass Raumplanung zunehmend gemeindeübergreifend funktionieren muss. Städtebauliche und infrastrukturelle Projekte sind auf Planungen über Gemeindegrenzen hinweg angewiesen. Entsprechend wurde die überkommunale Raumplanung im Kanton Zürich 1976 im neuen Planungs- und Baugesetz gesetzlich verankert.

Der entscheidende Artikel fordert die Gemeinden auf, sich zu Planungsregionen zusammenzuschliessen, um eine regionale Planungsebene zu realisieren, die über die Gemeindegrenzen hinweg koordinieren kann. Überraschend ist der letzte Absatz des Paragrafen: «Die Stadt Zürich hat die gleiche Stellung wie ein regionaler Planungsverband.»

«Eine verbindliche Zusammenarbeit zwischen der Stadt Zürich und ihrem Umland befindet sich im Dornröschenschlaf.» 

ZAS*

Die Stadt Zürich wurde als einzige Gemeinde zur eigenen Planungsregion. Damit ist sie sowohl kommunal als auch regional durch Richtpläne strukturiert, ohne die Möglichkeit der raumplanerischen Verknüpfung mit ihrem Umland nutzen zu können.

Im Gespräch erklärt der ehemalige Regionalplaner Hugo Wandeler, dass diese Einteilung politisch zu erklären ist. Eine Planungsregion, welche die Stadt Zürich mit ihren Nachbargemeinden verbunden hätte, wäre möglicherweise als Vorstufe zu einer dritten Eingemeindung verstanden worden. Die Angst vor einer Eingemeindung war also auch in den 1970er-Jahren schon präsent. Und so fehlt bis heute ein gesetzlich verankertes Planungsinstrument, das die Stadt Zürich mit ihrem Umland verbindet.

Angesichts des zunehmenden Platzmangels in der Stadt wäre es an der Zeit, die Einteilung der Planungsregionen grundsätzlich zu überdenken. Doch vorerst befindet sich eine verbindliche Zusammenarbeit zwischen der Stadt Zürich und ihrem Umland im Dornröschenschlaf.

Projektbasiert Grenzen verschieben

Wie kann trotz starrer Gemeindegrenzen als auch veraltetem Gesetz der Metropolitanraum Zürich weiter entwickelt werden? 

Grosse Infrastrukturprojekte dienten in der Vergangenheit als Treiber für Kooperationen unter den Gemeinden. Problematisch sind die aufwendigen Prozesse und die immer wieder neu zu bildenden Rahmenbedingen. Die riesige Stadtverwaltung Zürichs beschäftigt mittlerweile über 30'000 Angestellte, mehr als die Stadt Zug Einwohner:innen hat.

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Ausstellungstafel von Josef Müller-Brockmann in der Ausstellung «Deine Wohnung – Dein Nachbar – Deine Heimat» im Helmhaus, 1948. (Bild: ETH-Bildarchiv)
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Ausstellungstafel von ZAS*, Plakatausstellung «Information ist Mitbestimmung» Ämtli für Städtebau, Werdmühleplatz, 2024. (Bild: ZAS*)

Ihrer Grösse geschuldet, ist sie zum einen nicht agil, zum anderen führt sie bei der Kooperation mit den Nachbargemeinden immer zu einem Ungleichgewicht. So sitzen nicht selten sieben Amtsdirektor:innen gegenüber einer Stadtplaner:in und diskutieren über gemeinsame Projekte.

Ein Beispiel der neutralen Förderung von planerischer Kooperation ist der Planungsdachverband Region Zürich und Umgebung (RZU). Er unterstützt die einzelnen Gemeinden in der Regionalplanung, trifft aber keine verbindlichen Entscheide, sondern setzt strategische Leitlinien. Angelus Eisinger, der Direktor der RZU meint: «Einen grossen Deckel zu schaffen ist nicht die richtige Idee. Aber ein gutes Netzwerk von lokalen Punkten ist agiler und zielführender.»

Trotz der starren Gemeindegrenzen müsste es möglich sein, aus einer raumplanerischen Sicht für die Siedlungsentwicklung flexibel und projektbasiert Grenzen zu verschieben. 

Weitergedacht könnte eine Plattform für die Koordination solcher überkommunaler Prozesse sinnvoll sein, um nicht bei jedem Projekt von neuem beginnen zu müssen. Denn im Rahmen des prognostizierten Wachstums werden die Gemeinden deutlich stärker als bisher zusammenarbeiten müssen, um eine lebenswerte Stadtentwicklung zu sichern.

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